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"Man braucht Spielregeln und einen Schiedsrichter"

Der finanzpolitische Sprecher der FDP, Volker Wissing, hält die Forderung von Bundespräsident Joachim Gauck nach neuen Regeln für die Finanzmärkte für richtig. Vor allem auf internationaler Ebene seien stärkere Regeln notwendig, so Wissing.

Volker Wissing im Gespräch mit Gerd Breker |
    Gerd Breker: "Freiheit. Ein Plädoyer" – so lautet der Titel des Büchleins, das Joachim Gauck wenige Wochen vor seiner Wahl zum Bundespräsidenten veröffentlichte. Der in den Grenzen der DDR aufgewachsene erklärt der Freiheit seine schwärmerische Liebe. Ausgerechnet dieser freiheitsliebende Erste Bürger unseres Staates bekennt sich zur Notwendigkeit von Grenzen. Er wird aus Freiheit zum Freund der Grenzen. Grenzen in der Wirtschaft, Grenzen für die Finanzmärkte – schwarze Zahlen seien kein Grund, rote Linien zu überschreiten, so eine bildhafte Überschrift, und diese Rede hielt Joachim Gauck gestern auf dem Führungstreffen Wirtschaft 2012 der "Süddeutschen Zeitung" in Berlin.
    Am Telefon sind wir nun verbunden mit Volker Wissing, er ist finanzpolitischer Sprecher der FDP. Guten Tag, Herr Wissing!

    Volker Wissing: Guten Tag, ich grüße Sie.

    Breker: Joachim Gauck zum Bundespräsident zu wählen, war nach dem Rücktritt von Christian Wulff eine Idee der Freien Demokraten. Angela Merkel geriet dadurch unter Zugzwang, der Frosch spürte, dass das Wasser wärmer wurde. Nun, da der Bundespräsident sich so dezidiert für eine Regulierung der Finanzmärkte ausgesprochen hat, Herr Wissing, reut es Sie, ihn zum Präsidenten gekürt zu haben?

    Wissing: Nein, ganz und gar nicht. Denn das, was der Präsident gesagt hat, ist ureigene liberale Programmatik, nicht nur an die Freiheit, sondern auch an die Verantwortung zu appellieren. Und seine Forderungen, die Finanzmärkte zu regulieren, Haftung und Verantwortung wieder zusammenzubringen, genau das ist die Programmatik auch der christlich-liberalen Regierungskoalition. Wir haben uns zum Ziel gemacht, nicht mehr zu den Zuständen zurückzukehren, die die SPD hinterlassen hat, sondern regulierte Finanzmärkte zu schaffen.

    Breker: Rahmen und Regeln sind also aus Sicht der Freien Demokraten unverzichtbar? Da hat Gauck Recht?

    Wissing: Absolut! Man braucht Spielregeln und man braucht einen Schiedsrichter, der dafür sorgt, dass die Regeln eingehalten werden, und das ist Aufgabe des Staates. Und nur klare Regeln und strenge Regeln sind auch überwachbar und schaffen Stabilität. Wir wissen heute, dass Stabilität im Finanzsektor nur durch Regulierung zu erreichen ist, und deswegen haben wir ja auch sehr viele Regulierungen schon auf den Weg gebracht.

    Breker: Sehr viele Regulierungen auf den Weg gebracht. Der Bundespräsident findet, dass der Wildwuchs im Finanzsektor noch nicht beseitigt ist. Sehen Sie das anders? Ist er beseitigt?

    Wissing: Wir haben in Deutschland die reguliertesten Märkte geschaffen. Unter CDU/CSU und FDP haben wir eine Bankenabgabe eingeführt, einen Restrukturierungsfonds, der dazu führt, dass nicht mehr der Steuerzahler, sondern künftig die Banken selbst Schieflagen finanzieren müssen. Wir haben Ratingagenturen unter Aufsicht gestellt, ein Anlegerschutzgesetz geschaffen, wir haben ein Hochfrequenzhandelsgesetz auf den Weg gebracht, wir haben eine Bankenaufsichtsreform umgesetzt, die die Aufsicht von der Wirtschaft unabhängig macht, und wir haben jetzt angestoßen höhere Eigenkapitalanforderungen. Natürlich ist nicht alles international getan. Wir brauchen jetzt auf europäischer Ebene wichtige Regulierungsrichtlinien, die sind im werden, wir warten darauf – Stichworte sind Mifid und anderes -, und wir brauchen international auch auf Ebene G 20 eine klare Vorstellung, einen klaren Regelungshaftungsrahmen für den Finanzsektor. Da gibt es noch viel zu tun. Unser Ziel war es immer, dass Deutschland vorausgeht und strenger reguliert, dort wo Regulierung notwendig ist, und das ist uns gelungen. Wir haben den reguliertesten Markt in Europa.

    Breker: Sprich: In Deutschland ist der Wildwuchs beseitigt, nur in Europa und global noch nicht?

    Wissing: In der Tat: Wir brauchen jetzt noch europäische Regeln, wir brauchen mehr Transparenz im Finanzsektor. Wir müssen den grauen Markt in den regulierten Markt bringen. Und was wir auch brauchen ist, dass man sich international darauf verständigt, dass die Regeln überall eingehalten werden. Denn was nützt es, wenn ein Land streng reguliert und die gefährlichen Geschäfte einen Bogen um den Regulierer machen und in anderen Ländern handeln. Das darf es nicht geben und deswegen brauchen wir internationale Regeln für die Finanzmärkte, und das geht nur auf Ebene G 20 und G 8. Was man national tun konnte, haben wir getan.

    Breker: Ausreichend?

    Wissing: Ich glaube, dass wir die Lehren aus der Krise durchaus gezogen haben. Die Hauptrisiken, die wir heute haben, liegen weniger in den Bankgeschäften, als in den Staatsanleihen. Wir haben durch die hohe Staatsverschuldung ein erhebliches Bedrohungspotenzial und auch die Gefahr, dass es zu Schieflagen von Banken kommt in Europa. Aber die Ursache dafür sind zu hohe Staatsschulden. Wir haben keine Risikovorsorge gefordert in der Vergangenheit für Investitionen in Staatsanleihen, und heute sehen wir, dass die Staatsanleihen eben nicht sicher sind. Sie können ausfallen, wir sehen das in Griechenland beispielsweise, und das ist eine Gefahr, die man nicht durch Regulierung alleine beseitigen kann, sondern in erster Linie durch solide Haushalte. Und auch da haben wir einen Vorstoß unternommen, nämlich die Schuldenbremse in unsere Verfassung geschrieben, aber auch durchgesetzt, dass sie zur Blaupause für ganz Europa wird.

    Breker: Bleiben wir noch ein wenig bei den Banken selber. Ein Attest von Joachim Gauck ist, dass die Politik oft den Banken unterlegen sei. Das ist nicht mehr so aus Ihrer Sicht?

    Gauck: Da ist was dran. Wir haben die Situation, dass die Innovationskraft der Finanzmärkte enorm ist - es gibt kaum mehr Innovation als in diesem Bereich – und dass der Staat bei der Kontrolle permanent hinterherhinkt. Auch dafür ist es sehr schwer, Regelungen zu finden. Aber wir haben beispielsweise in Deutschland für die Verbriefungen, die ja die jüngste Finanzkrise ausgelöst haben in den USA, eine ganz einfache Regel geschaffen, nämlich einen Selbstbehalt. Jeder der ein Produkt verbrieft und auf den Markt bringt, muss davon einen bestimmten Prozentsatz selbst behalten – in Deutschland künftig doppelt so viel wie in anderen europäischen Ländern: zehn Prozent. Damit ist sichergestellt, dass Banken ein Eigeninteresse an seriösen und soliden Produkten haben, denn sie müssen zehn Prozent davon selbst behalten.

    Breker: Dennoch kommt Joachim Gauck zum Schluss, dass die Gier der Branche weiterhin vorhanden ist.

    Wissing: Die teilweise unvorstellbar hohen Bonuszahlungen, die an sehr kurzfristige Gewinne geknüpft waren, sind ein Fehlanreiz, und der ist erkannt und wird europaweit beseitigt.

    Breker: Es sind ja nicht nur die Boni, Herr Wissing; es ist ja auch ein deutscher Bankchef, der sagt, wir haben ein Gewinnziel von 25 Prozent.

    Wissing: Ich glaube, dass man natürlich diese Renditen in Relation setzen muss zu den Geschäftsbereichen, über die da jeweils gesprochen wird. Das ist nicht vergleichbar mit einer industriellen Produktion oder anderem. Fest steht, dass die Banken ja alles andere als hohe Gewinne nach Steuern haben gegenwärtig in Europa. Das ist sicher auch der Grund, weshalb die Bankaktien nicht gerade gut stehen. Also zu behaupten, die Banken hätten besonders hohe Erträge erwirtschaftet in den letzten Jahren, das, glaube ich, passt nicht zu dem, was wir an Kursentwicklungen gesehen haben.

    Breker: Ja nicht jede Gier wird erfüllt. – Herr Wissing, braucht es internationale Regelungen, Regulierungen, und dann ist alles gut?

    Wissing: Das ist eine Daueraufgabe. Schauen Sie, wir haben durch die Globalisierung die Situation, dass wir Finanzmärkte nicht renationalisieren können. So wie es einen internationalen Warenverkehr gibt, einen Dienstleistungsverkehr gibt, brauchen wir auch einen internationalen Kapitalverkehr, damit das Geld dort zur Verfügung steht für Investitionen, wo es am effizientesten und am besten eingesetzt werden kann. Und die Problematik besteht jetzt darin, dass wir nicht ausreichend schnell Regeln auf den Weg gebracht haben, diese internationalen Kapitalströme zu kontrollieren. Und selbstverständlich gibt es auch von vielen Ländern nationale Eigeninteressen. Es werden auch Anreize gesetzt, durch Deregulierung Kapital verstärkt ins eigene Land zu locken, und das ist ein großes Problem, weil die Risiken eben, wie wir ja wissen, nicht mehr national begrenzbar sind, sondern ganz schnell auch zu Risiken der anderen Länder werden. Und hier braucht man mehr Regeln, und das muss auf internationaler Ebene umgesetzt werden, und ich bin sehr froh, dass die Bundesregierung, der Bundesfinanzminister, der Bundeswirtschaftsminister, aber auch die Bundeskanzlerin, sehr entschlossen international diese Dinge vorantreiben, immer wieder ansprechen. Deutschland ist Regulierungsmotor in Europa – denken Sie an die Leerverkäufe, die wir verboten haben; dafür wurden wir erst beschimpft und dann wurde unsere Regulierung kopiert -, und wir sind auch Regulierungsmotor weltweit.

    Breker: Dann schauen wir mal, was das ergeben wird – der finanzpolitische Sprecher der FDP war das im Deutschlandfunk, Volker Wissing. Herr Wissing, ich danke Ihnen für dieses Gespräch.

    Wissing: Ich danke Ihnen auch.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.