Stefan Koldehoff: Heute also rücken sie zum letzten Mal in die Kaserne ein: junge Wehrpflichtige, ein Wort, das bald aus dem deutschen Sprachschatz gestrichen sein wird. Die Wehrpflicht nämlich gibt es nicht mehr, und die jungen Herren, nach wie vor ausschließlich Herren, die nun lernen werden, Hemden auf DIN A4 zu falten und jeder Art von Befehlen zu folgen, sind die letzten ihrer Art – auf Pflichtbasis jedenfalls. Für Deutschland bedeutet das nicht nur eine finanzielle Entlastung, denn weniger Soldaten kosten weniger Geld, heute vollzieht sich auch so etwas wie ein Kulturwandel, und über den möchte ich mit Professor Manfred Hettling sprechen. Er ist Historiker an der Martin-Luther-Universität Halle. Herr Professor Hettling, die Jahrhunderte alte Frage, wo hammse denn jedient, wird künftig keine Rolle mehr spielen, wenn es darum geht, einen jungen Menschen einzuschätzen?
Manfred Hettling: Ja, einerseits ja, weil natürlich viel weniger junge Männer Erfahrungen mit Militär machen werden. Andererseits muss man ja auch sich bewusst machen, dass auch bisher der prozentuale Anteil ständig zurückgegangen ist. Also im Prinzip ja, nur sollte man die Bedeutung nicht überschätzen.
Koldehoff: Prozentual zurückgegangen ist auch das aus finanziellen, aus gesellschaftlichen Gründen, oder auch weil man eingesehen hat, dass wir vielleicht gar nicht mehr so viel Militär brauchen, wie wir mal gedacht haben.
Hettling: Nein, aus beiden, das ist eine Folge von 1989/90. Durch die deutsche Einheit ist ja die Truppenstärke der Bundeswehr deutlich reduziert worden und gleichzeitig die Bevölkerungsgröße gewachsen, dadurch ist ja schon der Anteil deutlich zurückgegangen. Und das hängt auch damit zusammen, mit dem Ende des Kalten Krieges hat man ja wahrgenommen, dass man sehr viel geringere Truppenstärken braucht. Und zweitens, das ist eine jüngere Entwicklung, dass man eher andere Formen oder anders ausgebildete Soldaten braucht für das, was wir heutzutage unter Auslandseinsätzen diskutieren. Und dafür sind Wehrpflichtige sehr viel weniger geeignet.
Koldehoff: Nun zeigen aber ja auch diese Auslandseinsätze gerade, dass das, was man gedacht hat, nämlich die Kriege der kommenden Jahre und Jahrzehnte, wenn es sie denn überhaupt noch geben muss, die werden eher am Computer als auf dem Schlachtfeld geführt, dass das so nicht stimmt.
Hettling: Ja, ja, es ist ja alte Weisheit, also letztlich um militärisch Entscheidendes vollbringen zu können, braucht man Leute, die sich die Stiefel schmutzig machen, irgendwohin gehen und vor Ort auch richtig physische Risiken eingehen. Also diese Computerisierung des Krieges, die man nach dem ersten Golfkrieg so diskutiert hat, ist, glaube ich, völlig überschätzt worden.
Koldehoff: Wenn Sie jetzt sagen, die Gründe zeichnen sich seit Langem, spätestens seit 89 ab – Verkleinerung der Truppe, finanzielle Gründe, Ende des Kalten Krieges –, heißt das denn, was wir heute erleben, sagt über das Selbstverständnis dieser Nation gar nichts aus?
Hettling: Also zum einen kann man die Wehrpflicht in der deutschen Tradition ja sehr unterschiedlich bewerten. Also vonseiten des preußischen Militärs im 19. Jahrhundert ist sie durchgesetzt worden, um einen militärischen Geist in der Bevölkerung gegen, wenn Sie so wollen, bürgerlichen Schlendrian durchzusetzen, und dass die Wehrpflicht nach dem Ersten Weltkrieg abgeschafft worden ist, war ja auch genau die Intention der Siegermächte, eine Militarisierung der deutschen Bevölkerung zu verhindern. Also kann man da relativ gelassen bleiben. Wie eine Gesellschaft mit Militär umgeht und Militär in demokratische Strukturen einbindet, da gibt es sehr unterschiedliche Formen, und da ist Wehrpflicht keineswegs eine notwendige Einbahnstraße, das herstellen zu können.
Koldehoff: Wo sehen Sie den Weg zurück, wenn es keine Einbahnstraße ist?
Hettling: Na ja, wie Militär sozusagen in eine Demokratie integriert wird, da gibt es unterschiedliche Mechanismen. Das hängt mit Ausbildung der Offizierskorps, der Eliten zusammen, weil Selbstverständnis dort vermittelt wird, wie eine Akzeptanz von Militär in der Bevölkerung vermittelt wird, wie auch demokratische Überzeugungen beim Militär Personen vermittelt werden. Das sind ja sehr unterschiedliche Wege. Da ist Wehrpflicht, glaube ich, als Instrumentarium neutral. Muss man ja auch dran denken, die Nazis haben 35 die Wehrpflicht wieder eingeführt und hatten keineswegs die Sorge, dass das sozusagen gegen ihre aggressiven Kriegspläne sich auswirken könnte. Also da gibt gerade die deutsche Geschichte ja Beispiele, dass Wehrpflicht kompatibel war mit der Demokratie – das ist die Erfahrung der Bundesrepublik –, aber auch offenbar für eine Militarisierung der Gesellschaft – das war die Erfahrung des 19. Jahrhunderts – und auch keineswegs aggressive Kriegspolitik verhindert hat, das lehrt das Beispiel des Dritten Reichs.
Koldehoff: Nach 45 war die Rede vom Staatsbürger in Uniform, man wollte den Staat im Staate verhindern, den es vorher gegeben hatte. Das sind Überlegungen, die heute nach wie vor aktuell sind. Nun ist auch immer die Rede gewesen von der staatsbürgerlichen Pflicht, die der Wehrdienst auch gewesen ist. Wer ihn nicht leisten wollte, der musste nicht nur Ersatzdienst beantragen, sondern auch lange Zeit hochnotpeinliche Gewissensbefragungen über sich ergehen lassen. Was spräche dagegen, diese Idee von der staatsbürgerlichen Pflicht aufzugreifen oder aufrechtzuerhalten, indem man beispielsweise ein verbindliches freiwilliges soziales Jahr einführt?
Hettling: Da gibt es viele gute Gründe, die dafür sprechen, und ich würde es noch erweitern, als staatsbürgerliche Pflicht würde ich es auch ansehen. Das ist egal, ob es nun Wehrpflichtige, freiwillige oder Berufssoldaten sind, die in Auslandseinsätzen stehen und dort ihr Leben riskieren, dass man sie genau dafür würdigt, nicht dass sie spezifische militärische Dienstaufgaben erfüllen, sondern als deutsche Staatsbürger bestimmte Aufgaben erfüllen, die ja vom politischen Souverän, sprich dem Bundestag, so beschlossen worden sind. Das wäre, glaube ich, eine moderne Form, staatsbürgerliche Pflicht zu definieren.
Koldehoff: Der Historiker Manfred Hettling zum Ende der Wehrpflicht in Deutschland. Vielen Dank!
Manfred Hettling: Ja, einerseits ja, weil natürlich viel weniger junge Männer Erfahrungen mit Militär machen werden. Andererseits muss man ja auch sich bewusst machen, dass auch bisher der prozentuale Anteil ständig zurückgegangen ist. Also im Prinzip ja, nur sollte man die Bedeutung nicht überschätzen.
Koldehoff: Prozentual zurückgegangen ist auch das aus finanziellen, aus gesellschaftlichen Gründen, oder auch weil man eingesehen hat, dass wir vielleicht gar nicht mehr so viel Militär brauchen, wie wir mal gedacht haben.
Hettling: Nein, aus beiden, das ist eine Folge von 1989/90. Durch die deutsche Einheit ist ja die Truppenstärke der Bundeswehr deutlich reduziert worden und gleichzeitig die Bevölkerungsgröße gewachsen, dadurch ist ja schon der Anteil deutlich zurückgegangen. Und das hängt auch damit zusammen, mit dem Ende des Kalten Krieges hat man ja wahrgenommen, dass man sehr viel geringere Truppenstärken braucht. Und zweitens, das ist eine jüngere Entwicklung, dass man eher andere Formen oder anders ausgebildete Soldaten braucht für das, was wir heutzutage unter Auslandseinsätzen diskutieren. Und dafür sind Wehrpflichtige sehr viel weniger geeignet.
Koldehoff: Nun zeigen aber ja auch diese Auslandseinsätze gerade, dass das, was man gedacht hat, nämlich die Kriege der kommenden Jahre und Jahrzehnte, wenn es sie denn überhaupt noch geben muss, die werden eher am Computer als auf dem Schlachtfeld geführt, dass das so nicht stimmt.
Hettling: Ja, ja, es ist ja alte Weisheit, also letztlich um militärisch Entscheidendes vollbringen zu können, braucht man Leute, die sich die Stiefel schmutzig machen, irgendwohin gehen und vor Ort auch richtig physische Risiken eingehen. Also diese Computerisierung des Krieges, die man nach dem ersten Golfkrieg so diskutiert hat, ist, glaube ich, völlig überschätzt worden.
Koldehoff: Wenn Sie jetzt sagen, die Gründe zeichnen sich seit Langem, spätestens seit 89 ab – Verkleinerung der Truppe, finanzielle Gründe, Ende des Kalten Krieges –, heißt das denn, was wir heute erleben, sagt über das Selbstverständnis dieser Nation gar nichts aus?
Hettling: Also zum einen kann man die Wehrpflicht in der deutschen Tradition ja sehr unterschiedlich bewerten. Also vonseiten des preußischen Militärs im 19. Jahrhundert ist sie durchgesetzt worden, um einen militärischen Geist in der Bevölkerung gegen, wenn Sie so wollen, bürgerlichen Schlendrian durchzusetzen, und dass die Wehrpflicht nach dem Ersten Weltkrieg abgeschafft worden ist, war ja auch genau die Intention der Siegermächte, eine Militarisierung der deutschen Bevölkerung zu verhindern. Also kann man da relativ gelassen bleiben. Wie eine Gesellschaft mit Militär umgeht und Militär in demokratische Strukturen einbindet, da gibt es sehr unterschiedliche Formen, und da ist Wehrpflicht keineswegs eine notwendige Einbahnstraße, das herstellen zu können.
Koldehoff: Wo sehen Sie den Weg zurück, wenn es keine Einbahnstraße ist?
Hettling: Na ja, wie Militär sozusagen in eine Demokratie integriert wird, da gibt es unterschiedliche Mechanismen. Das hängt mit Ausbildung der Offizierskorps, der Eliten zusammen, weil Selbstverständnis dort vermittelt wird, wie eine Akzeptanz von Militär in der Bevölkerung vermittelt wird, wie auch demokratische Überzeugungen beim Militär Personen vermittelt werden. Das sind ja sehr unterschiedliche Wege. Da ist Wehrpflicht, glaube ich, als Instrumentarium neutral. Muss man ja auch dran denken, die Nazis haben 35 die Wehrpflicht wieder eingeführt und hatten keineswegs die Sorge, dass das sozusagen gegen ihre aggressiven Kriegspläne sich auswirken könnte. Also da gibt gerade die deutsche Geschichte ja Beispiele, dass Wehrpflicht kompatibel war mit der Demokratie – das ist die Erfahrung der Bundesrepublik –, aber auch offenbar für eine Militarisierung der Gesellschaft – das war die Erfahrung des 19. Jahrhunderts – und auch keineswegs aggressive Kriegspolitik verhindert hat, das lehrt das Beispiel des Dritten Reichs.
Koldehoff: Nach 45 war die Rede vom Staatsbürger in Uniform, man wollte den Staat im Staate verhindern, den es vorher gegeben hatte. Das sind Überlegungen, die heute nach wie vor aktuell sind. Nun ist auch immer die Rede gewesen von der staatsbürgerlichen Pflicht, die der Wehrdienst auch gewesen ist. Wer ihn nicht leisten wollte, der musste nicht nur Ersatzdienst beantragen, sondern auch lange Zeit hochnotpeinliche Gewissensbefragungen über sich ergehen lassen. Was spräche dagegen, diese Idee von der staatsbürgerlichen Pflicht aufzugreifen oder aufrechtzuerhalten, indem man beispielsweise ein verbindliches freiwilliges soziales Jahr einführt?
Hettling: Da gibt es viele gute Gründe, die dafür sprechen, und ich würde es noch erweitern, als staatsbürgerliche Pflicht würde ich es auch ansehen. Das ist egal, ob es nun Wehrpflichtige, freiwillige oder Berufssoldaten sind, die in Auslandseinsätzen stehen und dort ihr Leben riskieren, dass man sie genau dafür würdigt, nicht dass sie spezifische militärische Dienstaufgaben erfüllen, sondern als deutsche Staatsbürger bestimmte Aufgaben erfüllen, die ja vom politischen Souverän, sprich dem Bundestag, so beschlossen worden sind. Das wäre, glaube ich, eine moderne Form, staatsbürgerliche Pflicht zu definieren.
Koldehoff: Der Historiker Manfred Hettling zum Ende der Wehrpflicht in Deutschland. Vielen Dank!