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"Man muss selbst zuschlagen - aktiv, initiativ"

US-Präsident Obama verdoppelt die Zahl der Soldaten in Afghanistan. In der Provinz Helmand, einer Taliban-Hochburg, hat die US-Armee gestern eine Bodenoffensive begonnen. In Deutschland dagegen verliert der Afghanistaneinsatz der Bundeswehr in der Bevölkerung an Akzeptanz. Und auch unter den Politikern wächst die Zahl derer, die zumindest über ein Ausstiegsszenario nachdenken. Der ehemalige Vorsitzende des NATO-Militärausschusses und Generalinspekteur der Bundeswehr Harald Kujat hält das nicht für sinnvoll. Deutschland müsse gemeinsam mit den Verbündeten in der Allianz durchhalten.

Harald Kujat im Gespräch mit Gerd Breker |
    Gerd Breker: Die US-Amerikaner verdoppeln ihre Soldaten in Afghanistan und starten eine umfassende Bodenoffensive, und deutsche Politiker denken laut über ein Abzugsszenario für die Bundeswehr nach. Absurder geht’s nicht?

    Harald Kujat Das ist die richtige Bezeichnung dafür. Wir sind dort gemeinsam rein gegangen als Nato-Mitgliedsstaat mit unseren Verbündeten und wir müssen gemeinsam natürlich das Endziel, was wollen wir erreichen, definieren. Das wissen wir ja auch. Wir müssen auch sagen, was wir im Einzelnen erreichen wollen, aber wir müssen dies gemeinsam mit unseren Verbündeten in der Allianz tun und müssen auch durchhalten mit ihnen gemeinsam. Das ist im Augenblick die Losung und alles andere, was da als defätistische politische Rückzugsdiskussion in Deutschland hochkocht, ist ganz schlecht, ganz schlecht für uns und auch für unsere Verbündeten.

    Breker: Kann das denn ein glaubwürdiges Burden Sharing sein, Herr Kujat, die einen kämpfen und die anderen bauen auf?

    Kujat: Wir kämpfen ja auch! Das haben wir nur nicht akzeptieren wollen über die Zeit. Sehen Sie, die Taliban haben ja mehrfach ihre Strategie geändert. Am Beginn, Ende 2005, als die NATO begonnen hat, sich auszudehnen auf das ganze Land, dann im Frühjahr 2007, als diese Ausdehnung abgeschlossen war und sie immer mehr unter Druck kamen, haben die ihre Aktivitäten in den Norden ausgeweitet, da wo es bisher relativ ruhig war. Und sie sind übergegangen zu Selbstmordattentaten beispielsweise. Und jetzt gibt es eine neue Strategie der Taliban seit etwa März/April. Sie gehen über zu offenen Angriffen, zu Hinterhalten. Wir müssen, die Bundeswehr muss kämpfen und sie darf nicht zu den Bedingungen der Taliban kämpfen, sondern sie muss die Initiative bekommen und behalten und sie muss bestimmen, was dort geschieht. Das ist bisher leider nicht der Fall. Wir reagieren immer sehr, sehr spät, halbherzig und nicht konsequent genug, und das ist im Augenblick auch die Situation. Während die Amerikaner im Süden offensiv vorgehen, die Initiative übernehmen und die Taliban zurückdrängen, aber auch das Gebiet, das sie befreit haben, besetzen, befinden wir uns oben selbst in der Defensive.

    Breker: Sollte die Bundeswehr die Strategie der Amerikaner übernehmen, also in die Offensive gehen, und ist sie dafür überhaupt gerüstet?

    Kujat: Sie muss! Sie muss die Initiative übernehmen. Sie muss initiativ und aktiv vorgehen. Sie darf sich nicht von den Taliban die Bedingungen diktieren lassen. Aber Sie haben Recht: da wir nicht bereit sind, das zu akzeptieren, und uns auch nicht darauf vorbereitet haben, in den letzten zwei Jahren jedenfalls, sind wir eben nicht so ausgerüstet, dass wir das tun könnten. Und das ist ja auch etwas, was ich seit Jahren ständig beklage. Wir müssen unsere Soldaten so ausrüsten, dass sie ihren Auftrag, den sie ja vom Parlament bekommen haben, auch erfolgreich ausführen können und zugleich ein Höchstmaß an Sicherheit garantieren. Moderne, leistungsfähige Ausrüstung heißt ein Höchstmaß an Sicherheit. Das müssen unsere Politiker endlich begreifen.

    Breker: Stattdessen streiten sie um den Begriff Krieg.

    Kujat: Das ist eine typisch deutsche Diskussion. Die Angelsachsen sind da ganz pragmatisch. Sie sagen, das ist ein "war on terror", ein Krieg gegen den Terrorismus. Natürlich hat dieser Begriff "Krieg" sehr viele Schattierungen, er hat rechtliche, völkerrechtliche Aspekte, versicherungstechnische Aspekte. Aber das ist doch gar nicht der Punkt, um den es geht. Wie das bezeichnet wird, ist doch für die Soldaten, die dort ihren Kopf für uns hinhalten dort, die ihre Gesundheit und ihr Leben aufs Spiel setzen, völlig nebensächlich. Sie müssen nur das bekommen was sie brauchen, um sich gegen einen hinterhältigen und feigen Gegner verteidigen zu können – nicht nur verteidigen zu können, sondern sie müssen dieses Risiko ausschalten können. Und was man in der deutschen Öffentlichkeit oder die Politiker auch bisher nicht begriffen haben: Wenn die Amerikaner jetzt im Süden in die Offensive gehen und vor allen Dingen auch größere Räume von den Taliban säubern, wo werden die Taliban dann wohl hingehen? Natürlich gehen sie in den Norden und sie werden den Druck auf die Bundeswehr erhöhen. Es wird zu mehr Attentaten, zu mehr Hinterhalten kommen. Das geht offensichtlich nicht in die Köpfe hinein, dass man solche Entwicklungen voraussehen muss und dass man sich sozusagen darauf einstellt, frühzeitig darauf einstellen muss, die Initiative übernehmen muss. Man darf nicht warten, bis der Gegner zugeschlagen hat, sondern man muss selbst zuschlagen, aktiv, initiativ. Das ist das, was jetzt gefordert wird, und keine theoretischen Diskussionen, ob nun Krieg oder Kampfhandlungen oder was auch immer.

    Breker: Im Deutschlandfunk war das Harald Kujat, der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr. Herr Kujat, danke für dieses Gespräch.

    Kujat: Ich danke Ihnen.