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"Man merkt die Unzulänglichkeit der Verträge"

Angestoßen durch die Schuldenkrise in Griechenland fordert Joachim Fritz-Vannahme, Europaexperte bei der Bertelsmann-Stiftung, eine europäische Wirtschaftsregierung mit entsprechenden Spielregeln, wie sie in einem gemeinsamen Währungsraum unabdingbar sind.

Joachim Fritz-Vannahme im Gespräch mit Bettina Klein | 24.03.2010
    Bettina Klein: Es geht um das konkrete Beispiel Griechenland, aber es geht auch um Grundsätzliches.

    Wir müssen unsere griechischen Freunde unterstützen.

    O-Ton Angela Merkel: Griechenland ist nicht zahlungsunfähig, und deshalb ist die Frage der Hilfen auch nicht die, die wir jetzt diskutieren müssen.

    O-Ton Guido Westerwelle: Es kann nicht so sein, dass Deutschland Geld ins Schaufenster legt und der Reformdruck in Griechenland nachlässt.

    Klein: Stimmen aus den vergangenen Tagen, zuletzt hörten wir Außenminister Guido Westerwelle. – Und es deutet sich an, dass man nun eine grundsätzliche Lösung unter Einbeziehung des Internationalen Währungsfonds für solche und ähnliche Fälle anstreben will.
    Den IWF also möglicherweise mit ins Boot holen – eine gute Idee im europäischen Interesse? Das habe ich vor einer guten Stunde Joachim Fritz-Vannahme gefragt. Er leitet die Europaprojekte bei der Bertelsmann-Stiftung.

    Joachim Fritz-Vannahme: Ich finde, es ist eine naheliegende Idee. Der Streit ging ja in den vergangenen Wochen vor allem darum, ob man anhand des IWF A die Amerikaner darin haben wollte bei einer Lösung eines europäischen Problems, oder ob man B nicht vielleicht eine rein europäische Lösung hinbekommen könnte. Der Vorschlag einer reinen europäischen Lösung verknüpfte sich ja mit Wolfgang Schäubles Vorschlag eines europäischen Währungsfonds, nur den konnte er natürlich auch nicht in so kurzer Zeit aus dem Zylinder zaubern. Das hätte Zeit gebraucht, bis eine solche Organisation aufgebaut wurde. Warum also nicht zurückgreifen auf den IWF, wo die Europäer ja allesamt Mitglied sind.

    Der IWF hat in der Vergangenheit in solchen Lagen immer Verträge mit der betroffenen Regierung ausgehandelt. Da hätte man natürlich aus europäischer Sicht (und wird man jetzt auch versuchen) darauf drängen können, dass die Mitsprache der amerikanischen Regierung bei den Fragen, die den Euro betreffen, möglichst klein gehalten wird, oder gegen NBll tendiert. Das ist, glaube ich, das große Problem, dass man natürlich nicht der Dollar-Macht eine Mitsprache im Inneren des Euro zugestehen wollte.

    Klein: Genau das ist ja auch das zentrale Argument der Kritiker eines Einbeziehens des IWF, die nämlich befürchten, über diesen Weg wird dem Internationalen Währungsfonds, würde auch den Vereinigten Staaten und einer anderen Währung möglicherweise zu viel Einfluss auf die europäische Geldpolitik eingeräumt. Sehen Sie diese Gefahr nicht in der Weise?

    Fritz-Vannahme: Na ja, ich sehe sie nicht so stark, denn wir reden ja in diesem Kontext von der amerikanischen Regierung. Das Verhältnis Dollar-Euro bestimmt sich aber anhand der Marktsituation, und da kommen ganz andere Akteure ins Spiel, die unter Umständen mit der amerikanischen Regierung überhaupt nichts im Sinn haben. Ich denke jetzt beispielsweise an internationale Spekulanten, ich denke aber auch zum Beispiel an die Chinesen, die auf den internationalen Währungsmärkten massive Eigeninteressen verteidigen. Also ich glaube, dass dieses Argument ein bisschen zu hoch gespielt wurde.

    Klein: Ein bisschen zu hoch gespielt, und Sie haben auch angedeutet, man könnte eventuell auch darauf hinwirken, durch Steuerungsmechanismen das zu vermeiden oder das einzudämmen. Woran denken Sie dabei?

    Fritz-Vannahme: Normalerweise wird, wenn der IWF tätig wird, ein Kontrakt, ein Vertrag geschlossen, wo sich die betroffene Regierung bereit erklärt, dies und das zu tun und dies und jenes zu lassen - es geht ja auch vielfach um unterlassen -, und in diesen Vertrag kann man natürlich Klauseln reinschreiben, die den amerikanischen Einfluss auf das Geschick des Euros, auf die Zukunft des Euros möglichst gering halten.

    Klein: Ein weiteres Argument dagegen ist, das könne möglicherweise so interpretiert werden, wenn ein Euro-Mitglied sich an den IWF wenden muss, dann sind die europäischen Institutionen als solche eigentlich zu schwach, und schon das ist schädlich für die Währung, auch wenn es dabei nur um den Ruf und das Image gehen würde.

    Fritz-Vannahme: Ja, das finde ich ein sehr zutreffendes Argument, aber dann muss man auch zu dieser Analyse stehen und endlich mal dazu übergehen, den Stabilitäts- und Wachstumspakt, also die Vertragsgrundlage des Euro, so ausgestalten, dass wir tatsächlich eine europäische Geldpolitik bekommen. Wir haben inzwischen eine europäische Geldpolitik ja nur anhand der Europäischen Zentralbank und nicht anhand einer koordinierten Wirtschaftspolitik, wie sie eigentlich in einem gemeinsamen Währungsraum nötig wäre. Das ist ja Teil der ganzen Diskussion der letzten Wochen und Monate gewesen.

    Klein: Und wo man natürlich auch sagen muss, das ist nicht so einfach, bestehende Verträge im Augenblick zu ändern.

    Fritz-Vannahme: Richtig. Man merkt die Unzulänglichkeit der Verträge, und wenn ich von der Unzulänglichkeit der Verträge rede, dann rede ich eigentlich immer über die Unzulänglichkeit des Integrationswillens. Der Integrationswille war in den letzten 10, 15 Jahren vorhanden, aber er war nicht stark genug, und das merkt man jetzt und dafür zahlt man im Augenblick den Preis.

    Klein: Was meinen Sie damit, der Integrationswille war nicht stark genug?

    Fritz-Vannahme: Ich meine, wenn ich eine Geldpolitik habe, dann muss ich allmählich auch anfangen, mir über einen Binnenmarkt Gedanken zu machen, in dem die anderen Elemente auch zueinander passen. Reden wir vielleicht mal über ein relativ schlichtes und einfaches Problem. Wir Deutschen sind ja immer sehr, sehr stolz darauf, zurecht, dass wir Exportweltmeister oder Vizeweltmeister sind. Wer guckt denn eigentlich darauf, dass wir zu zwei Dritteln zu unseren europäischen Partnern exportieren, eigentlich im Grunde überhaupt nicht mehr exportieren, sondern in einem Binnenmarkt wirken?

    Das heißt, das ganze Denken ist eigentlich von den Strukturen und von den Ereignissen überholt worden und muss endlich diesen Strukturen und Ereignissen angepasst werden und auf eine schlüssige Art und Weise auch vermittelt werden. Da fehlt es mir mitunter auch am politischen Willen.

    Klein: Lassen Sie uns noch einen Augenblick bei den bestehenden Verträgen und der Frage nach den Möglichkeiten von Finanzhilfen bleiben. Ein Mitgliedsstaat kann nicht die Folgen seiner unseriösen Finanzpolitik auf andere abwälzen, heißt es dort. Gibt es denn aus Ihrer Sicht eine rechtlich wasserdichte Möglichkeit eben doch für einen Hilfsmechanismus, und wäre diese wasserdichte Möglichkeit eben jene, bei der der IWF mit im Spiel wäre?

    Fritz-Vannahme: Das ist eine Variante. Eine andere Variante ist: Wir haben ja in allen Mitgliedsstaaten staatliche Banken, bei uns zum Beispiel die Kreditanstalt für Wiederaufbau. Wir haben die Europäische Investitionsbank, wir haben andere Institutionen, die sehr wohl beispringen könnten. Dass nicht aus dem nationalen Haushalt eines anderen Mitgliedsstaates ein notleidendes Mitglied kofinanziert wird, ist, glaube ich, im Augenblick noch nicht mal umstritten. Selbst die Griechen fordern da nichts. Ich würde da auch mitunter mal raten, den Vergleich mit den Vereinigten Staaten zu wagen. Kalifornien ist im Moment pleite, aber natürlich springt Washington nicht mit seinem föderalen Budget in Kalifornien ein. Die müssen erst mal gucken in Sacramento, wie sie das selber gerichtet bekommen. Aber es gibt andere Mechanismen. Es gibt andere Instanzen, Institutionen, die sehr wohl mit Geldmitteln beispringen könnten, wenn das tatsächlich in letzter Instanz nötig wird.

    Klein: Dennoch dreht sich vieles auch auf der politischen Ebene ja in diesen Tagen und Stunden um die rechtlichen Grundlagen. Verschiedene Artikel des Lissabon-Vertrages, der ja nun gilt, werden nebeneinander gelegt und abgeglichen mit der Fragestellung, wie kann die sogenannte "No-Bailout"-Klausel, anderen Staaten wird eben nicht aus der Patsche geholfen, juristisch sauber umgangen werden. EU-Kommissionspräsident Barroso ist der Meinung, diese Möglichkeit ist gefunden mit einem bestimmten Artikel; aus Berlin hört man eher die Befürchtung, es werde zu Verfassungsklagen hierzulande kommen. Welcher Interpretation schließen Sie sich im Augenblick an?

    Fritz-Vannahme: Ich glaube, da haben beide Seiten ein bisschen Recht. Barroso sucht ja, genau wie ich das eben in der Antwort versucht habe, nach Wegen, die außerhalb der nationalen Budgets laufen könnten. Berlin hat natürlich das Karlsruher Urteil aus dem vergangenen Sommer irgendwo im Nacken sitzen und sagt sich, Vorsicht, Vorsicht, Vorsicht, da könnte unter Umständen hinterher uns ein Strick daraus gedreht werden. Ich glaube aber trotzdem, dass es da mit dem Begriff der kreativen Buchführung durchaus weiterkommen könnte. Das heißt, man muss unter Umständen nicht immer gleich an die nationalen Budgets denken - das ist das, wo eine Bundesregierung von Karlsruhe aus in die Haft genommen werden könnte -, sondern man kann ja auch über andere institutionelle Wege denken, die nicht die Bundesregierung verpflichten, sondern einfach nur deutsche Institutionen, französische, britische Institutionen.

    Klein: Unter dem Strich, Herr Vannahme, wo stehen wir heute, wo steht der EU-Gipfel möglicherweise morgen und übermorgen? Wenn man die Nachrichten liest, dann scheint sich Bundeskanzlerin Merkel in Frankreich mit ihrer Vision davon durchgesetzt zu haben, dass der Internationale Währungsfonds ins Boot geholt werden könnte. Zeichnet sich da ein europapolitischer Sieg Deutschlands ab?

    Fritz-Vannahme: Ich wäre da sehr vorsichtig, mit Sieg und Niederlage zu reden. Erstens einmal: Wir haben ja den Riss innerhalb der Bundesregierung zwischen Angela Merkel und Wolfgang Schäuble auch beobachten können. Und zum zweiten: Die Antwort, die jetzt auf diesem Gipfel gegeben wird, wird keine endgültige sein, sondern es ist eine Antwort aus der Not heraus, und die wirklich schlüssige Antwort muss in den nächsten Monaten erarbeitet werden. Wir brauchen das, was Angela Merkel als europäische Wirtschaftsregierung bezeichnet, dringender denn je, aber wir brauchen vor allem Spielregeln für eine solche Wirtschaftsregierung.

    Klein: Die Meinung von Joachim Fritz-Vannahme, Europaexperte bei der Bertelsmann-Stiftung.