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"Man probiert es einfach mal"

Die Erfolglosigkeit des FC Bayern in dieser Saison lässt sich nicht nur an der Person Jürgen Klinsmann festmachen, meint Ulrich Kuhl, Sportpsychologe aus Essen. Für Kuhl liegen die Ursachen auch im Management und bei der Mannschaft - dennoch findet er den Trainer-Rauswurf erklärbar.

Ulrich Kuhl im Gespräch mit Elke Durak |
    Elke Durak: Klinsmann, ist er wirklich schuld? Ist er es wirklich allein, oder hat hier das gesamte Management des FC Bayern versagt? Klinsmann wurde gestern gefeuert, hat die rote Karte bekommen. Ich will jetzt darüber mit dem Sportpsychologen Dr. Ulrich Kuhl aus Essen sprechen. Guten Morgen, Herr Kuhl.

    Ulrich Kuhl: Guten Morgen, Frau Durak.

    Durak: Zunächst kurz: War die Notbremse der Bayern-Führung richtig?

    Kuhl: Ich sage, zunächst einmal hat es mich schon überrascht, weil ich dachte, man macht mit Klinsmann bis zum Ende der Saison, egal was passiert. Dass sie jetzt die Notbremse gezogen haben, hat natürlich etwas damit zu tun und vielleicht sogar ironischerweise, dass Cottbus gegen Wolfsburg gewonnen hat. Dadurch sind die Chancen für die Bayern plötzlich noch mal besser geworden. Man hat, glaube ich, selbst gar nicht mehr so richtig geglaubt. Dadurch hat, glaube ich, Bayern wohl plötzlich den Eindruck gehabt, wir müssen einen neuen Impuls setzen. Ob das nun funktioniert, oder ob das nicht funktioniert, das ist, glaube ich, völlig vage zu sagen und ich glaube, da hat man überhaupt keine Prognose. Das kann so sein, es mag möglicherweise auch überhaupt nicht funktionieren.

    Durak: Vielleicht war es ja auch eine panische Reaktion. Klinsmann meint, er sei nicht gescheitert. Wer hat denn bei den Bayern versagt?

    Kuhl: Na ja, es ist schon interessant. Die Bayern haben jemand verpflichtet, mit dem sie sich vorher häufig gezofft haben, und das fand ich natürlich schon sehr interessant, dass man sagt, wir nehmen jemand, der möglicherweise ja nicht unbedingt unser Freund ist. Das hat man eine Weile ganz gut hingekriegt, dass man im Grunde genommen zueinander gestanden hat, aber man hat vielleicht dabei übersehen, dass es einen großen Unterschied im Anforderungsprofil gab. Damals war es bei der Nationalmannschaft so: Man suchte den großen Reformator und diese Rolle hat er perfekt und sehr, sehr gut gespielt. Hier war es eigentlich bei den Bayern so, dass nicht sehr viel zu reformieren war. Er hat eine funktionierende Mannschaft übernommen, er hat einen sehr erfolgreichen Verein übernommen, und das ist natürlich ein völliger Unterschied gewesen und er hat dann natürlich große Anforderungen an sich selbst gestellt, die Spieler immer jeden Tag ein bisschen besser zu machen. Das hat dann nicht funktioniert.
    Man muss wohl auch sagen, dass wie überall in solchen Gefügen, wo es um Leistung geht, wo es um Erfolg geht, man natürlich auch Fortune braucht. Während er dies bei der Nationalmannschaft gehabt hat, hat ihm die Fortune hier einfach gefehlt.

    Durak: Haben die Spieler Klinsmann auflaufen lassen, den Azubi?

    Kuhl: Das glaube ich eigentlich nicht so sehr, denn es sind schon Profis und die Profis versuchen natürlich auch, sich ins rechte Licht zu setzen. Ich bin da manchmal sehr, sehr unsicher bei solchen großen Vereinen, ob die Spieler wirklich den Trainer abschießen wollen. Das ist, glaube ich, schwer zu sagen, denn irgendwo leiden sie auch darunter. Was natürlich jetzt passieren wird ist klar: Man hängt sich besonders rein, weil man natürlich jetzt den Eindruck erwecken kann, es hat nicht an uns Spielern gelegen, sondern hat an dem Trainer gelegen, an der Führungskraft. Das wird wohl passieren, aber noch mal: Ob das erfolgreich wird, das weiß man wirklich überhaupt nicht.

    Durak: Das wird sich zeigen. Herr Kuhl, ich bin nicht Sportfachfrau, aber doch Fußballinteressierte und ich dachte bisher und ich bleibe bei dieser Meinung, dass die sportlichen Erfolge eines Teams nicht allein dem Trainer zuzuschreiben sind, im Positiven wie im Negativen. Zum Team gehören für mich die Spieler, der Trainer und auch das Management. Trotzdem muss immer wieder der Trainer gehen. Liege ich da wirklich so falsch?

    Kuhl: Frau Durak, da muss ich Ihnen völlig Recht geben. Ich glaube, dass manchmal die Rolle des Trainers überschätzt wird. Nicht alles hängt am Trainer. Es gibt manchmal Situationen, wo wirklich die Leute zusammenspielen. Es hat einfach dann funktioniert. Das Gefüge hat funktioniert, sie haben sehr gute Spieler und irgendwann funktioniert dieses Gefüge besonders gut. Dann gibt es aber manchmal Situationen, wo dieses Gefüge überhaupt nicht funktioniert, und ein Trainer hat relativ wenig damit zu tun oder kann relativ wenig machen. Gleichwohl ist es aber so - das muss man schon sagen -, dass der Trainer die Aufgabe hat, aus Spitzenleuten ein gutes Team zu formen, und das ist ihm hier anscheinend nicht gelungen, denn was aufgefallen ist - ich habe mir selbst ein paar Spiele angeschaut -, dass die Mannschaft keine echte Struktur gehabt hat, und da war natürlich immer wieder für mich die Frage, wieso ist ihm dies nicht gelungen. Aber ich gebe Ihnen Recht: Nicht alles liegt am Trainer und der Trainer ist natürlich derjenige, den man am ehesten rausschmeißen kann, und nicht die ganze Mannschaft.

    Durak: Wieso ist er immer so die leichte Beute?

    Kuhl: Man muss sich einfach fragen, der Verein hat natürlich schon die Ansicht, der Trainer hat den größten Einfluss auf eine Mannschaft, und insofern fällt es natürlich am leichtesten, dass man sagt, okay, denjenigen, der Bestimmer dieser Mannschaft ist, den tun wir weg und holen jemand anders dafür. Das ist auch so ein bisschen ein "wishful thinking", wie man so schön sagt. Man weiß nicht genau, ob es funktioniert, man weiß auch nicht genau, warum es funktioniert, aber man probiert es einfach mal.

    Durak: Manchmal hatte man aber auch den Eindruck, dass nicht der Trainer das Sagen hat beim FC Bayern, also Klinsmann in den letzten 10 Monaten, sondern eher Uli Hoeneß und auch Karl-Heinz Rummenigge und vor allem Herr Beckenbauer.

    Kuhl: Das ist eine besondere Situation, die man nur staunend betrachten kann. Dass Hoeneß und Rummenigge natürlich sehr, sehr starke Leute sind, das ist völlig klar und das hat natürlich auch den großen Unterschied zur Nationalmannschaft ausgemacht, wo er irgendwann sich freigeschwommen hatte und wirklich alleine das große Sagen gehabt hat. Das ist schon etwas, was ganz unterschiedlich ist. Das andere, Franz Beckenbauer: Ich reibe mir immer wieder erstaunt die Augen, wenn ich sehe, dass Franz Beckenbauer, jemand, der in diesem Klub eine verantwortliche Position zumindest als Repräsentant hat, in der "Bild-Zeitung" dann Kommentare schreibt. Das ist für mich abenteuerlich und das, muss ich sagen, kann nicht so sein und entspricht jeglicher Logik.

    Durak: Ist der Fußball eine ganz besondere Welt, wenn man das Spannungsfeld Spieler, Trainer, Vorstand oder Management betrachtet?

    Kuhl: Na ja, zum Teil ist es natürlich schon wie in der Wirtschaft, obwohl man aufpassen muss, dass man sagen muss, es ist genauso wie in der Wirtschaft, denn letztendlich geht es dabei immer wieder um Erfolg und es macht nicht so sehr die Stärke eines Trainers aus, ob er sich viel, viel Mühe gibt und ob er sich ungeheuer anstrengt. Letztendlich wird es immer wieder am Erfolg gemessen und das hat man in diesem Fall natürlich auch gesehen: Dieser Erfolg war nicht da und insofern hat man Klinsmann entlassen.

    Durak: Lassen sich Parallelen zur sonstigen Geschäftswelt ziehen oder herstellen, wenn man auch bedenkt, dass der FC Bayern eigentlich auch ein großes Unternehmen ist?

    Kuhl: Ja, sicherlich. Es gab Ziele zu Beginn der Saison und diese Ziele hat man jetzt immer noch, obwohl man vielleicht nicht mehr so ganz an die Zielerreichung glaubt. Man versucht es noch einmal. Wie gesagt: das ist so ein bisschen der letzte Versuch, die Ziele oder eines dieser Ziele zu erreichen. Insofern ist es schon so, dass auch die Wirtschaft ähnlich funktioniert beziehungsweise der Sport ähnlich wie die Wirtschaft. Zum anderen geht es natürlich dabei um sehr, sehr viel Geld. Das Ausscheiden aus zwei Pokalen bedeutet natürlich, dass der Etat im nächsten Jahr etwas geringer ist. Insofern ist dieser wirtschaftliche Vergleich schon da.

    Durak: Und was das Trainer-Feuer-Prinzip betrifft?

    Kuhl: Na ja, das findet man natürlich mittlerweile auch immer mehr bei den großen Dax-Unternehmen und nicht nur bei den Dax-Unternehmen, sondern auch bei den MDax- und anderen Unternehmen, dass dann, wenn die Vorstände diese Ziele nicht erreichen, die man ihnen vorgeschrieben hat, dass diese Leute gefeuert werden. Das findet man natürlich auch dabei und die Begründung ist natürlich immer wieder, das was die Leute verdienen ist so viel Geld, dass man sie nur am Erfolg messen kann, alles andere zählt überhaupt nicht.

    Durak: Welche Rolle spielt die Psychologie bei solchen Sachen? Ich denke auch an die Fans. Die laufen ja ihren Mannschaften hinterher beziehungsweise halten zu ihren Mannschaften bis nach dem Untergang.

    Kuhl: Ja, das war diesmal sehr erstaunlich bei den Bayern. Häufig ist es ja so, dass die Fans schon mittlerweile einen immer größeren Einfluss haben. Das ist manchmal so, dass die Fans dafür sorgen, dass ein Trainer bleibt. Das hat man damals bei Doll gesehen, dass die Mannschaft nicht mehr besonders gut spielt, die Fans aber irgendwo den Trainer sehr mögen. Dann schafft es ein Management nicht, den Trainer zu entlassen, obwohl es eigentlich schon längst hätte sein müssen. Es ist natürlich meistens anders so, dass die Fans brüllen "Trainer raus, Trainer raus", und es funktioniert dann natürlich auch so. Bei den Bayern ist es eigentlich anders gewesen. Die Bayern sind ja diejenigen gewesen und besonders war Hoeneß derjenige, der sich nicht hat erpressen lassen von den Fans, und ich glaube, dass es irgendwann dann doch zu viel geworden ist, dass es irgendwann zu viel geworden ist und dann hat man sicherlich auch dem Druck nachgegeben, wobei man natürlich auch sagen muss, dass Klinsmann in seiner Selbstdarstellung natürlich nachher auch nicht mehr sehr, sehr glaubwürdig war. Er wurde immer unsicherer und man hat natürlich mehr über das aschfahle Gesicht berichtet als über das, was er mittlerweile noch vorhat, und da hat auch die Glaubwürdigkeit gelitten.

    Durak: Dr. Ulrich Kuhl, Sportpsychologe aus Essen. Danke, Herr Kuhl, fürs Gespräch.

    Kuhl: Danke, Frau Durak.