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"Man muss etwas leisten an den Universitäten und dies ist auch möglich"

Der Streik sei eine bequeme Fundamentalkritik, sagt der Bundesvorsitzenden des Ring Christlich-Demokratischer Studenten, Gottfried Ludewig. Er hält es für paradox, dass es in "sieben Jahren Rot-Grün, wo wirklich für die Bildung sehr wenig getan worden ist, nicht einen Protest" gab.

Gottfried Ludewig im Gespräch mit Silvia Engels |
    Friedbert Meurer: Alle Jahre wieder gehen sie auf die Straße. Gestern waren es zehntausende Studierende, Schülerinnen und Schüler, die gegen die Bedingungen an deutschen Hochschulen und Schulen protestiert haben. 80.000 seien es gewesen, sagten die Organisatoren. Vor Jahren waren es überfüllte Vorlesungen, schlechte Studienbedingungen; jetzt kommt der Zorn hinzu gegen die neuen Studiengänge Bachelor und Master, oder auch gegen das Abitur nach schon zwölf Schuljahren.
    Gestern also die Studentenproteste, an denen etwa 80.000 Studierende und Schüler teilgenommen haben, behaupten jedenfalls die Organisatoren. Das klingt nicht wenig. Andererseits hat beispielsweise der RCDS, die Studentenorganisation der CDU, seine Mitglieder nicht dazu aufgerufen, mitzumachen. Warum eigentlich nicht? - Silvia Engels hat gestern Abend den RCDS-Bundesvorsitzenden Gottfried Ludewig gefragt, ob denn aus seiner Sicht an den Hochschulen alles zum besten bestellt sei.

    Gottfried Ludewig: Nein. Es gibt sicher auch Kritikpunkte, die richtig sind, beim Bologna-Prozess, aber der Streik und das, was damit verkauft werden soll, ist aus meiner Sicht sehr dürftige Parolen, ist eine bequeme Fundamentalkritik und entbehrt jeglicher inhaltlicher Fundierung.

    Silvia Engels: Die Hauptwut der Demonstranten richtet sich gegen die Neuordnung der Studiengänge im sogenannten Bologna-Prozess. Bachelor- und Master-Abschlüsse seien nicht so umgesetzt, dass die Studenten besser und schneller studieren könnten. Stimmt das nicht?

    Ludewig: Es stimmt in Teilen, aber es ist eben ein bisschen komplizierter. Es hängt von Hochschule zu Hochschule ab. An den Hochschulen selber werden diese Studiengänge sozusagen modularisiert, also werden aus dem Diplom- und Magister-Studium in ein Bachelor- und Master-Studium rübergeführt, und hier passieren sicherlich einige Fehler. Hier muss man auch nachbessern, hier muss man sich engagieren. Aber noch einmal: der Bildungsstreik sagt Abschaffung NC, Abschaffung Exzellenz-Initiative, und das ist mir sehr ideologisch aufgeladen, und er beschäftigt sich eigentlich, wenn man jetzt sechs Monate zurückdenkt, nicht mit den wirklichen inhaltlichen Problemen. Wir haben immer noch nur noch Parolen, wir haben nicht ein einziges Konzept gehört von den Studierenden und ich habe manchmal ein bisschen das Gefühl, dass die Bildungsstreikenden ein bisschen zu bequem sind, um wirklich vor Ort in den Kommissionen, da wo wirklich gearbeitet und gekämpft wird dafür, sich zu engagieren und lieber sich in den warmen Audimax setzen und dort den ganzen Tag verbringen.

    Engels: Das heißt, Sie fordern von den Studierenden Mitarbeit an den Hochschulen, die die Reform umsetzen?

    Ludewig: Richtig, exakt. Ich fordere das, weil auch mir bei diesem Protest - Übrigens: wer ist eigentlich der Adressat von diesem Protest? Ist das die Politik? - Die Politik setzt in unserem heutigen System die Reformen gar nicht mehr in der Form um. Wir haben autonome Hochschulen. In den Gremien an den Hochschulen werden diese Reformen umgesetzt und eigentlich müsste das doch der Adressat der Kritik sein, ganz konkret an den Hochschulen vor Ort, und das geschieht eigentlich gar nicht. Respektive der Adressat bleibt diffus im Nebel.

    Engels: Ein Großteil der Umsetzung des Bologna-Prozesses müssen in der Tat die Hochschulen leisten. Was fordern Sie denn von denen?

    Ludewig: Oh, von den Hochschulen fordere ich einiges. Vor allem fordere ich von der Hochschulrektorenkonferenz und auch vom Deutschen Hochschulverband, endlich von der Zuschauertribüne runterzukommen. Mir geht es zu häufig so, dass sie daneben sind, jetzt bei den Protesten auch sagen, dass sie Verständnis dafür haben, dass sie die Studierenden ermutigen, mehr zu protestieren. Ich würde mir wünschen, dass auch der Deutsche Hochschulverband, dass die Professoren vor Ort anfangen, wirklich sich mit der Umsetzung dieses Prozesses stärker zu beschäftigen, beispielsweise die Verschulung zurückzuführen, beispielsweise die Abschlüsse besser vergleichbar zu machen, damit man bundesweit auch weiter gut wechseln kann von Hochschule zu Hochschule. Da würde ich mir mehr Engagement wünschen und das gleiche gilt nicht nur für diese Vertreter, sondern es gilt auch für die Vertreter vom Bildungsstreik.

    Engels: Die Kritik der Protestierenden lautet ja, dass aufgrund der ganzen Verzögerungen und aufgrund der Probleme, die es mit dem Bologna-Prozess noch gibt, ein Studium in der Regelstudienzeit gar nicht möglich sei. Ist das übertrieben?

    Ludewig: Das ist leicht übertrieben. Alleine ich könnte einige Beispiele nennen, wo es möglich ist, trotz Job und trotz Engagement das zu machen. Und wenn ich ein bisschen flapsig sagen darf: ich selber habe in Berlin studiert und promoviere jetzt. Wenn ich Nachmittags durch die Kaffees in den Studentenvierteln gehe oder auch am Wochenende ohne weiteres mal die eine oder andere Lokalität besuche, habe ich nicht das Gefühl, dass sie Zeit zumindest für ein gelungenes Privatleben und ein gelungenes Privatvergnügen sozusagen nicht gegeben sein soll. Insofern: natürlich haben wir eine starke Verschulung, aber ich glaube trotzdem, dass es möglich ist, diese Ansprüche weiterhin zu erfüllen. Die waren auch schon im Diplom-System und auch im Magister-System nicht niedrig. Man muss etwas leisten an den Universitäten und dies ist auch heute möglich. Das Problem sind, glaube ich, nicht die Leistungsanforderungen; das Problem sind mehr die Frage von Verschulung und wie sinnvoll ist eigentlich alles miteinander verknüpft und gestaltet.

    Engels: Dazu, so lautet die Kritik, kommen auch überfüllte Seminare und die Studenten, die sich selber als eine Art Versuchskaninchen sehen, die dann mitten im Studium auf einmal auch gewisse Dinge immer wieder anders machen müssen. Ist das kein Problem?

    Ludewig: Es ist, glaube ich, ein Problem von jedem System, das sich immer verändert. Ich glaube, jeder Schüler, der einen neuen Lehrplan aufgestellt bekommt, wird wissen, dass es hier immer Änderungen gibt und dass dann immer wieder angepasst wird. Das sind Probleme, die man angehen muss, aber wir wollen es auch mal nicht übertreiben. Es ist ja nicht so, dass wir aus paradiesischen Zuständen kommen. Im Diplom- und Magister-System hatten wir sehr hohe Abbrecherquoten, hatten wir sehr hohe Durchschnittszahlen. Da hat man auch nicht in der Regelstudienzeit studiert, sondern hat zwölf, 14 Semester im Durchschnitt studiert.

    Engels: Herr Ludewig, Sie wissen, dass man mit Protest auf der Straße durchaus auch Politiker zu etwas bringt, auch dahin bringt, sich mit Problemen zu befassen und mehr Geld herauszurücken.

    Ludewig: Aber wenn man das mit der Realität vergleicht, das Ausrufen der Bildungsrepublik, der Kongress, den die Bundeskanzlerin angestoßen hat, ist weit vor dem Bildungsstreik geschehen. Das ist übrigens auch ein Paradoxon. In den sieben Jahren Rot-Grün, wo wirklich für die Bildung sehr wenig getan worden ist, gab es nicht einen Protest, wo die Universitäten teilweise kaputt gespart worden sind. Wir haben seit zwei, drei Jahren das erste Mal in dieser Zeit in einer massiven Wirtschaftskrise trotzdem das Versprechen, Milliarden-Beträge mehr in die Bildung zu investieren.

    Meurer: Silvia Engels sprach mit dem RCDS-Bundesvorsitzenden Gottfried Ludewig.