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"Man hatte wirklich noch den Eindruck von 1001 Nacht"

Er war einer der schönsten Basare im Orient - in der Bauweise einzigartig, mit überdachten Gewölben und jahrhundertealten Türen. Nun ist der "Souk von Aleppo" in Flammen aufgegangen. Zwar sei die Bausubstanz der Mauern wahrscheinlich noch erhalten, doch die Inneneinrichtung der sich kilometerweit schlängelnden Basarstraßen sei für immer verloren, sagt Stefan Weber, Direktor des Museums für Islamische Kunst in Berlin.

Stefan Weber im Gespräch mit Friedbert Meurer | 02.10.2012
    Friedbert Meurer: Schätzungen zufolge sind in Syrien schon 30.000 Menschen getötet und umgebracht worden in einem blutigen und grausamen Bürgerkrieg. Mehr als eine Million Menschen befinden sich auf der Flucht. Die Opfer haben ganz sicher andere Probleme als die Zerstörungen wertvoller Denkmäler und Kulturschätze, und trotzdem: es ist einfach bitter und stimmt traurig, im Bürgerkrieg zu sehen, wie auch Kunst und Kultur in Flammen aufgehen - zuletzt jetzt der historische Basar von Aleppo im Norden Syriens.

    Stefan Weber ist Direktor des Museums für Islamische Kunst in Berlin, und dieses Museum ist Teil des weltberühmten Pergamon-Museums. Guten Tag, Herr Weber.

    Stefan Weber: Ja, schönen guten Tag!

    Meurer: Der Souk von Aleppo, der Basar, gilt als einer der schönsten im Orient überhaupt. Sie sind schon mehrfach dort gewesen. Was war das Besondere an diesem Basar?

    Weber: Wenn man schon mal in Istanbul war, dann kennt man den großen Basar dort. Dort ist doch alles sehr touristisch geworden und es gibt nur noch ganz wenige solcher Basare vom Bau her, Istanbul, Aleppo, Isfahan. Allerdings der in Aleppo, der war noch wirklich, man möchte sagen, so, wie es mal war.

    Das stimmt zwar nicht ganz, es war inzwischen auch natürlich die Moderne eingedrungen und es gab viele Veränderungen. Doch in diesen ganzen langen Basarstraßen, kilometerweit, die sich wirklich parallel aneinanderschlängelten, waren unglaublich schöne Dinge noch zu entdecken, altes Handwerk, Gewürze, und man hatte wirklich noch den Eindruck von Tausend und einer Nacht, obwohl das natürlich so romantisierend doch gar nicht zutreffend ist. Aber es ist noch ein alter toller erhaltener Basar gewesen, und daher ist natürlich auch das Traurige, dass dieser Basar ausgebrannt ist, denn damit ist zwar vielleicht der Stein nicht zerstört worden, aber das Innenleben dieses Basars.

    Meurer: Was wissen Sie, Herr Weber, über die Zerstörungen am Dach, an der Gebäudestruktur und an den Gewölben, die über dem Basar sich ausspannten?

    Weber: Der Basar ist einmalig überwölbt. So was gibt es in Syrien oder in der arabischen Welt nicht mehr gleichartig. Und daher ist es eigentlich relativ stabil dort. Wenn man im Basar ein Feuer hat, heißt das nicht, dass direkt der ganze Basar zusammenfällt, sondern es besteht wahrscheinlich die Möglichkeit, einen Großteil wiederherzustellen. Das müsste man aber erst mal genau in Augenschein nehmen.

    Die Fotos, die ich gesehen habe, die Videos, da sieht es so aus, als sei die Struktur selber nicht groß geschädigt worden. Man weiß das leider auch nicht von diesen benachbarten Altstadthäusern, die wunderbar sind dort. Auch die 40 Karawansereien, die es im Zentrum gibt, also prachtvolle Handelshäuser. Was da kaputt gegangen ist, das ist uns nicht klar.

    Wenn es nur das Innenleben des Basars ist, ist das "nur" ein behebbarer Schaden, denn man kann natürlich die Türen wieder bauen, man kann wieder Sachen hineinsetzen. Allerdings hat die Erfahrung gelehrt, wenn einmal eine solche Sozialstruktur und Lebensstruktur, wenn dieser Organismus des Basars einmal zerfällt, dann ist der nicht wieder gleichwertig aufzubauen und die jahrhundertealte Türen oder die zum Teil Jahrhunderte alte Inneneinrichtung sind auch für immer verloren.

    Meurer: Tore sind auch zerstört worden an der mittelalterlichen Festung, der Zitadelle oberhalb des Basars. Wie ordnen Sie diesen Vorfall jetzt, diesen Brand ein in den Zerstörungen von Kulturstätten, die es bisher in Syrien gegeben hat?

    Weber: Seit Monaten wird um Aleppo gekämpft und wir haben immer mit der Angst gelebt, dass das in die Altstadt hineingeht, was es bisher nicht getan hatte. So waren die Zerstörungen in der Altstadt bisher relativ gering. Es gibt ein Minarett aus dem 14. Jahrhundert, was einen großen Schaden hat, wie Sie sagten, die große fantastische Zitadelle, diese große Burg auf dem Burgberg. Da sind mittelalterliche Türen zerstört worden.

    Aber wenn man dann durchs Land reist – wir können es im Augenblick nur mental – und sich anhört, was zerstört worden ist, so sind diese Zerstörungen doch sehr groß, vor allen Dingen in der Stadt Hama und Homs. In Homs ist schon in diesem Frühjahr sehr viel kaputt gegangen. In Kulturerbestätten, Apamea und Tadmur, ist es zu großen Raubplünderungen gekommen. Man hat zum Teil dort auch mit Panzern versucht, Aufständische zu beschießen, ist dann gerade in Apamea durch die Grabungsstätte gefahren und hat eine mittelalterliche Festung, in der sich die Rebellen verschanzt hatten, beschossen.

    Meurer: An dem Punkt, würden Sie sagen, Herr Weber, sind es doch eher die Regierungstruppen, die zerstören?

    Weber: Das kann man so nicht sagen. Im Straßenkampf sind natürlich beide dabei. Wenn es jedoch zu großen Luftangriffen kommt mit Artillerie-Beschlüssen, dann ist das natürlich die Regierungsseite, und wir wissen vor allen Dingen durch die großen Zerstörungen 1982 schon, bei einem Aufstand noch damals der Vater vom jetzigen Assad, sind drei Viertel der Stadt Hama dem Boden gleich gemacht worden, ohne mit der Wimper zu zucken.

    Sobald die Regierung in Gefahr ist, wird sie keine Skrupel haben, in diese Altstädte hinein mit Bomben und Panzern zu gehen, und in Homs ist es zum Teil auch schon so passiert. Das heißt, die großen Schäden allein durch die Waffengattung passieren im Augenblick durch die Regierungstruppen.

    Meurer: Noch kurz: Gibt es irgendetwas, was man tun kann?

    Weber: Man kann versuchen, den Menschen selber zu helfen. Das ist das Wichtigste. Hinsichtlich der Kulturerbestätten ist es im Augenblick kaum möglich, was zu tun, außer dass man die Objekte auf dem Kunstmarkt, die wahrscheinlich demnächst hier in Europa oder aber auch in anderen Orten der Welt angespült werden in den Auktionshäusern, dass man diese sicherlich nicht kauft und man nicht dazu beiträgt, dass durch große Raubplünderungen, Raubgrabungen in Museen oder archäologischen Stätten hier Ähnliches passiert wie in Irak, wo im Millionenwert Objekte der Kulturgeschichte von dort ausgegraben werden, der Zusammenhang verloren geht, die Objekte dem Land verloren gehen und damit auch ein Teil der Geschichte dieses Landes verloren geht.

    Meurer: Der Basar von Aleppo ist ausgebrannt – über die Zerstörungen dort und in Syrien sprach ich mit Stefan Weber, dem Direktor des Museums für Islamische Kunst in Berlin. Herr Weber, danke schön und auf Wiederhören.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.


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