Archiv


"Man kann ja Leute nicht dazu verurteilen, Reue zu zeigen"

Nach 26 Jahren Haft wegen neunfachen Mordes ist der frühere RAF-Terrorist Christian Klar heute aus der Justizvollzugsanstalt Bruchsal in Baden-Württemberg entlassen worden. Stefan Aust, einst Spiegel-Chefredakteur, hält die Freilassung für richtig. Für Terroristen sollten keine andere Gesetze als für normale Straftäter gelten. Klars Weigerung aber, sich mit seinen Taten auseinanderzusetzen, hinterlasse aber einen "bitteren Beigeschmack", so Aust.

Stefan Aust im Gespräch mit Bettina Klein |
    Bettina Klein: Nach 26 Jahren Haft ist also der frühere RAF-Terrorist Christian Klar heute aus der Justizvollzugsanstalt Bruchsal in Baden-Württemberg entlassen worden. Für den Januar hatte man damit gerechnet. Klar hatte allerdings, wie es hieß, einige Freistellungstage angesammelt. Er hat seine Strafe für neunfachen Mord abgesessen.
    Stefan Aust ist jetzt am Telefon, ehemaliger Chefredakteur des "Spiegel", Autor des Buches "Der Bader-Meinhof-Komplex", der inzwischen auch verfilmt wurde. Ich grüße Sie, Herr Aust.

    Stefan Aust: Guten Tag!

    Klein: Wir haben gerade ein paar Stimmen gehört: Unwohlsein hinsichtlich einer Freilassung, ohne dass der ehemalige Täter Reue gezeigt habe, andererseits ist das juristisch wasserdicht. Was empfinden Sie heute?

    Aust: Wissen Sie, wir haben in diesem Lande glücklicherweise keine Todesstrafe. Manche Terroristen würden sich das vielleicht wünschen, weil ja deren wesentliches Moment ist, sozusagen unsterblich zu werden, in die Geschichte einzugehen, zum Märtyrer zu werden. Wir haben das glücklicherweise nicht und eine lebenslange Freiheitsstrafe ist bei uns auch zeitlich begrenzt und ich bin der Auffassung, dass für Terroristen auch keine anderen Gesetze gelten sollten als für normale Straftäter.

    Klein: Freilassung von Christian Klar, ist das ein besonderer Tag im Zusammenhang mit der Aufarbeitung der RAF-Geschichte?

    Aust: Na ja, er ist, wenn man so will, der letzte aus der sagen wir mal zweiten Generation, also aus der Generation der RAF, die die Gründergeneration, also Bader, Meinhof, Ensslin, aus dem Gefängnis befreien wollte – durch Morde, durch Geiselnahmen, durch viele schreckliche Dinge. Insofern ist er eigentlich der letzte, der aus der Generation derjenigen stammt, die sozusagen den deutschen Herbst 1977 angerichtet haben mit der Entführung von Hans-Martin Schleyer, der späteren Ermordung, und die auch verantwortlich gewesen sind, auch wenn sie es selbst nicht direkt getan haben, für die Entführung der Lufthansa-Maschine "Landshut", für all diese Dinge in gewissem Sinne eine Symbolfigur. Es gibt ja im Übrigen nur noch eine einzige weitere Person aus dem Umfeld der RAF, die im Gefängnis sitzt. Das ist Birgit Hogefeld, die aber ja sehr viel später festgenommen worden ist. Insofern ist damit wohl tatsächlich ein wirkliches Kapitel beendet und ich glaube, das ist auch gut so.

    Klein: Aber insofern noch nicht wirklich beendet: wir haben noch keine wirkliche komplette Aufklärung über das, was damals geschehen ist, und Christian Klar hat offenbar ja auch noch nicht alles das gesagt, was er weiß.

    Aust: Er hat in Wahrheit überhaupt nichts gesagt. Das ist aber auch nicht so untypisch. Es gibt eigentlich nur wenige Mitglieder der RAF, zumindest wenige, die mal sozusagen zur Führungsspitze gehört haben, die tatsächlich Aussagen gemacht haben und die dadurch, wenn man so will, ihr Gewissen ein Stück erleichtert haben. Das hinterlässt natürlich einen bitteren Beigeschmack, dass man nicht den Eindruck hat, dass Christian Klar oder andere, die längst in Freiheit sind, sich tatsächlich mal mit ihren Taten, mit der Unmenschlichkeit ihrer Taten auseinandergesetzt haben. Aber wissen Sie, man kann ja Leute nicht dazu verurteilen, Reue zu zeigen. Vielleicht hilft es ihm, wenn er nach so vielen Jahren jetzt in die normale Welt entlassen wird, dass er Gespräche führen kann, auch führen muss, sich dann vielleicht mit großer Verspätung mit den Taten auseinanderzusetzen. Man soll die Hoffnung ja nie aufgeben.

    Klein: Aber dass er sich offenbar weiterhin an sein Schweigegelübde hält, das darf und muss ohne Konsequenzen bleiben?

    Aust: Wissen Sie, das ist ein Tatbestand, den man nicht wirklich einklagen kann. Man gibt den Leuten ja die Möglichkeit, nach einer bestimmten Zeit, auch wenn es viele Jahre sind, aus dem Gefängnis rauszukommen, damit man ihnen einen gewissen Freiraum, sozusagen einen Funken Hoffnung auf ein Leben in Freiheit gibt, um ihnen dadurch auch vielleicht zu erleichtern, sich wieder in die Gesellschaft zu integrieren und sich mit ihrer Vergangenheit auseinanderzusetzen. Bloß das können sie ja nicht durch eine unendliche Strafe erreichen, das können sie nicht durch andere Maßnahmen erreichen. Irgendwie muss man den Leuten dann auch ihre eigene Entscheidungsbefugnis zugestehen, auch wenn im Grunde solche Leute den Eindruck erwecken, als hätten sie überhaupt nichts gelernt.

    Klein: Er darf jetzt machen was er will, sagt sein Anwalt. Ist das so, oder gibt es für Sie Grenzen, die die Gesellschaft einem solchen Ex-Terroristen setzen muss?

    Aust: Ja, gut, er darf machen was er will, solange es im Rahmen der Gesetze bleibt, und er hat ja, so weit ich das weiß, auch versichert, dass er sich in Zukunft an die Gesetze halten wird und dass er sich legal verhalten wird, denn in dem Moment, in dem er wieder versuchen würde – ich meine, der ist ja inzwischen auch fast im Rentenalter -, wieder in den Terrorismus zu gehen, würde man ihn natürlich sofort wieder einsperren. Ich glaube, er wird sich schon entsprechend verhalten müssen und auch entsprechend verhalten wollen. Und im Übrigen, wenn es um die Frage geht, ob er nun eine Arbeit aufnehmen kann oder soll, da bin ich in der Tat der Meinung, dass es für Leute, die so lange im Gefängnis waren, dort ja auch zum Teil gearbeitet haben, absolut richtig und sinnvoll ist, nun dem Staat, den sie bekämpft haben, nicht auf der Tasche zu liegen, sondern wenigstens ihren eigenen Lebensunterhalt zu verdienen.

    Klein: Ein Aspekt in diesem Zusammenhang ist die Frage, wie gehen die Medien jetzt mit ihm um. Der Hamburger Innensenator Ahlhaus hat zwar mal gefordert, auf Interviews mit Klar zu verzichten. Unabhängig davon hat sich der Deutschlandfunk schon zuvor zunächst mal grundsätzlich dazu entschieden, ein solches Interview nicht zu führen. Wie sehen Sie das? Würden Sie ein Interview eines Magazins wie "Der Spiegel" zum Beispiel mit Klar befürworten, wenn Sie diese Entscheidung noch zu treffen hätten?

    Aust: Das kommt darauf an, was er zu erzählen hat. Erst einmal glaube ich, dass Politiker wie auch Herr Ahlhaus sich aus solchen Dingen raushalten sollten. Der maßt sich ja in der Zwischenzeit doch eine ganze Menge an, was eigentlich nicht im Bereich des Innensenators wirklich angesiedelt ist. Ich glaube, der will nur mal in die Zeitung kommen.
    Aber generell ist es so, dass man sich natürlich Gedanken darüber machen muss, ob man jemanden in aller Öffentlichkeit interviewt. Ich glaube, wenn Christian Klar tatsächlich aus seinen Taten gelernt hätte, wenn er sich damit auseinandergesetzt hätte, wenn er zur Aufklärung beitragen würde, hätte ich nicht das geringste Problem, ihn zu interviewen oder – nehmen wir mal an, man wäre Chefredakteur – zu erlauben oder zu versuchen, ihn zu interviewen. Solange er aber nichts zu sagen hat und sozusagen auf seiner stumpfen Position dieses albernen – Schweigegelübde kann man ja nicht sagen; man ist ja nicht im Kloster – Verhaltens zu beharren, dann wäre es auch wirklich unsinnig, ihm irgendeine Art von Sendeplatz oder Raum in einer Zeitschrift zuzubilligen.

    Klein: Danke schön! – Das war Stefan Aust, Autor und früherer "Spiegel"-Chefredakteur. Danke Ihnen für das Gespräch und einen schönen Tag noch.

    Aust: Danke auch. Tschüß!