Gerwald Herter: Und nun zu Dr. Brigitte Schmied. Sie behandelt seit 20 Jahren Aids-Patienten in Wien. Sie ist Präsidentin der österreichischen Aids-Gesellschaft und Vizepräsidentin der Wiener Konferenz. Guten Tag, Frau Dr. Schmied!
Brigitte Schmied: Guten Tag, Herr Herter!
Herter: Warum ist solch eine aufwendige Konferenz die richtige Antwort auf die Ausbreitung des HIV-Virus?
Schmied: Weil es sehr viel Aufmerksamkeit erweckt. Die weiteren Gründe sind viele Themen diskutiert in den verschiedensten Foren und damit auch zum Bewusstsein gebracht.
Herter: Es geht sicher auch um Ziele, die da im Kampf gegen Aids abgesteckt werden. Leider wurde ein großes Ziel verfehlt: Bis zu diesem Jahr, bis 2010, sollten weltweit alle Infizierten Zugang zu Medikamenten erhalten. Was ist das Ziel wert, wenn man es nicht erreicht?
Schmied: Es ist richtig, dass das Ziel nicht erreicht wurde. Man darf aber nicht übersehen, dass doch ganz, ganz große Fortschritte erzielt wurden in den letzten sieben Jahren im Speziellen. Und diese Fortschritte darf man nicht außer Acht lassen. Man muss natürlich bedenken, dass abgesehen von den finanziellen Mitteln, die zur Erreichung eines solchen Zieles notwendig sind, auch verschiedene andere Strukturen erst aufgebaut werden müssen. Und ich denke, man kann nicht wirklich von einem Misserfolg sprechen – es sind riesige Fortschritte gemacht worden. Ganz wichtig ist, dass diese Fortschritte und dass diese Entwicklung der letzten Jahre auch weitergeführt werden kann.
Herter: Befürchten Sie da, dass Hilfsetats, Hilfsgelder zusammengestrichen werden auch von Staaten wie Deutschland und Österreich wegen der Wirtschaftskrise?
Schmied: Das ist zu befürchten, völlig richtig, ja.
Herter: Und was können Sie dagegen tun?
Schmied: Aufmerksam darauf machen, wie wichtig das ist, das nicht zu tun – das ist der ganz entscheidende Punkt –, auf die Konsequenzen auch aufmerksam zu machen. Da muss man natürlich aber auch gerechterweise sich überlegen, wie kann man dieses Ziel erreichen, auch wenn man Einsparungen hinnehmen muss. Oder wie kann man rationalisieren. Das ist sicherlich auch ein Punkt, den zu diskutieren es schlicht und einfach legitim ist.
Herter: Sind die Medikamente immer noch zu teuer, kann die Pharmaindustrie mehr tun, um Medikamente billiger und zugänglicher zu machen?
Schmied: In den Ländern, in denen sehr großer Bedarf steht, sind natürlich die Medikamente um Wesentliches günstiger als in den sogenannten Industrieländern. Auch da hat es in den letzten Jahren Fortschritte gegeben, aber Tatsache ist, dass diese Fortschritte auch intensiviert werden müssen.
Herter: Also die Medikamente müssen noch billiger werden – richtig?
Schmied: Das wäre sicherlich von großem Vorteil, ja.
Herter: Sind Vertreter der Pharmaindustrie auch bei dieser Konferenz und diskutieren Sie auch mit diesen Vertretern darüber?
Schmied: Im Prinzip steht jedem frei, an der Konferenz teilzunehmen, und selbstverständlich werden diese Themen auch thematisiert.
Herter: Aids ist gar nicht so weit weg – Sie wollen auch darauf hinweisen, dass sich Aids in Osteuropa und Zentralasien schnell ausbreitet. Nehmen wir das Beispiel die Ukraine, wohl das Land mit der höchsten Infektionsrate in Europa. Ist Aids dort unterschätzt worden?
Schmied: Möglicherweise ist es unterschätzt worden. Das Problem in dieser Region ist natürlich, dass Medikamente in nicht ausreichendem Ausmaß zur Verfügung stehen und auch andere Präventionsstrategien nicht ausreichend zur Verfügung stehen, wie zum Beispiel die Opioid-Substitutionstherapie und Nadel- und Spritzentauschprogramme.
Herter: Das ist also Methadon, beispielsweise?
Schmied: Zum Beispiel, ja.
Herter: Wenn man Vorsorge betreiben will, Menschen behandeln will in Ländern wie der Ukraine und anderen osteuropäischen Staaten, dann trifft man auf Probleme wie ein Gesundheitswesen, das zusammengebrochen ist, privatisiert wird durch die Hintertür. Korruption in Krankenhäusern ist Normalität. Homosexuelle werden diskriminiert – stoßen Sie da nicht an gesellschaftliche Probleme?
Schmied: Natürlich. Deshalb – das ist ja mit einer der Gründe, warum es schwierig ist, diese Ziele umzusetzen und warum es letztlich auch längere Zeit benötigt, um diese Ziele umzusetzen. Aber auch da, denke ich, hat die Konferenz eine ganz, ganz wichtige Aufgabe, eben diese Problematik zu thematisieren. Und das tut sie ja auch. Und durch die Diskussionen über auch alle diese Themen hat man ja schon in Vorkonferenzen gesehen – also zum Beispiel 1996 oder 2000 in den Konferenzen –, dass dadurch dann wirklich ein Umdenken auch begonnen hat und in der Folge dann halt auch eine Änderung eingetreten ist.
Herter: Das gilt auch für die Ukraine?
Schmied: Wir hoffen es, oder ich hoffe es. Ob das auch so sein wird, das weiß ich nicht, aber das Ziel ist es jedenfalls. Und im Jahr 2000 war ja die Konferenz in Durban. Und nach dieser Konferenz hat wirklich ein Meinungsumschwung auch in der Politik stattgefunden. Ob das in der Ukraine auch so sein wird, das kann ich nicht vorhersagen.
Herter: Sie hören den Deutschlandfunk, ein Interview mit der Vizepräsidentin der Aids 2010 in Wien mit Dr. Brigitte Schmied. Frau Schmied, seit zwei Jahrzehnten kümmern Sie sich in Wien um Aids-Patienten, gab es damals Ärzte und Schwestern, die sich geweigert haben, diese Patienten zu behandeln?
Schmied: Ja, das gab es, in relativ umfangreichem Ausmaß auch.
Herter: Haben Sie dieses Problem heutzutage auch noch?
Schmied: Nicht wirklich, nein.
Herter: Welche anderen Probleme gehören in zwischen der Vergangenheit an – Sie haben vorhin von Fortschritten gesprochen?
Schmied: Die HIV-Infektion ist in der Zwischenzeit eine behandelbare Erkrankung geworden. Wenn die Therapie zur Verfügung steht, wie in unseren Ländern, dann haben die Menschen eine mehr oder weniger normale Lebenserwartung, was natürlich aber nicht heißen soll, dass das Leben mit dem HI-Virus unkompliziert ist.
Herter: Haben Ärzte, Mediziner begriffen, dass es sich um ein gesellschaftliches Problem handelt und dass es nicht allein um ein medizinisches Problem geht?
Schmied: Das hoffe ich sehr.
Herter: Dr. Brigitte Schmied, Ärztin und Vizepräsidentin der Wiener Welt-Aids-Konferenz. Das Gespräch haben wir vor der Sendung aufgezeichnet.
Weitere Berichte bei dradio.de:
Internationale AIDS-Konferenz in Wien: HIV inmitten der russischen Gesellschaft
Brigitte Schmied: Guten Tag, Herr Herter!
Herter: Warum ist solch eine aufwendige Konferenz die richtige Antwort auf die Ausbreitung des HIV-Virus?
Schmied: Weil es sehr viel Aufmerksamkeit erweckt. Die weiteren Gründe sind viele Themen diskutiert in den verschiedensten Foren und damit auch zum Bewusstsein gebracht.
Herter: Es geht sicher auch um Ziele, die da im Kampf gegen Aids abgesteckt werden. Leider wurde ein großes Ziel verfehlt: Bis zu diesem Jahr, bis 2010, sollten weltweit alle Infizierten Zugang zu Medikamenten erhalten. Was ist das Ziel wert, wenn man es nicht erreicht?
Schmied: Es ist richtig, dass das Ziel nicht erreicht wurde. Man darf aber nicht übersehen, dass doch ganz, ganz große Fortschritte erzielt wurden in den letzten sieben Jahren im Speziellen. Und diese Fortschritte darf man nicht außer Acht lassen. Man muss natürlich bedenken, dass abgesehen von den finanziellen Mitteln, die zur Erreichung eines solchen Zieles notwendig sind, auch verschiedene andere Strukturen erst aufgebaut werden müssen. Und ich denke, man kann nicht wirklich von einem Misserfolg sprechen – es sind riesige Fortschritte gemacht worden. Ganz wichtig ist, dass diese Fortschritte und dass diese Entwicklung der letzten Jahre auch weitergeführt werden kann.
Herter: Befürchten Sie da, dass Hilfsetats, Hilfsgelder zusammengestrichen werden auch von Staaten wie Deutschland und Österreich wegen der Wirtschaftskrise?
Schmied: Das ist zu befürchten, völlig richtig, ja.
Herter: Und was können Sie dagegen tun?
Schmied: Aufmerksam darauf machen, wie wichtig das ist, das nicht zu tun – das ist der ganz entscheidende Punkt –, auf die Konsequenzen auch aufmerksam zu machen. Da muss man natürlich aber auch gerechterweise sich überlegen, wie kann man dieses Ziel erreichen, auch wenn man Einsparungen hinnehmen muss. Oder wie kann man rationalisieren. Das ist sicherlich auch ein Punkt, den zu diskutieren es schlicht und einfach legitim ist.
Herter: Sind die Medikamente immer noch zu teuer, kann die Pharmaindustrie mehr tun, um Medikamente billiger und zugänglicher zu machen?
Schmied: In den Ländern, in denen sehr großer Bedarf steht, sind natürlich die Medikamente um Wesentliches günstiger als in den sogenannten Industrieländern. Auch da hat es in den letzten Jahren Fortschritte gegeben, aber Tatsache ist, dass diese Fortschritte auch intensiviert werden müssen.
Herter: Also die Medikamente müssen noch billiger werden – richtig?
Schmied: Das wäre sicherlich von großem Vorteil, ja.
Herter: Sind Vertreter der Pharmaindustrie auch bei dieser Konferenz und diskutieren Sie auch mit diesen Vertretern darüber?
Schmied: Im Prinzip steht jedem frei, an der Konferenz teilzunehmen, und selbstverständlich werden diese Themen auch thematisiert.
Herter: Aids ist gar nicht so weit weg – Sie wollen auch darauf hinweisen, dass sich Aids in Osteuropa und Zentralasien schnell ausbreitet. Nehmen wir das Beispiel die Ukraine, wohl das Land mit der höchsten Infektionsrate in Europa. Ist Aids dort unterschätzt worden?
Schmied: Möglicherweise ist es unterschätzt worden. Das Problem in dieser Region ist natürlich, dass Medikamente in nicht ausreichendem Ausmaß zur Verfügung stehen und auch andere Präventionsstrategien nicht ausreichend zur Verfügung stehen, wie zum Beispiel die Opioid-Substitutionstherapie und Nadel- und Spritzentauschprogramme.
Herter: Das ist also Methadon, beispielsweise?
Schmied: Zum Beispiel, ja.
Herter: Wenn man Vorsorge betreiben will, Menschen behandeln will in Ländern wie der Ukraine und anderen osteuropäischen Staaten, dann trifft man auf Probleme wie ein Gesundheitswesen, das zusammengebrochen ist, privatisiert wird durch die Hintertür. Korruption in Krankenhäusern ist Normalität. Homosexuelle werden diskriminiert – stoßen Sie da nicht an gesellschaftliche Probleme?
Schmied: Natürlich. Deshalb – das ist ja mit einer der Gründe, warum es schwierig ist, diese Ziele umzusetzen und warum es letztlich auch längere Zeit benötigt, um diese Ziele umzusetzen. Aber auch da, denke ich, hat die Konferenz eine ganz, ganz wichtige Aufgabe, eben diese Problematik zu thematisieren. Und das tut sie ja auch. Und durch die Diskussionen über auch alle diese Themen hat man ja schon in Vorkonferenzen gesehen – also zum Beispiel 1996 oder 2000 in den Konferenzen –, dass dadurch dann wirklich ein Umdenken auch begonnen hat und in der Folge dann halt auch eine Änderung eingetreten ist.
Herter: Das gilt auch für die Ukraine?
Schmied: Wir hoffen es, oder ich hoffe es. Ob das auch so sein wird, das weiß ich nicht, aber das Ziel ist es jedenfalls. Und im Jahr 2000 war ja die Konferenz in Durban. Und nach dieser Konferenz hat wirklich ein Meinungsumschwung auch in der Politik stattgefunden. Ob das in der Ukraine auch so sein wird, das kann ich nicht vorhersagen.
Herter: Sie hören den Deutschlandfunk, ein Interview mit der Vizepräsidentin der Aids 2010 in Wien mit Dr. Brigitte Schmied. Frau Schmied, seit zwei Jahrzehnten kümmern Sie sich in Wien um Aids-Patienten, gab es damals Ärzte und Schwestern, die sich geweigert haben, diese Patienten zu behandeln?
Schmied: Ja, das gab es, in relativ umfangreichem Ausmaß auch.
Herter: Haben Sie dieses Problem heutzutage auch noch?
Schmied: Nicht wirklich, nein.
Herter: Welche anderen Probleme gehören in zwischen der Vergangenheit an – Sie haben vorhin von Fortschritten gesprochen?
Schmied: Die HIV-Infektion ist in der Zwischenzeit eine behandelbare Erkrankung geworden. Wenn die Therapie zur Verfügung steht, wie in unseren Ländern, dann haben die Menschen eine mehr oder weniger normale Lebenserwartung, was natürlich aber nicht heißen soll, dass das Leben mit dem HI-Virus unkompliziert ist.
Herter: Haben Ärzte, Mediziner begriffen, dass es sich um ein gesellschaftliches Problem handelt und dass es nicht allein um ein medizinisches Problem geht?
Schmied: Das hoffe ich sehr.
Herter: Dr. Brigitte Schmied, Ärztin und Vizepräsidentin der Wiener Welt-Aids-Konferenz. Das Gespräch haben wir vor der Sendung aufgezeichnet.
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