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"Man baut so einen Deich nicht jede Generation neu"

Entspannung ja, Entwarnung nein: Die Hochwasserlage im Osten Deutschlands bleibt unsicher. Erste Vorwürfe an die polnische Seite und Kritik an der Qualität jahrealter deutscher Dämme werden laut - Matthias Platzeck kontert: Gute Dämme kosten Geld.

Matthias Platzeck im Gespräch mit Siliva Engels |
    Silvia Engels: Im Land Brandenburg ist das Schlimmste offenbar vorbei. An einigen Orten fallen die Hochwasserpegel, allerdings nicht überall. In den letzten Tagen erlebten ja die Bürger im Land ihren Ministerpräsidenten Matthias Platzeck in der Rolle, in der er sich besonders gut auskennt: als obersten Hochwasserschützer. Immer im Land unterwegs, immer mit Blick auf die Deiche. Als früherer Landesumweltminister wurde der SPD-Politiker ja während des Oder-Hochwassers 1997 bundesweit bekannt. Seitdem hat er viele Hochwasser kommen und gehen sehen, auch die gewaltigen Fluten des Elbe-Hochwassers von 2002. Ein Mann mit Erfahrung, er ist nun am Telefon. Guten Morgen, Matthias Platzeck.

    Matthias Platzeck: Ich grüße Sie. Guten Morgen, Frau Engels.

    Engels: Sie haben sich heute früh noch mal informiert. Wie ist denn der Stand an den Deichen in Brandenburg?

    Platzeck: Für Entwarnung ist es noch zu früh, aber von Entspannung kann man wirklich reden. Diese Flut kam ja anders als manch andere fast ohne Vorankündigung wie eine Welle wirklich über uns. Das hatte auch mit dem gebrochenen Staudamm bei den polnischen Kollegen zu tun. Das Regenereignis ist dadurch verstärkt worden.
    Wir haben in zwei Flüssen dieses Hochwasser, in der Spree und in der Neiße. In der Spree haben wir den Glücksfall, dass wir eine große Talsperre vorgeschaltet haben im Süden Brandenburgs, übrigens eine Erfahrung vergangener Hochwässer, und das Glück war in dem Fall doppelt. Diese Talsperre war wegen Überholungsmaßnahmen auch fast leer, sodass sie sehr viel aufnehmen konnte. Das hat uns insbesondere die Niederlausitz-Metropole Cottbus gerettet. Wir können jetzt im Moment gerade das Wasser kontrolliert durch Cottbus laufen lassen, zwar mit hohem Wasserstand, aber eben kontrolliert. Wir haben heute Nacht noch Bereitschaftspolizei zusätzlich zur Verstärkung der Einsatzkräfte in die Stadt geschickt, sodass ich für Cottbus sagen kann, das wird glimpflich abgehen.
    An der Neiße beginnen die Pegel zu sinken. Wir haben gestern Abend noch Sorge gehabt, wir hatten einen Deichbruch. Glücklicherweise hat sich das Wasser dort nur in die Wälder ergossen, also keine bewohnten Gebiete. Wir konnten die Evakuierungsmaßnahmen aufheben und gehen davon aus, die Sorge, die wir gestern noch hatten, hat sich als unbegründet erwiesen. Heute Nacht ist sehr intensiv an den Deichen noch verstärkt worden, sodass wir keine weiteren Deichbrüche hatten und doch sagen können, durch das Gröbste sind wir durch. Wir hatten das Ziel, keine großen Schäden zuzulassen und vor allen Dingen Leib und Leben von Menschen, Gesundheit und Leben von Menschen nicht zu gefährden, und diese Zielstellung ist aus heutiger Sicht erreicht.

    Engels: Warum können Sie denn noch keine grundsätzliche Entwarnung geben, wenn das Schlimmste überstanden ist? Wo lauern Gefahren?

    Platzeck: Weil wir immer noch sehr hohe Wasserstände haben. Auch wenn sie anfangen zu sinken, heißt das ja nicht, dass das Wasser weg ist. Wir haben noch weit über normal. In Guben zum Beispiel steht das Wasser noch mehrere Meter über normal. Das heißt, der Druck auf die Deiche ist noch da, und wir möchten auch nicht, dass ein Deich bricht, wenn das Wasser 50 Zentimeter tiefer steht, weil, das hieße immer noch, dass es erhebliche Schäden gibt. Das heißt also, für die Einsatzkräfte, die übrigens wirklich mit hoher Motivation und man kann auch sagen mit hoher Professionalität – man braucht denen gar nicht mehr viel sagen, die sind gut trainiert durch die vielen Hochwässer – arbeiten, die müssen weiter aufmerksam bleiben, damit uns nicht im Weggang des Wassers praktisch noch was passiert, was, einfach ausgesprochen, unschön wäre.

    Engels: Nun haben ja gerade die Länder im Osten sehr viel an ihren Deichen getan. Die Oder-Flut war allen gut in Erinnerung. Nun gibt es ja die Berichte, dass gerade bei der Spree noch viele Deiche waren, die zum Teil Jahrzehnte alt sind und die man offenbar nicht erhöht und nicht verstärkt hat. Hat man da Versäumnisse begangen?

    Platzeck: Frau Engels, erst mal muss man wirklich ganz klar sagen: Deichbau (alte Weisheit) ist eine Generationenaufgabe. Man baut so einen Deich nicht jede Generation neu, sondern jede Generation nimmt sich etwas vor. Wir haben in den vergangenen zehn Jahren für über 200 Millionen Euro – das ist für so ein kleines Land eine Menge Geld – die Deiche an Elbe und Oder erneuert, und unsere neuen Oder-Deiche haben ja ihren Härtetest ungewollt, sage ich mal, aber es kommt wie es kommt, vor acht Wochen gerade bestanden. Während in Polen Riesenschäden zu verzeichnen waren, haben wir das Wasser an den neuen Deichen vorbei bekommen, ohne dass irgendwo auch nur noch eine Leckstelle war. Das heißt, die haben ihren Härtetest wirklich hervorragend bestanden.
    Natürlich werden wir uns in den nächsten Jahren dann den nächsten Aufgaben zuwenden, aber das geht nur peu á peu, weil, auch unser Haushalt ist nicht beliebig ausweitbar und strapazierbar.

    Engels: Und dann wird auch an der Spree ausgebaut?

    Platzeck: Wir werden auch an Spree und Neiße. Wir werden jetzt das Ereignis auswerten, völlig klar. Man kann so ein bisschen sagen, diese beiden etwas kleineren, sonst ruhigeren Flüsse haben den Finger gehoben und gesagt, hallo, außer Elbe und Oder, wir sind auch noch da. – Ich sage noch einmal: Wir haben dieses Ereignis schadlos überstanden. Anders als unsere Nachbarn in Sachsen, Polen oder Tschechien haben bei uns die Deiche im Wesentlichen gehalten. Aber wir wissen trotzdem, dass wir an mehreren Stellen noch etwas tun müssen. Die Meldewege haben sehr gut funktioniert, die Einsatzstäbe haben ab Sonntag professionell gearbeitet. Ich habe es eben schon mal kurz gesagt. Wir sind leider, muss man sagen, aber auf der anderen Seite auch wieder gut, ein mittlerweile gut trainiertes Land und haben alle Hochwässer der letzten Jahre ohne Schäden durch unser Land bekommen, und das ist ja auch schon was.

    Engels: Sie haben eben schon einmal Guben angesprochen. Dort in der Grenzstadt zu Polen war ja die Lage zwischenzeitlich kritisch. Dort berichten ja Einwohner, dass beide Seiten, die polnische Seite und die deutsche Seite, jeweils zu anderen Zeitpunkten informiert waren über die Flut. Muss da die Zusammenarbeit mit den polnischen Behörden noch besser werden?

    Platzeck: Wissen Sie, ich möchte bei diesem Ereignis sehr vorsichtig herangehen, wenn es irgendwie um Kritik geht. Verbessern kann man immer etwas, aber mit Kritik vorsichtig sein. Wir haben es mit einem brachialen Wetterereignis zu tun gehabt, was übrigens kein Wetterdienst, weder ein polnischer, noch ein deutscher, vorhergesagt hat, in dieser Schärfe und in dieser Dichte. Diese Regenmenge war von niemand vorhersehbar. Und wenn dann auf diesen massiven Regen drauf noch ein Staudamm bricht, ein singuläres Ereignis, was man niemandem wünscht – ein brechender Staudamm ist ja was anderes als ein Deich; da ergießt sich ein ganzer Stausee dann in den Fluss -, dann sind das zwei Ereignisse, die zusammenkommen. Also ich sage mal etwas untechnisch: da nützt auch ein guter Meldeweg nichts. Wenn so ein Ereignis kommt, ist das praktisch von einer gewissen Tragik.
    Wir werden es auswerten. Wir werden natürlich auch dieses Hochwasser – wir haben jedes Hochwasser bisher genutzt, um die Abläufe zu verbessern. Aber man muss für Brandenburg – ich kann nur für Brandenburg sprechen – wirklich sagen, es hat, auch was die Kommunikation angeht, hervorragend funktioniert und die Menschen hier im Lande – das haben auch gestern alle möglichen Befragungen gezeigt – fühlten sich nicht nur gut informiert, sondern auch gut betreut. Auch die Evakuierungen liefen ohne Murren. Jeder hat eingesehen, dass das sein muss, und von daher sind wir eigentlich mit dem Ablauf durchaus zufrieden.

    Engels: Das heißt, Sie haben auch keine Kritik an den polnischen Behörden möglicherweise?

    Platzeck: Wissen Sie, Frau Engels, ich habe eben gesagt, ich bin da vorsichtig. Wir werden uns das jetzt ansehen. Wir hatten erst mal die Tage mit Schadensbegrenzung zu tun. Wir werden uns jetzt die Abläufe von hinten noch mal genau ansehen, mit unseren polnischen Kollegen reden. Aber ich gehöre nicht zu denen, die da gleich die Trommel schlagen. Die haben so große Schäden gehabt, unsere polnischen Nachbarn, durch dieses überraschende und brachiale Ereignis. Das verbietet mir jetzt eigentlich zu sagen, Kinder, ihr hättet da noch was besser machen können. Wir werden uns das in Ruhe angucken und wenn was besser hätte sein können, dann werden wir es in die künftigen Alarmpläne mit aufnehmen.

    Engels: Nun sind ja für morgen neue starke Regenfälle für Ihre Region angekündigt. Fürchten Sie, dass die Lage sich noch mal zuspitzen könnte?

    Platzeck: Ja, das fürchten wir und deshalb sind wir im Moment auch sehr intensiv dabei, die Talsperre, von der ich vorhin sprach, dieses große Becken bei Spremberg, möglichst kontrolliert, aber auch zügig wieder etwas leerer zu machen, das heißt durch Cottbus durchzuschicken und durch den Spreewald, was geht. Wir werden heute auch einen kleinen Teil des Spreewaldes noch fluten müssen, weil damit mehr Wasser einfach abgeht, weil wir brauchen wieder Stauraum in der Talsperre, weil die Wetterberichte verheißen nichts Gutes und da wollen wir dann wieder gewappnet sein.

    Engels: Blicken wir voraus. An der Oder gab es ja gerade erst im Juni ein Hochwasser, nun also Neiße und Spree. Rechnen Sie in diesem Jahr noch mit weiteren Hochwassern? Wird das jetzt Standard?

    Platzeck: Frau Engels, ich habe meinen Kollegen und Leuten, Mitarbeitern schon gesagt, wir sollten den Begriff "Jahrhunderthochwasser" endgültig aus unserem Sprachschatz verbannen. Wir haben den 1997 gebraucht, wir haben ihn 2002 gebraucht. Hier in Brandenburg wird der schon immer weniger benutzt, weil die Leute spüren, sie merken, dass das Hochwasser auch in dieser Qualität, in diesem Ausmaß scheinbar künftig zu unserem Leben gehören wird. Das ist ein Tribut, den wir jetzt bereits dem Klimawandel zollen müssen, und wir müssen uns darauf einstellen und dürfen nicht dann mit großen Augen immer hingucken, sondern müssen gut vorbereitet sein. Wir haben vor acht Wochen etwas salopp gesagt gerade unser Hochwasser-Bekämpfungsinstrumentarium wieder weggeräumt, die Katastrophenschutzlager geschlossen, und jetzt, acht Wochen später, haben wir sie bereits wieder aufgerissen und alles wieder herausgeholt. Das heißt, hier gibt es eine Regelmäßigkeit, auf die wir uns einfach auch einstellen müssen.

    Engels: Muss auch noch mehr Geld vom Bund möglicherweise an die Länder fließen, oder schafft das Brandenburg auch aus eigener Kraft?

    Platzeck: Frau Engels, ich gehöre nicht zu denen, die immer gleich, wenn so ein Ereignis ist, neue Forderungen aufmachen. Die Umweltminister Sachsens und Brandenburgs haben jetzt gerade gesagt, dass sie der Umweltministerkonferenz vorschlagen werden, mit Herrn Röttgen zusammen, mit dem Bundesumweltminister, mal ein sinnvolles und praxisorientiertes Gespräch zu führen, dem zugrunde liegt, dass es künftig öfter Hochwasser geben wird, und da werden wir uns manche Dinge noch einfallen lassen müssen, was die Zusammenarbeit Bund-Länder angeht, was Deichbaumaßnahmen in der Perspektive angeht, was Kommunikationsfragen mit unseren Nachbarn Tschechien und Polen angeht. Das muss man jetzt alles noch mal im Lichte dessen sich anschauen, dass man sagt, scheinbar haben wir jedes Jahr jetzt ein oder zwei solcher Ereignisse und da muss man manches bestimmt noch ein bisschen qualifizieren, was anders liefe, wenn man sagt, das kommt nur alle 90 Jahre mal.

    Engels: Matthias Platzeck, Ministerpräsident des Landes Brandenburg. Wir sprachen mit ihm über die Hochwassersituation in seinem Bundesland. Vielen Dank für das Gespräch.

    Platzeck: Danke auch! Schönen Tag!

    Engels: Ihnen auch!