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"Man kann das schaffen in 12 Jahren"

Die Erfahrung in Sachsen hat nach Ansicht der Gymnasiallehrerin Ina Strehlow gezeigt, dass das Abitur in 12 Jahren zu bewältigen ist. Natürlich sei die Arbeitsbelastung der Schülerinnen und Schüler da, aber durch betreute Hausaufgabenbetreuung könne man beispielsweise effektiver arbeiten. Diskussionen gebe es immer wieder über den Umfang der Lehrpläne.

Moderation: Elke Durak |
    Elke Durak: Vom Osten lernen heißt das doch siegen lernen? Was in den neuen Bundesländern seit Jahren Alltag ist, sorgt im Westen für gehörige Aufregung, für ganz viel Ärger, Verzweiflung auch bei Schülern, Eltern und Lehrern: das Abitur nach zwölf Jahren insgesamt Unterricht - auch G8 genannt. Was bisher in 13 Jahren vermittelt wurde, ist nun in 12 gepresst. Eine Folge: immer mehr Gymnasiasten im Westen werden komplett überfordert, haben oft nicht einmal Zeit zum Essen und manche Eltern schreiben ihre Kinder schon mal krank, nur um ihnen etwas Zeit zur Erholung zu geben. Was läuft da falsch? - Die Kultusministerkonferenz befasst sich heute und morgen in Berlin damit.

    Weshalb geht es im Osten, im Westen aber offensichtlich nicht? Was müsste geändert werden? Ina Strehlow könnte das wissen. Sie ist Lehrerin am Glückauf-Gymnasium Dippoldiswalde/Altenberg in Sachsen und in der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft im Arbeitskreis Gymnasien tätig. In einer Freistunde erreichen wir sie. Danke schön, Frau Strehlow, dass Sie uns ein paar Minuten davon opfern. Einen schönen guten Tag!

    Ina Strehlow: Guten Tag!

    Durak: Zunächst einmal eine ganz einfache Frage. Haben die Schüler an Ihrem Gymnasium Zeit zum Mittagessen?

    Strehlow: Ja!

    Durak: Das ist schön. Wie organisieren Sie das? Andere schaffen das nicht.

    Strehlow: Wir haben zwei Standorte an unserer Schule. Der größere Standort mit zirka 700 Schülern in Dippoldiswalde hat eine gestaffelte Pausenregelung für die Mittagspause: jeweils eine halbe Stunde für jeweils einige Jahrgänge. Die Kleinen bis einschließlich 7. Klasse essen bereits um eins und die Größeren haben dann ab 14 Uhr die Möglichkeit. Durch Doppelstunden verschiebt sich diese Regelung auch mitunter, aber es hat jeder Schüler die Möglichkeit, ein warmes Mittagessen in der Schule einzunehmen.

    Durak: In dieser Zeit müssen die westdeutschen Gymnasiasten (jedenfalls viele) lernen. Lernen denn die ostdeutschen Gymnasiasten weniger als ihre Schülerkollegen im Westen, die 13 Jahre zur Schule gegangen sind?

    Strehlow: Unser "Vorteil" ist sicher an der Stelle, dass es bei uns schon immer so gewesen ist, dass die Schüler im Normalfall von 7.30 Uhr bis zirka 14 Uhr zur Schule gehen, weil wir ja schon immer nach 12 Jahren zum Abitur gekommen sind, so dass es bei uns auch schon immer dieses Angebot Mittags gegeben hat. Wir haben es durch Verschiebungen von Pausen beziehungsweise auch teilweise von Kürzungen von Frühstückspausen geschafft, diesen - -

    Durak: Frau Strehlow, ich meine jetzt nicht das Mittagessen, sondern ich meine inzwischen den Unterrichtsstoff, denn sie bewältigen ja schon länger in kürzerer Zeit den Stoff, den die Westdeutschen nicht schaffen.

    Strehlow: Wir hatten jetzt in Sachsen eine Umstellung der Lehrpläne und dabei ging es auch um Entfrachtung. Es wird immer von Lehrern geklagt, dass die Lehrpläne zu umfangreich sind, aber wenn es um Entfrachtung oder um Streichung von Inhalten geht, dann schreien alle Lehrer, genau das hätten wir aber darin behalten wollen. Also ich denke das ist eine Diskussion, die werden wir immer führen.

    Durak: Wovon haben sie sich denn getrennt, von welchen Unterrichtsstoffen?

    Strehlow: Das ist in jedem Fach ganz unterschiedlich gewesen. Vorher haben alle gerufen "wir wollen Kürzungen", jetzt sind die Kürzungen da und jetzt rufen alle "das genau hätte man nicht kürzen dürfen". Aber es sind halt zu Gunsten von Methoden Inhalte gestrichen worden und das ist natürlich ein Lernprozess, der bei allen einsetzen muss, dass ich am Ende zu einem ähnlicheren oder zu einem besseren Ziel komme.

    Durak: Frau Strehlow, was hat sich denn über all die Jahre in Sachsen - Sie sind ja übergangslos nach der Wende bei dieser Zeit fürs Gymnasium geblieben - besonders bewährt, was nachahmenswert wäre für diejenigen Länder, die gerade erst oder seit kurzem G8 machen?

    Strehlow: In Sachsen ist die Diskussion insofern schwierig, da wir nie diese Phase hatten, dass wir es mit 13 Jahren ausprobiert haben. In anderen ostdeutschen Bundesländern hat man es ausprobiert. Da geht man inzwischen wieder auf 12 Jahre zurück. Die Diskussion hat bei uns nie tatsächlich stattgefunden. Es hat auch in Sachsen nie lautstark die Forderung - weder von Lehrern, noch von Schülern, noch von Eltern - gegeben, dass wir in 13 Jahren zum Abitur wollen.

    Durak: Sie werden doch aber in der GEW (in der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft) Meinungen austauschen. Was können Sie denn Ihren westdeutschen Kollegen sagen, oder werden sie gar nicht gefragt?

    Strehlow: Wir sind der Auffassung, man kann das schaffen in den 12 Jahren. Wir bleiben dabei und wir stehen dahinter.

    Durak: Die Frage ist ja wie, Frau Strehlow? Wie ist das zu schaffen?

    Strehlow: Sie müssen mal nach Sachsen kommen und sich das anschauen. Natürlich ist die Belastung groß. Ich denke aber diese Belastungsklagerei wird es immer geben.

    Durak: Die Entrümpelung sagen wir mal des Unterrichtsstoffes, das muss sich doch irgendwie vergleichen lassen, obwohl Lehrer und Schulen ja große Freiheiten haben. Worauf kann man denn verzichten?

    Strehlow: Auf Fakten, auf Detail- und Faktenwissen.

    Durak: Und stattdessen was fördern?

    Strehlow: Stattdessen die Schüler dazu befähigen, sich selbst diese Fakten anzueignen und auch kritisch zu hinterfragen, welche Fakten tatsächlich Fakten sind, die der Wahrheit entsprechen, und anderes nicht, also die Schulen so auszustatten, dass die Schüler auch in der Schule diese Möglichkeit haben, Material zu sichten.

    Durak: Frau Strehlow, wie sieht es denn mit Nachmittagsunterricht aus bei ihnen?

    Strehlow: Der normale planmäßige Unterricht endet in den Klassenstufen bis zur 8. Klasse um 14 Uhr und ab der Klassenstufe 8 gibt es einzelne Tage, wo bis zur einschließlich 8. Stunde, also bis zirka 15 Uhr unterrichtet wird. Durch das Kurssystem in der Abiturstufe gibt es Schüler, die an mehreren Tagen bis maximal 16 Uhr Unterricht haben, aber zwischendurch Freistunden.

    Durak: Inklusive aber Schulaufgaben noch?

    Strehlow: Exklusive! Schulaufgaben kommen noch dazu.

    Durak: Die kommen noch dazu. Darüber klagt man ja im Westen vor allen Dingen, dass die Schüler tagsüber völlig überlastet werden und abends dann noch Hausaufgaben machen sollen. Das ist körperlich und geistig für viele einfach nicht zu schaffen, vor allen Dingen für die Jüngeren im Gymnasium. Wie machen sie es denn?

    Strehlow: Bei uns gibt es zunehmend Schulen, die betreute Hausaufgabenangebote machen, so dass dies in vielen Schulen im Anschluss an den Unterricht in der Schule gemacht werden kann und damit auch die Zeit natürlich wesentlich effektiver genutzt wird, als wenn die Schüler vorher nach Hause fahren. Aber es gibt natürlich immer Diskussionen auch über Hausaufgaben, sie abzuschaffen oder nicht. Das muss man auch im Einvernehmen mit Schülern sehen, indem man sich unter den Kollegen austauscht, wann Hausaufgaben erteilt werden, und dass vor allen Dingen eine sinnvolle Hausaufgabenerteilung erfolgt und nicht so als Beschäftigungstherapie.

    Durak: Danke schön! - Ina Strehlow war das. Gymnasiallehrerin ist sie am Gymnasium Dippoldiswalde/Altenberg in Sachsen und in der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft im Arbeitskreis Gymnasien tätig. Danke Frau Strehlow für die Zeit, die Sie uns gewidmet haben. Auf Wiederhören!