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"Man nennt das Fußballdiplomatie"

Vural Öger, türkischstämmige Unternehmer und frühere SPD-Europaabgeordnete, rechnet mit einem freundlichen Empfang des armenischen Präsidenten in der Türkei bei dem WM-Qualifikationsspiel zwischen den beiden Ländern. Er spricht von einem "Symbol".

Vural Öger im Gespräch mit Sandra Schulz |
    Sandra Schulz: Sportlich wird die Partie vielleicht kein Aufmerksamkeitsmagnet, wenn heute Abend bei der Fußball-WM-Qualifikation Armenien auf die Türkei trifft. Im nordwestanatolischen Bursa begegnet der Gruppenletzte Armenien der Türkei, die ebenfalls keine oder kaum noch Chancen hat, sich zu qualifizieren. Politisch ist die Begegnung aber kaum zu unterschätzen. Von Fußballdiplomatie sprechen inzwischen viele und meinen damit die Entwicklung, die wir zwischen Armenien und der Türkei seit dem vergangenen Jahr beobachten, eine zaghafte Annäherung zwischen den beiden Nachbarn in einem beinahe schon Jahrhunderte alten Konflikt, der sich zuletzt auf den Streit um die Region Berkarabach fokussiert hatte. Über die Annäherung auf dem Rasen wollen wir in den kommenden Minuten sprechen. Telefonisch zugeschaltet ist mir der türkischstämmige Unternehmer und frühere SPD-Europaabgeordnete Vural Öger. Guten Morgen!

    Vural Öger: Guten Morgen!

    Schulz: Herr Öger, wäre es hilfreich, wenn die Türkei Armenien heute Abend gewinnen lassen würde?

    Öger: Ich glaube, das werden sie nicht tun, weil es für die Türkei auch um Punkte geht. Wenn die heute Abend das Spiel verlieren, werden sie bei den Spielen in der dritten Reihe aufgestellt. Das halte ich nicht für richtig für die Türkei. Ich glaube, die werden ihr bestes tun zu gewinnen, fußballerisch auf alle Fälle. Auf der anderen Seite wird natürlich erwartet, dass der Besuch des armenischen Außenministers für weitere Entspannung sorgen wird. Die werden auch entspannt dieses Spiel, glaube ich, sich ansehen.

    Schulz: Es hat im letzten Jahr beim Hinspiel ja die erste Begegnung auf höchster Ebene gegeben, jetzt nicht fußballerisch, sondern politisch zwischen den beiden Staatsoberhäuptern. War das mehr als ein Fußballspiel?

    Öger: Auf alle Fälle. Das war natürlich ein Symbol. Man nennt das Fußballdiplomatie. Aber durch den Fußball kam erst die Annäherung und die hat durch die Unterzeichnung des Protokolls eine weitere Phase erreicht.

    Schulz: Jetzt hat der armenische Präsident Sarkisjan ja sogar angekündigt, nach Bursa zu fahren. Wie werden ihn die türkischen Fans empfangen?

    Öger: Dies ist sehr unter dem Einfluss der Presse, der türkischen Presse. Die Presse stellt sich sehr positiv in der Sache und ich glaube, dass es ein freundlicher Empfang sein wird. Ich habe kaum irgendwo bei irgendeinem Medium etwas Negatives gelesen, dass man irgendetwas demonstrieren soll oder wie auch immer. Eher wird man sogar aufgefordert, freundlich zu sein. Ich glaube, dass es ein freundlicher Empfang sein wird.

    Schulz: Jetzt drängt die EU ja auch auf Annäherung. In ihrem Fortschrittsbericht, den sie heute vorlegen will, wird sie voraussichtlich wieder die Menschenrechtslage in der Türkei kritisieren. Was ist denn jetzt der wichtigere Faktor für die Annäherung, Fußball oder der politische Druck von der EU?

    Öger: Die einzelnen Faktoren, denn in der Vergangenheit bei den Europaberichten, gerade denen des Europäischen Parlaments, wurde das Thema Armenien am Rande erwähnt, wurde nicht bezeichnet als Genozid, aber es wird immer wieder erwähnt, dass die beiden Länder sich näher kommen sollten. Es war immer wieder eine gewisse Aufforderung für die Aufnahme diplomatischer Beziehungen. Vielmehr wurde sogar schriftlich festgehalten, dass die Türkei die armenische Grenze öffnen sollte. Insofern war immer ein gewisser Wunsch, teilweise eine Aufforderung an die Türkei vorhanden, sich mit den Armeniern an den Tisch zu setzen. Insofern finde ich, was dort geschieht ist auch sehr fördernd für die Beziehungen Türkei/EU.

    Schulz: Herr Öger, ich möchte mit Ihnen noch auf ein anderes Thema schauen, das in den vergangenen Wochen hier in Deutschland für engagierte Debatten gesorgt hat. Es geht um die polemischen Äußerungen des Bundesbankvorstandmitglieds Thilo Sarrazin, der ja vielen Türken und Arabern, die hier in Deutschland leben, mangelnden Integrationswillen unterstellt hat. Gestern ist Thilo Sarrazin zum Teil entmachtet worden. Hilft das der Integration hier in Deutschland?

    Öger: Wissen Sie, Sarrazin mag in manchen Punkten Recht haben, dass es bei einer gewissen Schicht der türkischen Bevölkerung in Deutschland wirklich Probleme gibt, Anpassungsprobleme gibt, Integrationswille wie auch immer. Aber die Art und Weise, wie er gesprochen hat, diese Töne, muss man selbst bei einer objektiven Betrachtung sagen, waren sehr rassistisch und sehr beleidigend. Durch solche Worte kann man nicht die Integration fördern, sondern ganz im Gegenteil. Die in Deutschland lebende Bevölkerung wird sich mehrheitlich sehr beleidigt fühlen und diese Art von Beleidigung bringt mit sich, dass sie sich immer mehr abkapseln. Ich muss offen sagen, seine Worte halte ich wirklich ehrlich gesagt für widerlich. Jemand, der eine amtliche Aufgabe hat, bei einer solch seriösen Institution im Vorstand sitzt, der sollte sehr, sehr zurückhaltend sein und sehr aufpassen. Selbst wenn er etwas äußert, darf man nicht diese rassistischen Töne anwenden.

    Schulz: Aber ist diese Entmachtung nun umgekehrt ein Fortschritt für die Integration?

    Öger: Auf alle Fälle. Ich glaube, auf alle Fälle, denn letzten Endes wird ja auch die sogenannte türkischstämmige Bevölkerung in Deutschland einsehen, dass solche Töne von Sarrazin von der Mehrheit der deutschen Gesellschaft nicht akzeptiert werden. Insofern ist es ein positives Zeichen und ich glaube, das wird eher ein Ansporn sein für die Menschen in der Bundesrepublik, die nicht deutscher Herkunft sind, türkische oder arabische, dass hier wirklich auf dem Weg in die Integration ein positiver Schritt gemacht wurde. Das auf alle Fälle, so sehe ich das.

    Schulz: Dann stimmt es aber auch, dass diese Debatte nicht ohne Tabus diskutiert werden kann, was ja viele sagen?

    Öger: Auf alle Fälle, aber man sollte sehr vorsichtig sein, denn letzten Endes hat man diese Menschen in den 60er-, 70er-Jahren wirklich händeringend nach Deutschland gebracht. Ich war damals Student in Berlin. Man ging davon aus, dass die nicht dort bleiben würden, man hat sie deswegen Gastarbeiter genannt. Es gab kaum seitens der Regierung etwas in Richtung Integration, Integrationsbemühungen wie auch immer. Man hat sie so am Rande wahrgenommen, sie sollten arbeiten und zurück in die Häuser, wie auch immer. Gerade für die zweite Generation aus den 80er Jahren gab es leider nicht viele Bemühungen. Man wünschte, die gehen irgendwann mal zurück. Jetzt, 40 Jahre danach, reden wir über die Probleme der Integration. Auf diese Vorgänge kann man eingehen, aber ich bin der Meinung, dass man die andere Seite auch mit aufs Brot nimmt. Es gibt sehr viele Fehler in Sachen Integration, aber es gibt auch sehr gute Integrationsbeispiele. Es gibt Menschen in der Bundesrepublik türkischer Herkunft, die sind Entertainer, die sind Filmregisseure, die sind Abgeordnete, die sind Chefärzte. Auch ein paar gute Beispiele muss man ebenso mit erwähnen, denn immer wieder negative Beispiele vorzuzeigen, das bringt natürlich nichts weiter. In den USA werden immer wieder wirklich die guten Integrationsbeispiele hochgehalten als sozusagen Integrationsfiguren, Figuren, an denen man sich auch orientiert. Dies findet hier in den Medien nicht sehr, sehr viel Anwendung, bis auf sehr wenige Ausnahmen.

    Schulz: Im Gespräch mit dem Deutschlandfunk war das heute Morgen der türkischstämmige Unternehmer und frühere SPD-Europaabgeordnete Vural Öger. Haben Sie herzlichen Dank, Herr Öger. Danke schön.

    Öger: Danke. Auf Wiederhören.