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"Man muss sich eben zusammenraufen"

SPD-Fraktionsvize Ludwig Stiegler sieht trotz der aktuellen Differenzen die Große Koalition nicht in Gefahr. "Das ist kein Weltuntergang", sagte er angesichts der Streitigkeiten. Allerdings müsse es im Koalitionsausschuss am 14. Mai ein "gewaltiges Gewitter geben, und hinterher kann die Sonne im Mai wieder scheinen".

Moderation: Stefan Heinlein |
    Stefan Heinlein: Klimawandel in der Großen Koalition: Während die Kanzlerin heute in Washington sich den großen Themen der internationalen Politik widmet, wird daheim in Berlin der Schlagabtausch härter. Hatte Anfang letzter Woche SPD-Chef Kurz Beck bereits den Ton verschärft, legten an diesem Wochenende er und fast die gesamte Partei- und Fraktionsspitze noch einmal kräftig nach. Allen voran Fraktionschef Peter Struck: Er drohte offen mit dem Ende der Koalition, sollte der Streit um die Erbschaftssteuer weitergehen. Wesentlich verhaltener bisher die Tonlage von Seiten der Union, doch auch bei den Christdemokraten scheinen die Nerven zunehmend blank zu liegen. Nach nicht einmal zwei Jahren steckt die Koalition offenbar in einer tiefen Sinnkrise, und darüber möchte ich jetzt reden mit dem stellvertretenden SPD-Fraktionsvorsitzenden Ludwig Stiegler. Guten Morgen!

    Ludwig Stiegler: Schönen guten Morgen!

    Heinlein: Haben zumindest Sie noch Lust auf die Große Koalition?

    Stiegler: Was heißt Lust? Wer hatte schon Lust auf die Große Koalition. Das ist Pflicht und das ist die Notwendigkeit, das ist das Wahlergebnis, das ist, wenn man so will, eine Zwangsehe, aber das ist keine große Leidenschaft. Das ist Verantwortung für das Land nach einem bestimmten Wahlergebnis, und man muss sich eben zusammenraufen und muss immer wieder eben feststellen, dass da zwei völlig unterschiedliche Partner zusammengespannt worden sind, die sich eben in den gesellschaftspolitischen Vorstellungen nicht ohne Weiteres zur Deckung bringen lassen.

    Heinlein: Und diese Unterschiede werden jetzt zunehmend deutlich?

    Stiegler: Das wird jetzt deutlich. Man hat viele Dinge aufgearbeitet, wo die Schnittstellen der Gemeinsamkeiten groß waren, aber jetzt wird es natürlich immer schwieriger, weil man an die Punkte rankommt, wo man von der Grundstellung her weit auseinander ist. Zum Beispiel wenn man feststellt, dass die Union allenfalls geneigt wäre, einen Mindestlohn von drei Euro, in Worten: drei Euro, zu akzeptieren, dann steigt natürlich der Adrenalinspiegel bei einem Sozialdemokraten. Oder wenn man eben hört, wie bei der Union getestet wird, ob man es bei der Erbschaftssteuer so machen könnte wie bei der Vermögenssteuer, nämlich einfach kein Bewertungsrecht zu beschließen, indem man das im Bundesrat stoppt und dadurch das Gesetz unanwendbar macht, dann kommt man natürlich schon an Punkte, wo die Konflikte wirklich ernst werden.

    Heinlein: Sind Sie denn schon an dem Punkt, wo die Koalition ernsthaft infrage gestellt werden muss?

    Stiegler: Nein, so weit sind wir längst nicht, denn man muss das eher mit der Meteorologie des Aprils vergleichen. Wir hatten zwar in der Natur ein ausnehmend mildes, zu mildes Aprilwetter, aber das normale Aprilwetter ist eben von Sonnenschein und von Schneestürmen gekennzeichnet. Und ich denke, in der Phase sind wir. Wir müssen jetzt die Weichen stellen für das, was im Herbst herauskommt. Und das sind ganz wichtige Dinge. Und wir stellen natürlich auch fest zu unserem Ärger, dass die Union sich im Populismus übt, da kommt der Erwin Huber und der Michael Glos, kommen mit Steuersenkungsversprechungen an, die Frau von der Leyen zieht über die Lande und verspricht das Blaue vom Himmel herunter gegen die eigenen Leute, und finanzieren soll es am Ende der SPD. Also hier gibt es schon eine ganze Menge eben Ungereimtheiten, und die müssen beim Koalitionsausschuss am 14. Mai eben auf die Reihe gebracht werden. Und da muss es eben ein gewaltiges Gewitter geben, und hinterher kann die Sonne im Mai wieder scheinen.

    Heinlein: Sie sprechen von Populismus beim Koalitionspartner, aber das ist doch schon starker Tobak aus dem Mund Ihres Fraktionsvorsitzenden, wenn er erklärt, in der Union scheinen einige durchzudrehen?

    Stiegler: Ja wieso? Wenn hier der eine sagt, wir überlegen, ob wir die Erbschaftssteuer nicht ganz abschaffen sollen, so schlank mal, Milliardenbeträge, gleichzeitig von der SPD verlangt, einer Unternehmenssteuer zuzustimmen. Das sind wirklich schon Hämmer, oder wenn der Michael Glos kommt und sagt eben, wir spielen jetzt mal mit Steuersenkungen, obwohl wir ja noch längst nicht einen Bundeshaushalt haben, der im Ausgleich ist und vor allem obwohl dieselbe Union zur gleichen Zeit an allen Ecken und Enden Mehrausgaben verlangt. Also hier wird offenbar mit verteilten Rollen gespielt, die einen dürfen die bunten Luftballons für die Maifeier hochsteigen lassen, und uns ist die Aufgabe gestellt, eben die Gasflaschen zu kaufen oder herbeizubringen, die das Ganze dann zum Steigen bringen. Das ist halt eine Arbeitsteilung, die machen wir so nicht mit, und das haben wir nun auch sehr, sehr deutlich gemacht.

    Heinlein: War denn diese Interview-Offensive des Wochenendes abgestimmt in der Partei- und Fraktionsführung? Es sah ja schon nach einer konzertierten Aktion aus.

    Stiegler: Die SPD ist immer gut abgestimmt, selbst wenn es nicht immer so ausschaut.

    Heinlein: "Opposition ist Mist", hatte ja Vizekanzler Müntefering einmal gesagt, dennoch scheint es ja in Ihrer Fraktion, Sie sagen es auch, wieder Sehnsucht nach sozialdemokratischer Politik zu geben. Wollen Sie nicht mehr Kompromisse mit der Union eingehen? In welchen Punkten ist das überhaupt noch möglich?

    Stiegler: Nein, das gilt nach wie vor, dass Opposition Mist ist, aber wenn man in einer Regierung ist und ein gleichberechtigter Partner ist, muss man sich nicht alles gefallen lassen, sondern jede Seite muss wissen, ich bin nur so stark, wie die andere Seite mitgeht, und ich kann nicht versuchen, auf Kosten der anderen Seite mich zu profilieren. Nur das rufen wir in Erinnerung. Wir wissen sehr wohl, was im Koalitionsvertrag verabredet ist, was nicht verabredet ist, wo es neue Lagen gibt, mit denen man fertig werden muss. Also wir wissen schon, wo da die Grenzen der Belastbarkeit sind, aber wir verlangen das natürlich auch von unserem Koalitionspartner.

    Heinlein: Haben Sie denn noch einen Vorrat an Gemeinsamkeiten mit der Union, jetzt wo der Koalitionsvertrag ja in weiten Teilen abgearbeitet ist?

    Stiegler: Der ist noch nicht in weiten Teilen abgearbeitet.

    Heinlein: Zwei Drittel, so sagt Volker Kauder.

    Stiegler: Ja, gut, das ist vielleicht von der Quantität her, aber qualitativ ist dieses Jahr mit der Unternehmenssteuerreform, mit der Erbschaftssteuerreform, mit der Vorbereitung der besseren Kinderbetreuung und Kindererziehung, mit der Umgestaltung des Haushaltes zu mehr Forschung und Entwicklung, zur Einhaltung der Entwicklungshilfevorgaben, die wir uns international ja vorgenommen haben, da ist also unglaublich viel zu tun. Und noch ist der Haushalt nicht ausgeglichen. Auch das muss man sehen. Also wir haben noch eine ganze Menge zu tun. Von der Außenpolitik will ich jetzt gar nicht einmal reden, sondern nur von den innenpolitischen Themen.

    Heinlein: Unglaublich viel zu tun auch in der Innenpolitik, sagen Sie. Welche Projekte oder können Sie diese Projekte denn noch gemeinsam mit der Union in den kommenden zwei Jahren auf den Weg bringen? Mindestlohn, Kündigungsschutz, Sie haben es gesagt, Sicherheit, Erbschafts- und Unternehmenssteuer, da gehen die Vorstellungen von beiden Seiten, von SPD und Union, ja sehr, sehr weit auseinander.

    Stiegler: In der Tat haben wir gerade bei dem Thema Mindestlohn sehr divergierende Ansichten, aber ich stelle fest, es gibt auch in der Union Leute, die es nicht akzeptieren wollen, das große Teile der Unionsführung die Menschen für drei Euro arbeiten lassen wollen. Und ich denke, diese Unterstützung müssen wir auch einwerben. Ich erinnere an einen Artikel, den Norbert Blüm dazu geschrieben hat. Also es gibt durchaus Möglichkeiten der Zusammenarbeit auch in diesem Bereich, auch wenn die ganzen neoliberalen Kräfte im Wirtschaftsflügel der Union alles wollen, bloß keinen Lohn, der Arbeit und menschliche Würde zusammenbringt. Also hier gibt es Chancen, hier gibt es Ansatzpunkte, aber hier sind wir noch nicht am Ende.

    Und bei der Erbschaftssteuer wird es für die Union durchaus bitter. Ich meine, die haben jetzt jahrzehntelang in den Bewertungsvorschriften Subventionen und Begünstigungen versteckt, die durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts gnadenlos bekannt geworden sind. Und in Zukunft wird man nicht mehr die Begünstigungen verstecken können, sondern wenn man jemandem die Steuer nachlassen will wie etwa bei der Unternehmensnachfolge, dann muss man das begründen und man muss gute Gemeinwohlgründe haben. Das schafft natürlich Nervosität. Dieses Urteil aus Karlsruhe war für die Union ein richtiger Supergau, weil: Jetzt geht nichts mehr zu verstecken. Deswegen habe ich schon ein gewisses Verständnis, dass die alle sehr, sehr nervös sind. Gleichwohl, wir haben gesagt, Erbschaftssteuer und Unternehmenssteuer gehören zusammen, und da müssen die sich eben bewegen, und das Ganze ist ja auch gerecht und fair.

    Heinlein: Herr Stiegler, Ihren Worten entnehme ich, dass die SPD im Jahre 2007 einem Norbert Blüm näher ist als einem Michael Glos?

    Stiegler: Das ist in der Tat schon immer so gewesen, dass wir Norbert Blüm näher waren als Michael Glos, der eben sich zu den konservativen Kräften in der Union und zu den wirtschaftsliberalen Kräften in der Union zählt, während Norbert Blüm eben zu den so genannten Herz-Jesu-Sozialisten innerhalb der Union, wie Franz Josef Strauß die Sozialausschüssler genannt hat, sich gezählt hat.

    Heinlein: Aber Norbert Blüm hat nichts mehr zu sagen, Sie müssen mit Michael Glos umgehen lernen.

    Stiegler: Wir müssen mit ihm, aber nicht nur mit ihm, sondern der Michael Glos muss auch mit uns umgehen, denn auch er bringt nichts zustande, wo wir nicht zustimmen. Sie müssen immer klarmachen, jede Koalitionär muss jeden Morgen wissen, ich habe ein Drittel der Stimmen im Bundestag. Und ein Drittel der Stimmen, das ist eine Sperrminorität, aber keine Gestaltungskraft. Und das müssen wir sehen, und von dem Punkt aus müssen wir uns eben aufeinander zu bewegen, und das wird auch wieder gelingen. Es gibt halt manchmal Phasen wie eben im Frühjahr, wenn gesät wird und wenn man quasi die Ernte im Herbst vorprägt, dass man eben dann den Streit führen muss, und den führen wir. Das ist kein Weltuntergang.

    Heinlein: Ja, kein Weltuntergang, auffällig ist, dass in allen Äußerungen dieses Wochenendes die Kanzlerin auffallend geschont wird. Können wir aus Ihrem Mund ein Lob für Angela Merkel hören?

    Stiegler: Ich will da kein Lob aussprechen, aber wenn die Kanzlerin schwierigste außenpolitische Aufgaben zu erledigen hat, muss man sie hier jetzt mit dem Punkt nicht behelligen. Außerdem ist es ja so, der Anruf richtet sich an die Unterteufel der Kanzlerin, die müssen sich bewegen, und die machen der Ärger genug. Wenn Sie denken, sie musste bei dem Oettinger eingrätschen, die musste den Glos zurückpfeifen wegen seiner Steuernummer, also die hat mit den eigenen schon genügend zu tun. Und wir wünschen ihr nur mehr Erfolg, die eigenen da gelegentlich zu bändigen.

    Heinlein: SPD-Fraktionsvize Ludwig Stiegler heute Morgen hier im Deutschlandfunk. Ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Stiegler: Auf Wiederhören.