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"Man kann sich auch totsparen"

"Das ist ein verheerendes Signal," sagt Professor Peter Dominiak, Präsident der Universität Lübeck, zu den Plänen der Landesregierung Schleswig-Holstein, den Studiengang Medizin zu schließen. Das treffe nicht nur 2000 Studierende, sondern die ganze Region.

Peter Dominiak im Gespräch mit Tobias Armbrüster |
    Tobias Armbrüster: Wenn über Bildung in Deutschland gesprochen wird, dann werden Politiker gerne etwas pathetisch. Von der wichtigsten Ressource, die wir haben, ist dann häufig die Rede, oder davon, dass wir an allen anderen Ecken und Enden sparen dürfen, nur nicht an der Ausbildung der nächsten Generation. Tatsächlich wollen Bund und Länder die Ausgaben für Schulen und Universitäten in den kommenden Jahren nicht zurückfahren, sondern erhöhen, aber das ist kein Blankoscheck für das komplette Bildungswesen, denn der Sparzwang in den Bundesländern vor allem, der ist groß.

    In Lübeck plant die Landesregierung von Schleswig-Holstein jetzt einen besonders drastischen Schritt. Sie will den kompletten Studiengang für Medizin an der Universität der Stadt schließen. – Am Telefon bin ich verbunden mit Peter Dominiak. Er ist Mediziner und Präsident der Universität Lübeck. Schönen guten Morgen, Herr Professor Dominiak.

    Peter Dominiak: Guten Morgen, Herr Armbrüster.

    Armbrüster: Was sagen Sie zu den Plänen, diesen Medizin-Studiengang zu schließen?

    Dominiak: Wir sind der Meinung, wenn man den Studiengang komplett schließt, dass das praktisch hier ans Herz unserer Universität rührt, denn die Medizin ist unser zentraler Studiengang. Die anderen Studiengänge sind direkt davon abhängig - das ist bei der Akkreditierung der anderen drei Studiengänge auch sehr deutlich gemacht worden – und das würde bedeuten, dass auch die anderen Studiengänge verloren gingen.

    Armbrüster: Heißt das, Sie spekulieren oder Sie befürchten, dass die komplette Universität dann irgendwann dicht gemacht werden muss?

    Dominiak: Ja. Das spekulieren nicht nur wir, sondern das haben viele andere, die sich in der Universitätslandschaft gut auskennen, auch gesagt, zuletzt gestern Herr Austermann, der in den "Lübecker Nachrichten" ja auch eine Presseerklärung abgegeben hat, und Herr Austermann hat ja sehr viel bei uns hier in Schleswig-Holstein aufgebaut, vor allen Dingen Lübeck, die Medizin und auch die Medizintechnik, und es würde natürlich dann hier in Lübeck auch die Medizintechnik betreffen. Also es geht nicht nur der Studiengang und andere Studiengänge verloren, sondern es beträfe auch die Medizintechnik.

    Armbrüster: Was genau erhofft sich die Landesregierung denn davon, wenn sie den Studiengang Medizin dicht macht?

    Dominiak: Die Landesregierung erhofft sich eine starke Einsparung. Wenn man die gesamte Einsparsumme auf dem Gebiet der Bildung und Wissenschaft nimmt, dann leistet Lübeck hier 90 Prozent der Einsparsumme - das ist also unglaublich viel -, und deshalb kann man sich auch gut vorstellen, dass es die ganze Universität betrifft, denn wir sind eine kleine Universität und nicht wie Kiel eine große Volluniversität.

    Armbrüster: Aber gespart werden muss ja zurzeit überall, das kriegen wir auch überall mit, hören wir immer in den Nachrichten, und ich kann mir vorstellen, dass viele Leute jetzt sagen, besser wir sparen ein kleines bisschen an den Universität, als zum Beispiel bei Hartz-IV-Empfängern.

    Dominiak: Das ist richtig. Wir bestreiten ja auch gar nicht den Einsparzwang im Land Schleswig-Holstein. Im Gegenteil: wir finden ja gut, dass eingespart wird. Aber man kann sich erstens auch totsparen und es wurde ja gesagt, wir tun das für unsere kommende Generation. Aber wenn man gleichzeitig an der Bildung dann so einspart wie hier – es geht ja immerhin doch um mehr als 2.000 Studienplätze -, dann weiß ich nicht, was man der kommenden Generation damit Gutes tut. Und es ist ja nicht nur die kleine Universität – das hat die Bevölkerung Lübecks ja auch begriffen -, es hängt ja auch hier die Region daran und natürlich die ganze Stadt, denn es haben sich hier wegen der Medizin zwischen Lübeck und auch Hamburg etwa 600 bis 700 kleine Betriebe angesiedelt, die eben direkt mit der Medizin verbunden sind und auch von der Medizin teilweise abhängig sind.

    Armbrüster: Welches Signal geht denn eigentlich von einer solchen Entscheidung in das deutsche Bildungswesen aus? Welchen Eindruck haben Sie da?

    Dominiak: Das ist ein verheerendes Signal, denn von überall her haben wir entsprechende Solidaritätsadressen bekommen. Die Präsidentin der Hochschulrektorenkonferenz hat an den Ministerpräsidenten und an den Minister geschrieben und hat von Unverantwortlichkeit sogar gesprochen. Sie haben vielleicht gelesen, was Herr Austermann gestern geschrieben hat. Der hat auch genau geschrieben: wenn man das hier tut, dann zerhackt man gewachsene Strukturen. Wir bekommen das mittlerweile von überall her. Die "Süddeutsche Zeitung" hat geschrieben, die "FAZ" hat geschrieben und ich verstehe nicht, dass man vielleicht jetzt doch zurückrudert und auch mal bekennt, dass man einen Fehler gemacht hat. Jeder kann Fehler machen und ich erwarte eigentlich von einer Regierung auch, dass sie mal einen Fehler zugibt und sagt, da müssen wir uns noch mal hinsetzen und vielleicht darüber nachdenken und auch noch mal nachrechnen.

    Armbrüster: Haben Sie denn Hoffnung, dass das noch passiert nach der ganzen ausführlichen Berichterstattung der letzten Tage?

    Dominiak: Wir haben schon Hoffnung und wir haben ja auch verabredet, dass die Universität zu Lübeck einen Gegenvorschlag macht, der die gleiche Einsparsumme enthält, aber bei Beibehaltung der Medizin, und wir werden das auch Ende der Woche beim Ministerium und bei der Landesregierung abgeben.

    Armbrüster: Wie genau, Herr Dominiak, schließt man denn eigentlich einen Studiengang, wenn es jetzt dazu kommen würde? Würde das nach und nach geschehen, oder auf einen Schlag, dass man einfach sagt, ab nächstem Semester geht nichts mehr?

    Dominiak: Man schließt auf einen Schlag, denn der Beschluss lautet, dass ab nächstem Jahr Wintersemester, das heißt 2011/12, kein Student mehr in Medizin hier immatrikuliert werden darf.

    Armbrüster: Das heißt aber, dass die, die zurzeit noch studieren, noch weiter studieren können?

    Dominiak: Das sagt die Landesregierung, aber wenn man weiß, wie eine Universität funktioniert, was das für ein sensibles System ist, wie Wissenschaftler funktionieren, dann ist doch ganz klar, dass viele Wissenschaftler, die noch wettbewerbsfähig sind, sich wegbewerben, weil sie sagen, an einer Universität, die so unsicher ist, will ich nicht mehr forschen und lehren, und dann ist natürlich fraglich, ob die Studenten, die noch hier sind, zu Ende studieren können.

    Armbrüster: Hat da denn jetzt schon der große Exodus eingesetzt?

    Dominiak: Bis jetzt noch nicht, aber wir haben einige Professoren, die bereits Rufe woanders hin haben, und wenn jemand dann Rufe woanders hin hat, setzt man sich zusammen, überlegt, ob man ihn behalten kann, und die haben uns alle gesagt, wenn wir nicht bald wissen, ob die Medizin hier in Lübeck erhalten bleibt, dann gehen wir. Ich verhandele ja auch gerade mit anderen Professoren, die wir hier nach Lübeck berufen wollen, und die rufen mich alle an und sagen, kann man mit ihnen überhaupt noch verhandeln, hat das noch einen Sinn. Und wir wissen: zurzeit laufen ja gerade die Bewerbungsfristen für Studenten und auch die rufen täglich an und fragen, ob man sich in Lübeck überhaupt noch für ein Studium bewerben kann, ob das noch sinnvoll ist.

    Armbrüster: Was machen denn die Studenten, die zurzeit noch in Lübeck studieren? Suchen die sich schon andere Fakultäten in Deutschland?

    Dominiak: Nein, das tun sie nicht. Unsere Studenten, die muss ich hier mal wirklich sehr groß loben. Die haben sich ganz toll solidarisiert mit ihrer Universität. Die sind auf die Straße gegangen nach Kiel mit uns zusammen, haben demonstriert für ihre Universität, für den Erhalt ihrer Universität, und ich muss auch sagen, dass die Studenten den nötigen Druck machen, den wir auch brauchen, um verhandeln zu können.

    Armbrüster: …, sagt Peter Dominiak, der Präsident der Universität Lübeck. Dort steht die medizinische Fakultät, der Studiengang Medizin, kurz vor der Schließung. Vielen Dank, Herr Dominiak, für das Gespräch.

    Dominiak: Vielen Dank.