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"Man behandelt Syrien wie ein Problem aus der Hölle"

Wolfgang Ischinger, ehemaliger deutscher Botschafter in Washington, fordert vom Westen ein stärkeres Engagement im Syrien-Konflikt. Eine politische Lösung könne es nur über eine Verständigung von US-Präsident Barack Obama mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin geben.

Wolfgang Ischinger im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 23.08.2013
    Tobias Armbrüster: Es könnte ein Wendepunkt sein, den wir in diesen Tagen beim Krieg in Syrien erleben: Die Opposition wirft dem Regime von Staatschef Assad vor, in den vergangenen Tagen bei mehreren Angriffen Giftgas eingesetzt zu haben. Solche Vorwürfe hat es in den vergangenen Monaten immer wieder gegeben, aber diesmal sind sie offenbar mit Videomaterial belegt, wenn auch nicht einwandfrei. Die Rebellen zeigen dort zum Beispiel Leichen, die keine Spuren äußerer Verletzungen tragen. Das Stichwort Giftgas bringt vor allem den amerikanischen Präsidenten erneut unter Zugzwang. Er hatte im vergangenen Jahr erklärt: Sollte Damaskus mit chemischen Waffen in den Krieg eingreifen, dann sei für die USA eine rote Linie überschritten. Syrien: USA haben keine Giftgas-Beweise (MP3-Audio) Aus Washington Ralph Sina.

    Ralph Sina berichtete aus Washington, und am Telefon begrüße ich jetzt Wolfgang Ischinger, den ehemaligen deutschen Botschafter in Washington und Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz. Schönen guten Morgen, Herr Ischinger!

    Wolfgang Ischinger: Guten Morgen!

    Armbrüster: Herr Ischinger, lassen Sie uns kurz darüber sprechen, was da gerade in Syrien passiert. Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie diese Bilder sehen von möglichen Giftgasopfern, von Menschen, die vor Schmerzen zucken und sich auf dem Boden winden?

    Ischinger: Erschütterung. Man kann wirklich nur entsetzt und erschüttert sein. Was mir durch den Kopf geht, ist insbesondere die Erinnerung an die Vorgänge in Bosnien vor fast 20 Jahren. Auch da hat die Internationale Gemeinschaft, hat insbesondere auch Europa, hat der Westen lange gezögert, hat dann erst nach den auch schrecklichen Vorgängen von Srebrenica eingegriffen. Hunderttausende mussten sterben, bevor man sich aufraffen konnte, zu intervenieren. Im Falle Syrien ist das Intervenieren sicherlich noch viel schwieriger, noch viel problematischer, aber die Parallelen sind unverkennbar.

    Armbrüster: Was ist denn Ihrer Einschätzung nach dran an diesen Vorwürfen, die syrische Armee habe Giftgas eingesetzt?

    Ischinger: Nach allem, was wir jetzt wissen, deuten die Symptome, die man auf den Videos ja auch sehen konnte, in der Tat auf Giftgas hin. Wer es eingesetzt hat, welche Stoffe hier genau zum Einsatz kamen, ob das ein Stoff ist, ob das ein Mix von tatsächlichem Giftgas und anderen Betäubungsmitteln sein könnte, das ist alles spekulativ. In der Tat hat auch der deutsche Außenminister völlig zu Recht darauf hingewiesen: Das Wichtigste ist jetzt, dass die Fakten geklärt werden, dass untersucht wird. Es wird nicht lange dauern, auf die eine oder andere Weise wird man Obduktionen vornehmen können, wird man an den zahlreichen Leichen Untersuchungen vornehmen können und man wird feststellen können, davon können wir ausgehen, dass man sehr schnell feststellen wird: Welche Substanzen waren das? Dann ist die nächste Frage: Wer genau hat sie eingesetzt? Auch das ist ja bisher nicht geklärt. Ich denke, das Entscheidende wird sein, festzustellen, ob die syrische Regierung hoffentlich unter Druck dann auch aus Moskau die UN-Inspektoren tatsächlich vor Ort ihre Arbeit aufnehmen lassen wird. Das ist ja bisher leider nicht der Fall.

    Armbrüster: Wer ist denn in diesen gegenseitigen Beschuldigungen Ihrer Ansicht nach glaubwürdiger, Opposition oder Regierung?

    Ischinger: Ach, ich will da keine Noten verteilen, aber so viel ist sicher: Der syrischen Regierung würde ich überhaupt keine Behauptung mehr abnehmen wollen. Die syrische Regierung hat im Laufe dieser zwei Jahre nun oft genug gezeigt, dass sie zur Desinformation fähig ist. Aber ich würde auch meine, sozusagen meine Hand nicht ins Feuer legen wollen für die eine oder andere Rebellengruppe. Das ist so im Krieg. Im Krieg gehört Täuschung zu den Methoden, und damit haben wir es hier zu tun.

    Armbrüster: Geht dieser Bürgerkrieg damit in eine neue Phase?

    Ischinger: Das ist zu befürchten. Es ist zu befürchten, dass es schlimmer wird, bevor es besser wird. Und ich denke, diejenigen, die im Westen gesagt haben, man muss diesen Bürgerkrieg sich ausbluten lassen, nicht wahr, die werden jetzt erkennen, dass das weder eine moralisch vertretbare, noch eine politisch mögliche Antwort ist. Wir können einfach auf die Dauer nicht zuschauen. Lassen Sie mich einen Punkt nennen, der mir auch durch den Kopf geht. Wir haben ja alle vor wenigen Wochen miterlebt, dass Präsident Obama sein persönliches Gespräch mit Präsident Putin in den kommenden Wochen abgesagt hat. Ich denke, wenn ein Gespräch jetzt wichtig ist, dann wäre es das direkte Gespräch zwischen dem amerikanischen und dem russischen Präsidenten. Das wäre das Gespräch über die Suche nach einem Kompromiss, vielleicht auch einem hässlichen Kompromiss bei der Lösung des syrischen Problems. Sich jetzt dem Gespräch zu verweigern, insoweit will ich hier auch das sehr kritisch anmerken: Ich halte das für falsch. In dieser Lage muss zwischen Moskau und Washington geredet werden, auch wenn das vielleicht innenpolitisch nicht sonderlich populär ist.

    Armbrüster: Wie könnte ein so hässlicher Kompromiss, wie Sie es sagen, denn aussehen?

    Ischinger: Der könnte so aussehen, dass man sich an die Prinzipien erinnert, mit denen die Staatengemeinschaft andere Konflikte - ich erinnere noch einmal an Balkan - gelöst hat. Der erste Schritt wäre die Einrichtung einer hochrangigen sogenannten Kontaktgruppe. Das würde bedeuten, dass Washington, dass wir Europäer gemeinsam mit Russland und gegebenenfalls auch anderen uns verpflichten, ab sofort jeden Schritt, den wir unternehmen, nur noch gemeinsam zu unternehmen. Das würde Russland ein Vetorecht hinsichtlich unseres Handelns auch einräumen, aber würde natürlich Russland in dieser Weise auch zwingen, bestimmte Schritte mitzumachen. Das war der Weg in Bosnien, das war der Weg auch bis zu einem gewissen Grad im Kosovo und bei anderen Krisenbewältigungsaufgaben, und ich denke, in diese Richtung müsste das gehen. Ob der Weg noch möglich ist nach allem, was vorgefallen ist, und vor allen Dingen auch nach den Ereignissen in Libyen hat man in Moskau ja die Konsequenz gezogen: Nie wieder möchte man entweder aktiv mitstimmen oder zumindest eine Entscheidung der Vereinten Nationen passieren lassen, die militärisches Eingreifen möglich macht. Die Dinge haben sich hier sehr stark verhärtet, das muss man in der Tat sehen.

    Armbrüster: Herr Ischinger, dann lassen Sie uns noch mal kurz auf die Lage in Syrien selbst blicken. Was sollte passieren, wenn sich Assad weigert, dass die UNO-Inspekteure, die derzeit im Land sind, diese jüngsten Vorgänge untersuchen dürfen? Es hat ja schon diese Stimmung, diese Behauptung gegeben gestern, diese Region sei zu sehr umkämpft, dort könne niemand ernsthaft und seriös Untersuchungen anführen.

    Ischinger: Ich denke, der Vorgang zwingt uns fast dazu, die Frage nach solchen Lösungen wie Flugverbotszonen wieder aufzunehmen. Wenn es so ist, dass der Haupthinderungsgrund für den Einsatz der UN-Inspektoren vor Ort die andauernde Bombardierung durch die syrische Luftwaffe ist, dann muss man doch die Frage stellen: Kann man der syrischen Luftwaffe nicht verbieten, zu fliegen? Das ist die Frage nach der Flugverbotszone. Die wiederum kann eigentlich völkerrechtlich tragfähig nur eingerichtet werden mit russischer Zustimmung. Und da sind wir wieder bei dem Gespräch Obama - Putin, das aus meiner Sicht der erste wichtige Schritt wäre, der hier jetzt anstehen müsste.

    Armbrüster: Sollte sich Deutschland an einem solchen Flugverbot, an einer solchen Durchsetzung beteiligen?

    Ischinger: Also schauen Sie, wir waren damals bei dem Kosovo-Einsatz mit vier Flugzeugen dabei. Ich glaube nicht, dass die Frage eines deutschen Einsatzes hier im Vordergrund steht. Ich glaube, dass zunächst die politischen Grundlagen geklärt werden müssen. Ob dann die NATO insgesamt oder ob die USA alleine mit einigen wenigen Partnern das machen, machen würden, falls man eine rechtliche Grundlage schaffen kann, das ist dann die nächste Frage. Ich will hier gar nicht über den Einsatz deutscher Streitkräfte spekulieren. An dem Punkt sind wir ja noch nicht.

    Armbrüster: Wie beurteilen Sie denn insgesamt die deutsche Außenpolitik in diesem Krieg, in diesen jüngsten Entwicklungen?

    Ischinger: Die deutsche Außenpolitik ordnet sich ein in eine Politik der Europäischen Union, in eine europäische Politik, die - und das war ja auch nicht anders zu erwarten -, die in diesem Konflikt zuschaut. Wir haben Sanktionsbeschlüsse gefasst, aber wir haben den Konflikt sich verschärfen lassen. Der warnende Ruf, der immer wieder aus der europäischen Politik erschollen ist - wir müssen versuchen, einen Flächenbrand zu verhüten, indem wir möglichst wenig von außen eingreifen -, der stellt sich als im Grunde irreführend heraus, denn der Flächenbrand, der zu befürchten war, der ist längst eingetreten. Ich möchte auch die Frage stellen: Warum mussten eigentlich jetzt 600 oder 1000 Menschen durch Chemiewaffen umkommen, um das Interesse der europäischen und internationalen Öffentlichkeit wieder aufzurütteln? Reichten denn nicht die bereits 100.000 Toten? Reichen denn nicht die 700.000 Kinderflüchtlinge? Also eigentlich ist bei uns insgesamt im Westen in den letzten Monaten eine Lethargie eingetreten. Man behandelt Syrien wie ein Problem aus der Hölle, und mit den Problemen aus der Hölle möchte man am liebsten nichts zu tun haben. Das ist sehr zu bedauern.

    Armbrüster: Herr Ischinger, ganz kurz noch, wir haben noch ungefähr eine Minute, zum Abschluss die ganz kurze Frage konkret zu Deutschland: Haben Sie den Eindruck, dass Bundesaußenminister Guido Westerwelle in Syrien eine außenpolitische Strategie hat?

    Ischinger: Ich glaube, es wäre völlig falsch, jetzt eine deutsche außenpolitische Strategie zu entwerfen. Es kann doch nur um die Frage gehen: Kann die Europäische Union sich hier als glaubhafter Akteur einsetzen, vielleicht eine Rolle spielen?

    Armbrüster: Hat denn die EU eine?

    Ischinger: Ich denke, was wir, was die deutsche Außenpolitik vielleicht hier auch versuchen könnte, mit unsicheren Erfolgsaussichten, ist, noch einmal den Versuch zu machen, auf unseren russischen Partner, sage ich ausdrücklich, einzuwirken, um nach möglichen Kompromissen zu suchen. Das ist der Schlüssel, das ist der Schlüssel für eine politische Lösung. Der liegt nicht so sehr in Damaskus, sondern der liegt irgendwo zwischen Moskau und Washington.

    Armbrüster: Live hier bei uns in den "Informationen am Morgen" war das Wolfgang Ischinger, der ehemalige deutsche Botschafter in Washington und jetzige Leiter der Münchener Sicherheitskonferenz. Vielen Dank, Herr Ischinger, für dieses Gespräch heute Morgen!

    Ischinger: Auf Wiederhören, Herr Armbrüster!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.