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"Man kann sich nicht unter Zeitdruck bringen lassen"

Außenministerin Hillary Clinton sei es wichtiger gewesen, die Wirtschaftsgespräche mit China weiterzuführen, als großes Gewicht auf die Menschenrechte zu legen, kritisierte der ehemalige US-Botschafter in Deutschland, John Kornblum. Das bringe die US-Regierung nun in eine ziemlich schwierige Lage.

John Kornblum im Gespräch mit Jasper Barenberg |
    Jasper Barenberg: Zunächst sah alles nach einer für beide Seiten akzeptablen Abmachung aus. Der blinde Dissident Chen Guangcheng würde die US-Botschaft nach sechs Tagen verlassen, seine Familie wiedersehen und dann an einem, wie es hieß, sicheren Ort in China eine Universität besuchen. Und dann das: Ein paar Tage später fühlt sich der Bürgerrechtler ohne Schutz in einem Pekinger Krankenhaus. Er bittet US-Präsident Obama um Hilfe, er verlangt die Ausreise für sich. Längst beschäftigt die dramatische Entwicklung auch den Kongress in Washington.
    Am Telefon begrüße ich den ehemaligen Botschafter der USA in Deutschland. Schönen guten Morgen, John Kornblum.

    John Kornblum: Guten Morgen!

    Barenberg: Herr Kornblum, erlebt die US-Regierung gerade ein diplomatisches Fiasko?

    Kornblum: Na ja, man muss sagen, es geht ihnen im Moment nicht sehr gut in dieser Sache. Dieses Problem ist interessant, weil es auf der einen Seite ein traditionelles Problem ist. Die Suche nach Asyl in Botschaften ist eine alte Praxis. Es hat zum Beispiel im Kalten Krieg mehrere ziemlich wichtige Beispiele gegeben. Ein Kardinal hat in Ungarn in unserer Botschaft 15 Jahre lang gelebt, bis er befreit wurde. Also das ist nichts Neues. Aber was hier neu ist, ist die Mischung aus Politik, Menschenrechten, Wirtschaft und interessanterweise Technologie. Die Tatsache, dass dieser junge Mann, der angeblich ziemlich unter Hausarrest ist in einem Pekinger Krankenhaus, immer noch direkt telefonieren konnte in eine Anhörung des amerikanischen Kongresses, ist, würde ich sagen, wirklich eine Neuheit für die Diplomatie.

    Barenberg: Diese direkte Kommunikation in den US-Kongress hinein?

    Kornblum: Ja. Aber ich glaube, wichtig ist hier die Frage, hat sich die Obama-Administration selbst unter Druck gebracht, indem Secretary Clinton und Geithner in Peking waren für wichtige wirtschaftliche Gespräche, und dann sehen wir wieder die enge Verbindung zwischen Wirtschaft und Politik. Die Praxis zeigt – ich habe selber an solchen Verhandlungen teilgenommen in den 80er-Jahren, wo DDR-Familien sich in unserer Botschaft mehrmals festgemacht hatten -, das einzige wirkliche Instrument in einer solchen Diskussion ist Zeit. Man kann sich nicht unter Zeitdruck bringen lassen.

    Barenberg: Ist das der Vorwurf, den Sie der amerikanischen Regierung machen? Das ist ja auch ein Vorwurf, den Menschenrechtsgruppen in den USA erheben, das Thema ist längst im innenpolitischen Wahlkampf angekommen, wir haben gerade in dem Beitrag gehört, dass auch Mitt Romney meint, man habe sich unter Zeitdruck auf einen Handel eingelassen, ohne sicherstellen zu können, dass China seine Versprechen auch wirklich einhält.

    Kornblum: Ja, das ist auch mein Eindruck. Ich meine, die beiden Minister sitzen da und wollten wichtige Wirtschaftsgespräche haben, und man hat den Eindruck, dass die diese Gespräche nicht stören wollten und dass sie sehr schnell zu einem Schluss gekommen sind, der anscheinend – wir sind weit weg – nicht richtig abgesichert wurde, und das bringt sie jetzt in eine Zwickmühle, wo es sehr schwierig sein wird, jetzt rauszukommen.

    Barenberg: Wir wissen in der Tat wenig über die Vorgänge, über die Verhandlungen auch in der amerikanischen Botschaft und manches ist widersprüchlich von dem, was wir erfahren und was die beiden Seiten der Öffentlichkeit sagen. Sie haben eben angedeutet, wie wichtig die Handels- und Währungsgespräche sind, Gespräche auch zu internationalen Konflikten, die die Außenministerin und auch der Finanzminister in Peking führen wollen. Kann man das so wenden, dass China als immer stärker werdende Großmacht inzwischen so mächtig ist, dass die USA nicht mehr pochen können auf die Einhaltung beim Schutz von Menschenrechten, wie das in diesem Fall eben so offensichtlich ist?

    Kornblum: Ich würde nicht so weit gehen. Ich glaube, China hat in diesem Jahr sehr viele Schwächen gezeigt und das macht die Lage eigentlich schwieriger. Wenn China so stark und selbstbewusst wäre, würde es wahrscheinlich einfacher sein, mit ihnen zu handeln. Aber ich würde Ihnen hundertprozentig Recht geben in einer Feststellung, und das ist, dass zur Zeit des Kalten Krieges, als so etwas passierte oder andere Menschenrechtsfragen da waren, konnte der Westen, konnten die Vereinigten Staaten mehr oder weniger ohne Mühe die Sowjetunion unter Druck bringen, weil wir so gut wie keine wirtschaftlichen Beziehungen hatten. Jetzt haben wir sehr, sehr weit gefächerte wirtschaftliche Beziehungen, nicht nur die Vereinigten Staaten, sondern auch die europäischen Staaten, und das heißt, dass einfach eine sehr starke deflektorische Politik zu machen, wie zum Beispiel von Romney, was auch in Ihrem Bericht gezeigt wurde, das ist zunehmend wichtig – nicht, weil China unbedingt so äußerst stark ist, sondern weil wir einfach miteinander verflochten sind, und das ist wie in einer Netzwerkbeziehung, dass man nicht einfach einen Punkt sehr stark betonen kann, ohne zu wissen, dass die anderen Punkte auch infrage gestellt werden.

    Barenberg: In den USA – das wurde ja auch in dem Bericht erwähnt – hat die Vertreterin von Human Rights Watch vorgeschlagen, die beiden Minister, die gerade in Peking sind, könnten sich doch einfach ins Auto setzen und auf einem Gespräch mit Chen bestehen. Ist es in der Tat so, dass jetzt der Einfluss der USA in diesem Fall dramatisch gesunken ist, wo er eben nicht mehr in der Obhut der Botschaft ist?

    Kornblum: Ja. Sie haben ja ihre Vorteile – die Vereinigten Staaten meine ich jetzt – etwas verloren, indem sie ihn haben gehen lassen, bevor sie sicher waren. Zum Beispiel sie haben anscheinend nicht das Recht gesichert, ihn im Krankenhaus zu besuchen, was ich meine ein Minimumpunkt gewesen wäre. Anders herum: Clinton hat ja gestern auf der Eröffnung dieser Konferenz gesagt, die chinesisch-amerikanischen Beziehungen waren nie besser gewesen als heute. Das war wahrscheinlich auch eine etwas unüberlegte Aussage. Mitten in einer Menschenrechtskrise kann man das eigentlich nicht sagen.

    Barenberg: Der Staatspräsident Hu Jintao hat gestern gesagt, es sei wichtig, mit den Differenzen so umzugehen, dass sie nicht die übergeordneten Interessen der chinesisch-amerikanischen Beziehungen untergraben, also ein Wink mit dem Zaunpfahl, solche Themen doch möglichst diskret zu behandeln. Ist das nach diesem Fall oder mit diesem Fall eigentlich vorbei?

    Kornblum: Es ist mindestens sehr schwierig gewesen. Ich meine, wir wissen, mindestens ich weiß sehr wenig darüber, wie er aus seiner - - Er war mehr oder weniger in einer Art Gefängnislage in seinem eigenen Haus. Ich persönlich weiß nicht, wie er da schnell herausgekommen ist und in die amerikanische Botschaft gekommen ist. Aber er hat wahrscheinlich diesen Zeitpunkt versucht, um seine Lage zu dramatisieren, da die beiden Minister da waren etc. Im Endeffekt: es ist, wenn ich das so sagen darf, ein Prinzip der Diplomatie, wenn man in einer solchen schwierigen Lage ist, muss man auch bereit sein, diesen Vorteil, den man da hat, zu riskieren oder sogar zu verlieren, und das ist natürlich eine Frage der Abwägung. Clinton meinte, es sei wichtiger, die Wirtschaftsgespräche weiterzuführen, als sehr viel Gewicht auf die Menschenrechtsfrage zu legen – kann sein, vielleicht -, aber das bringt die Administration jetzt in eine ziemlich schwierige Lage zuhause.

    Barenberg: Und was den Bürgerrechtler betrifft, Chen Guangcheng, ist jetzt überhaupt noch vorstellbar, dass es eine schnelle Lösung geben wird?

    Kornblum: Nein, ich glaube nicht. Aber es ist durchaus möglich, dass er doch rauskommt und doch in die Vereinigten Staaten kommt. Das meine ich. Ich glaube, auf der einen Seite, wenn man das aus seiner Sicht sieht, hat er ziemlich gewonnen, weil früher war er einfach isoliert in seinem Haus. Jetzt ist er ein Casus Belli in der ganzen Welt und es wird sehr schwierig für die Chinesen, ihn einfach verschwinden zu lassen. Wir haben das gesehen vorletztes Jahr mit dem Nobelpreisgewinner, der wurde auch isoliert und allmählich kam er raus und jetzt ist er im Westen. Ich glaube, dass die Chinesen im Endeffekt auch sehr pragmatisch sind und dass sie ihn wahrscheinlich irgendwann rauslassen werden.

    Barenberg: Wir müssen zum Schluss kommen, leider, Herr Kornblum. Ich bedanke mich aber für das Gespräch. - Der ehemalige Botschafter der USA in Deutschland. Herr Kornblum, danke!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.