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"Man hat den Eindruck, dass Deutschland mit der Knute herumgeht"

Als Warnschuss empfänden die Griechen die Beteiligung von Sparern beim Rettungspaket für Zypern, sagt der einstige Sprecher der griechischen Regierung, Evangelos Antonaros. Deutschland verhalte sich in der Krise "schulmeisterhaft".

Evangelos Antonaros im Gespräch mit Jürgen Zurheide | 06.04.2013
    Jürgen Zurheide: In Griechenland hofft der ein oder andere, dass die Krise sich bald dem Ende zuneigt, aber die Arbeitslosigkeit ist hoch und bleibt hoch – über all das wollen wir reden. Reden wollen wir mit Evangelos Antonaros, dem früheren Regierungssprecher, den ich gestern hier im Funkhaus getroffen habe. Meine erste Frage an ihn war: Mit welchen Gefühlen haben die Griechen eigentlich in diesen Tagen nach Zypern geschaut?

    Evangelos Antonaros: Mit Gefühlen der ganz großen Sorge. Alle Griechen fühlen sich Zypern als Land sehr verbunden, persönlich verbunden. Sehr viele Griechen haben Verwandte auf Zypern. Zypern und Griechenland gelten als zwei Länder, die nicht nur sprachlich, sondern auch von der Geschichte her einen gemeinsamen Weg gegangen sind. Und deswegen sind die Geschehnisse auf Zypern in den letzten Wochen nicht zuletzt auch wegen der schlechten wirtschaftlichen Situation in Griechenland als eine Vorwarnung für das empfunden worden, was möglicherweise in Griechenland passieren könnte. Natürlich, die Politiker die Griechenland, das ist auch richtig, die haben gesagt, Zypern muss sich in Griechenland nicht wiederholen, Griechenland ist viel stabiler. Ist auch viel stabiler, aber die Sorge in Griechenland ist natürlich sehr groß, das sieht man auch in der Berichterstattung der griechischen Medien, jeden Tag.

    Zurheide: Vor allen Dingen das Auftreten der EU-Vertreter in Zypern, wie ist das wahrgenommen worden? Also bleiben wir bei der Befindlichkeit, wir werden gleich noch über die Inhalte reden.

    Antonaros: Man hat auch den Eindruck, dass man Zypern keine Chance gegeben hat, sich mittelfristig zu erholen, dass die Maßnahmen zu hart ausgefallen sind und deswegen auch als ungerecht werden sie empfunden.

    Zurheide: Dass die Beteiligung der einzelnen Sparer verabredet worden ist, zunächst sogar ohne Limit, inzwischen mit den berühmten 100.000 Euro, welche Reaktionen hat das bei Ihnen in Griechenland ausgelöst?

    Antonaros: Auch mit der Frage, die alle Griechen gerichtet haben auch an ihre Politiker, ob das auch ein Präzedenzfall ist: Wird das auch Griechenland treffen, wird das auch andere europäische Kleinsparer treffen, die ein ganzes Leben lang hart gearbeitet und Geld auf die lange Kante, auf das Konto gebracht haben und jetzt einen Teil ihrer Einlagen verlieren sollen? Die Frage ist in Griechenland, wie gesagt, von allen politischen Parteien mit einem Nein beantwortet worden, in Griechenland wird es dazu nicht kommen. Aber die Leute sind nicht beruhigt.

    Zurheide: Das heißt, die Kapitalflucht ist eher weiter angeheizt worden?

    Antonaros: Es gibt noch keine konkrete Zahlen, aber die Leute stehen sozusagen Gewehr bei Fuß, um ganz genau zu verfolgen, was passiert jetzt in den nächsten Wochen, stabilisiert sich die Situation auf Zypern oder nicht? Eine große Kapitalflucht scheint es in den letzten Wochen in Griechenland, aus Griechenland nicht gegeben zu haben, aber wie gesagt, wichtig ist, wie sich die nächsten vier, sechs Wochen entwickeln werden.

    Zurheide: Kommen wir zur Lage in Ihrem Land, zur wirtschaftlichen, aber auch dann zur politischen Lage und auch zur sozialen Lage. Die Arbeitslosigkeit steigt, wir haben gerade in diesen Tagen die Zahlen noch mal genannt bekommen, vor allen Dingen die Jugendarbeitslosigkeit ist hoch, bei der Wirtschaft ist die Frage, hat man den Boden erreicht, die Regierung scheint vorsichtig optimistisch zu sein, dass es nicht noch schlimmer kommt, als es gekommen ist. Wie ist Ihre Beurteilung, wie sehen Sie die Lage?

    Antonaros: Es könnte sein, dass sozusagen der Boden erreicht worden ist. Wir haben in Griechenland eine Arbeitslosigkeit von knapp 27 Prozent der Gesamtbevölkerung. Das ist immens, das hat es ich glaube im Nachkriegseuropa noch nirgendwo gegeben. Bei der Jugend liegt die Arbeitslosigkeit bei 55 Prozent. Mehr als jeder zweite junge Arbeitnehmer hat keinen Job und hat auch überhaupt keine Aussichten, einen Job zu finden.

    Zurheide: Ich frag mal eben dazwischen: Wie leben solche Menschen? Man muss essen, man muss Bedürfnisse befriedigen, man bleibt bei den Eltern. Wie rauft man sich da zusammen, wie lange geht das noch?

    Antonaros: Das ist die ganz große Frage. Es wird überall gespart, die Leute, die jungen Leute kehren zu ihren Familien zurück, die geben, wenn sie selbstständig bisher gelebt und gewohnt haben, die eigene Wohnung auf. Deswegen gibt es überall in Griechenland Hunderttausende von leerstehenden Wohnungen, unvermietete Wohnungen. Im letzten Monat hat es erste Anzeichen für eine sozusagen Stabilisierung der Arbeitslosigkeit gegeben, dass es nicht noch schlimmer wird als bisher. Die Regierung setzt ihre Hoffnung auf das Zustandekommen von einigen großen Privatisierungen. Man muss das abwarten. Es kommt drauf an, ob sich viele Interessenten zeigen und die Regierung diese Privatisierungen schnell abwickeln kann. Aber neue Arbeitsplätze, darf man nicht vergessen, können nicht von heute auf morgen entstehen, denn Hunderttausende von kleinen und kleinsten griechischen Firmen sind kaputt gegangen. Und diese Firmen neu wieder entstehen zu lassen, das würde bedeuten, dass das Vertrauen von heute auf morgen größer wird, und das ist noch nicht abzusehen.

    Zurheide: Ziehen wir einen Strich darunter, kommen wir zur letzten politischen Bewertung des Ganzen: Wie sehr hat die Idee Europa gelitten, verloren, auch möglicherweise das Ansehen der Deutschen, der Kanzlerin – wobei ich das nicht jetzt personalisieren will auf eine Figur –, die Idee Europa?

    Antonaros: Wenn man dran denkt, dass bis vor zehn Jahren Griechenland zu denjenigen Ländern in Europa gezählt hat, dass die europäische Idee am stärksten, am eifrigsten unterstützt hat, da muss man heute leider als – und ich bin ein überzeugter Europäer – feststellen, dass die europäische Idee in Griechenland sehr stark unter der Krise gelitten hat. Das ist anhand der letzten Meinungsumfragen deutlicher geworden. Nach wie vor glaubt die Mehrheit der Griechen, dass die Zukunft des Landes in Europa und in der Eurozone zu suchen ist und Griechenland Vollmitglied in beiden Gruppen bleiben muss. Auf der anderen Seite wächst ständig die Zahl derjenigen, die skeptischer werden. Und dadurch gewinnen natürlich an politischem Einfluss auch diejenigen Kräfte, die rechts- oder linksradikal sind, und das Denken der Bevölkerung, der leidenden Bevölkerung zu Ungunsten Europas beeinflussen. Die Rolle Deutschlands, der zweite Teil Ihrer Frage: Man ist sehr kritisch. Man hat den Eindruck, dass Deutschland sozusagen mit der Knute herumgeht und die Völker Südeuropas zu disziplinieren versucht. Es gibt Übertreibungen auf griechischer Seite, ganz bestimmt, und man sollte, glaube ich – das sage ich auch meinen griechischen Landsleuten immer wieder –, man sollte versuchen zu verstehen, aus welchem Grunde Deutschland sich so verhält und eine Ordnung, eine finanzpolitische Ordnung in Europa wünscht, wovon alle profitieren sollen. Auf der anderen Seite würde ich von Deutschland erwarten, von der deutschen politischen Führung erwarten, dass sie verständnisvoller mit den Sorgen der Griechen und anderer südeuropäischer Völker umgeht, dass man den politischen Einfluss und die wirtschaftliche Stärke, die Deutschland hat, vernünftiger und verständnisvoller einsetzt, damit wir alle in Europa davon profitieren können. In Griechenland hat man große Achtung vor dem, was Deutschland seit dem Zweiten Weltkrieg geleistet hat. Man sieht ein, dass Deutschland heutzutage eine führende politische Rolle in Europa innehat, nicht zuletzt weil auch andere Länder wie zum Beispiel Frankreich gegen große wirtschaftliche Probleme zu kämpfen haben. Aber gerade deshalb glaube ich, dass es Deutschland nicht nötig hat, so schulmeisterhaft gegenüber seinen Partnern im Süden aufzutreten.

    Zurheide: Das war Evangelos Antonaros, der frühere Regierungssprecher in Griechenland, zur schwierigen Lage in seinem Lande.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.