Stefan Heinlein: Der Amoklauf von Winnenden: heute vor zwei Monaten, am 11. März, erschoss Tim K. 15 Menschen und anschließend sich selbst. Das genaue Motiv des 17-jährigen Schülers liegt bis heute im Dunkeln. Klar ist dagegen: Die Waffe und die Munition stammen aus dem eigenen Elternhaus. "Winnenden darf sich nicht wiederholen", so die Forderung aller Parteien im Anschluss an das Blutbad. Viele Vorschläge wurden diskutiert, doch bis heute hat sich wenig getan. Rasch versandete die Debatte um eine Verschärfung des Waffenrechts im Kreuzfeuer der Kritik der Interessengruppen. Nun will die Koalition doch noch vor der Sommerpause im Eilverfahren neue Regelungen beschließen. Morgen (Dienstag) will Wolfgang Schäuble mit den Innenexperten der Koalition die noch offenen Punkte klären. Doch es zeichnet sich bereits ab: Große Änderungen, die Abrüstung im Wohnzimmer, wird es nicht geben. – Bei mir am Telefon ist nun die innenpolitische Sprecherin der Grünen, Silke Stokar. Guten Morgen nach Hannover.
Silke Stokar: Guten Morgen.
Heinlein: Ist die Koalition vor dem Millionenheer der Schützen und Jäger erneut eingeknickt?
Stokar: Ja, das sieht so aus. Wir haben zirka 20 Millionen legale Waffen in Privathaushalten. Winnenden hat gezeigt, dass es ganz legal ist, 15 gefährliche Schusswaffen in der Privatwohnung zu haben und dazu 6000 Schuss Munition. Der Großen Koalition fällt jetzt ein, so etwas wie Paintball-Spiele zu verbieten. Wenn das Ganze nicht so ein trauriger Anlass wäre, dann müsste man fast darüber lachen. Ganz offensichtlich traut man sich nicht daran, zum Beispiel die Frage zu klären, müssen großkalibrige Waffen, zum Beispiel Schnelllader-Waffen, tatsächlich Sportwaffen sein. Es gibt keine Olympiadisziplin, bei denen diese Waffen als Sportwaffen gebraucht werden, und meine erste Forderung wäre zu sagen, großkalibrige Waffen sind keine Sportwaffen und sie haben in Privatwohnungen nichts verloren.
Heinlein: Warum sind denn großkalibrige Waffen gefährlicher als andere? Eine Kugel kann einen Menschen töten, egal welches Kaliber.
Stokar: Ja, natürlich. Man kann auch mit den bloßen Händen jemanden erwürgen. Wir wissen aber aus den Amokläufen, die es ja in England, in Australien, in den USA gegeben hat, dass gerade diese großkalibrigen Schnelllader-Waffen mit zu den Kultwaffen von Amokläufern gehören. Es ist ja so traurig, dass es tatsächlich Internet-Foren gibt mit Filmen und mit Vorbereitungen, wo immer der gleiche Waffentyp dann auch gezeigt wird, mit dem trainiert wird. Ich glaube, wir müssen einfach anfangen. Ich möchte, dass Schießsport wieder Schießsport ist in Deutschland, und das heißt, dass Schießsport ausgeübt wird als Präzisionssport mit Luftdruckgewehren, die man nach jedem Schuss nachladen muss. Das ist für mich Schießsport.
Heinlein: Also alle 20 Millionen Waffen in deutschen Haushalten gehören auf den Schrottplatz?
Stokar: Ich habe nicht gesagt "alle". Es gibt bestimmte Sportwaffen, die ich durchaus zulassen möchte, aber wir haben heute die Situation, dass zu jeder Waffe, die es auf dem Markt zu kaufen gibt, es den passenden Sportverein gibt, und das ist eine Umkehr von dem, was es unter Schießsport, unter seriösem, traditionellem Schießsport in Deutschland mal gegeben hat, und wir müssen ran an die Waffen in den Privatwohnungen. Ich möchte, dass keine schussfähige Waffe in Privatwohnungen ist, und das heißt, wir müssen entweder die Munition getrennt aufbewahren, oder bestimmte Waffenteile, oder aber Vorsorge treffen, dass die Waffen an den Sportstätten direkt gelagert werden können.
Heinlein: Und wer soll das kontrollieren? Die Polizei hat jetzt schon erklärt, dass man dazu personell überhaupt nicht in der Lage ist.
Stokar: Bisher war das auch nicht Sache der Polizei, dieses zu kontrollieren. Wir haben ein Kontrolldefizit, deswegen ist das zweite Placebo der Großen Koalition die verdachtsunabhängigen Wohnungsbesuche. Wir haben ein Defizit bei der Zuverlässigkeitsüberprüfung, wir haben ein Defizit bei der in Augenscheinnahme der Waffenschränke, die vorgeschrieben sind. Das sind Aufgaben der kommunalen Ordnungsämter und diese Aufgaben müssen auch wahrgenommen und erfüllt werden, aber dafür brauchen wir erst mal ein nationales Waffenregister, damit wir überhaupt wissen, in welchen Wohnungen Waffen sind.
Heinlein: "Verdachtsunabhängige Kontrollen" sagen Sie. Die Unverletzlichkeit der Wohnung ist doch für die Grünen, gerade für die Grünen ein hohes Gut. Warum soll dieses Grundrecht nun für Schützen und Jäger außer Kraft gesetzt werden?
Stokar: Ich halte diesen Ansatz nicht für richtig - das geht auch gar nicht nach der Verfassung -, sondern ich möchte erst mal, dass wir ein Waffenregister anlegen, wissen, in welchen Wohnungen Waffen sind, und dann anfangen, Schritt für Schritt diese Waffen in den Wohnungen zu reduzieren. Dafür brauchen wir erst mal die überhaupt schon zugelassenen Kontrollen und die Zuverlässigkeitsüberprüfung. Hier soll mit dem Begriff der verdachtsunabhängigen Kontrolle, der verfassungsrechtlich so gar nicht geht, den wir auch so nicht wollen, überdeckt werden, dass wir ein hohes Defizit haben zum Beispiel bei den Zuverlässigkeitskontrollen.
Heinlein: Aber genau das, Frau Stokar, hat die Koalition doch vor, dass Schützen, Waffenbesitzer künftig regelmäßiger kontrolliert werden.
Stokar: Ja, das wollen wir auch. Wir wollen A die Zuverlässigkeit kontrollieren, wir wollen auch kontrollieren, sind die Waffen in der Wohnung wirklich Sportwaffen, wurde damit in den letzten drei Jahren Sport ausgeübt, oder ist man einmal in einen Sportverein eingetreten, um die Verfügbarkeit über Waffen zu haben. Das ist ja offensichtlich in vielen Fällen der Fall und hier wollen wir auch Kontrollen haben. Aber das, was die Große Koalition hier als Schnellschuss im Moment macht, ist um das Problem herumzueiern, nicht die tatsächlichen Probleme anzugehen, weil sie sich nicht anlegen wollen mit den Schützenvereinen, und dann kommen sie halt auf die Idee und verbieten Paintball-Spiele.
Heinlein: Also eine Art Ablenkungsmanöver, weil man sich an die Schützen nicht herantraut?
Stokar: Ja, ganz genau so ist es. Man traut sich an die Schützen nicht heran. Man macht auch nicht die richtigen Maßnahmen jetzt. Man arbeitet dann mit Begriffen wie "verdachtsunabhängig" und "biometrische Sicherung". Herr Schäuble soll mir doch mal die Waffe zeigen, die man mit einem Fingerabdruck sichern kann. So was ist heute nicht auf dem Markt und vermutlich auch die nächsten zehn Jahre nicht.
Heinlein: Frau Stokar, Sie reden von einem Schnellschuss der Koalition. Werden Sie denn als Grünen-Fraktion daran mitarbeiten, damit dieser Schnellschuss nun vor der Sommerpause nicht noch zum Rohrkrepierer wird? Hoffen Sie darauf, dass bis Dienstag im parlamentarischen Verfahren, dann in den kommenden Wochen noch einiges geregelt werden kann, was Sie jetzt fordern?
Stokar: Wir haben einen vernünftigen Antrag zur Änderung des Waffengesetzes eingebracht und unsere Vorschläge liegen auf dem Tisch. Die Vorschläge der Großen Koalition sind entweder Unsinn, oder Placebo, und ich kann die Große Koalition nur auffordern, sich an unserem Antrag zur Verschärfung des Waffenrechts zu orientieren. Dann haben wir wirklich mehr Sicherheit in Deutschland.
Heinlein: Aber Sie haben wenig Hoffnung, dass Wolfgang Schäuble und seine Kollegen Einsicht haben werden?
Stokar: Bei den Vorschlägen, die jetzt auf dem Tisch liegen, da soll so getan werden, als wollte die Große Koalition handeln, aber sie handelt nicht wirklich, sie spielt hier Ausweichspiele. Ich hoffe, dass sich die Bevölkerung davon nicht erneut blenden lässt, denn wir haben ein reales Problem. Schüler, Eltern und Lehrer sollen sich zu Wort melden und sagen, wir wollen mit diesem Risiko nicht länger leben, damit die Minderheit der Waffenbesitzer sich nicht permanent in den großen Volksparteien durchsetzt.
Heinlein: Im Deutschlandfunk heute Morgen die innenpolitische Sprecherin der Grünen, Silke Stokar. Ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören nach Hannover.
Stokar: Ja, bitte schön.
Silke Stokar: Guten Morgen.
Heinlein: Ist die Koalition vor dem Millionenheer der Schützen und Jäger erneut eingeknickt?
Stokar: Ja, das sieht so aus. Wir haben zirka 20 Millionen legale Waffen in Privathaushalten. Winnenden hat gezeigt, dass es ganz legal ist, 15 gefährliche Schusswaffen in der Privatwohnung zu haben und dazu 6000 Schuss Munition. Der Großen Koalition fällt jetzt ein, so etwas wie Paintball-Spiele zu verbieten. Wenn das Ganze nicht so ein trauriger Anlass wäre, dann müsste man fast darüber lachen. Ganz offensichtlich traut man sich nicht daran, zum Beispiel die Frage zu klären, müssen großkalibrige Waffen, zum Beispiel Schnelllader-Waffen, tatsächlich Sportwaffen sein. Es gibt keine Olympiadisziplin, bei denen diese Waffen als Sportwaffen gebraucht werden, und meine erste Forderung wäre zu sagen, großkalibrige Waffen sind keine Sportwaffen und sie haben in Privatwohnungen nichts verloren.
Heinlein: Warum sind denn großkalibrige Waffen gefährlicher als andere? Eine Kugel kann einen Menschen töten, egal welches Kaliber.
Stokar: Ja, natürlich. Man kann auch mit den bloßen Händen jemanden erwürgen. Wir wissen aber aus den Amokläufen, die es ja in England, in Australien, in den USA gegeben hat, dass gerade diese großkalibrigen Schnelllader-Waffen mit zu den Kultwaffen von Amokläufern gehören. Es ist ja so traurig, dass es tatsächlich Internet-Foren gibt mit Filmen und mit Vorbereitungen, wo immer der gleiche Waffentyp dann auch gezeigt wird, mit dem trainiert wird. Ich glaube, wir müssen einfach anfangen. Ich möchte, dass Schießsport wieder Schießsport ist in Deutschland, und das heißt, dass Schießsport ausgeübt wird als Präzisionssport mit Luftdruckgewehren, die man nach jedem Schuss nachladen muss. Das ist für mich Schießsport.
Heinlein: Also alle 20 Millionen Waffen in deutschen Haushalten gehören auf den Schrottplatz?
Stokar: Ich habe nicht gesagt "alle". Es gibt bestimmte Sportwaffen, die ich durchaus zulassen möchte, aber wir haben heute die Situation, dass zu jeder Waffe, die es auf dem Markt zu kaufen gibt, es den passenden Sportverein gibt, und das ist eine Umkehr von dem, was es unter Schießsport, unter seriösem, traditionellem Schießsport in Deutschland mal gegeben hat, und wir müssen ran an die Waffen in den Privatwohnungen. Ich möchte, dass keine schussfähige Waffe in Privatwohnungen ist, und das heißt, wir müssen entweder die Munition getrennt aufbewahren, oder bestimmte Waffenteile, oder aber Vorsorge treffen, dass die Waffen an den Sportstätten direkt gelagert werden können.
Heinlein: Und wer soll das kontrollieren? Die Polizei hat jetzt schon erklärt, dass man dazu personell überhaupt nicht in der Lage ist.
Stokar: Bisher war das auch nicht Sache der Polizei, dieses zu kontrollieren. Wir haben ein Kontrolldefizit, deswegen ist das zweite Placebo der Großen Koalition die verdachtsunabhängigen Wohnungsbesuche. Wir haben ein Defizit bei der Zuverlässigkeitsüberprüfung, wir haben ein Defizit bei der in Augenscheinnahme der Waffenschränke, die vorgeschrieben sind. Das sind Aufgaben der kommunalen Ordnungsämter und diese Aufgaben müssen auch wahrgenommen und erfüllt werden, aber dafür brauchen wir erst mal ein nationales Waffenregister, damit wir überhaupt wissen, in welchen Wohnungen Waffen sind.
Heinlein: "Verdachtsunabhängige Kontrollen" sagen Sie. Die Unverletzlichkeit der Wohnung ist doch für die Grünen, gerade für die Grünen ein hohes Gut. Warum soll dieses Grundrecht nun für Schützen und Jäger außer Kraft gesetzt werden?
Stokar: Ich halte diesen Ansatz nicht für richtig - das geht auch gar nicht nach der Verfassung -, sondern ich möchte erst mal, dass wir ein Waffenregister anlegen, wissen, in welchen Wohnungen Waffen sind, und dann anfangen, Schritt für Schritt diese Waffen in den Wohnungen zu reduzieren. Dafür brauchen wir erst mal die überhaupt schon zugelassenen Kontrollen und die Zuverlässigkeitsüberprüfung. Hier soll mit dem Begriff der verdachtsunabhängigen Kontrolle, der verfassungsrechtlich so gar nicht geht, den wir auch so nicht wollen, überdeckt werden, dass wir ein hohes Defizit haben zum Beispiel bei den Zuverlässigkeitskontrollen.
Heinlein: Aber genau das, Frau Stokar, hat die Koalition doch vor, dass Schützen, Waffenbesitzer künftig regelmäßiger kontrolliert werden.
Stokar: Ja, das wollen wir auch. Wir wollen A die Zuverlässigkeit kontrollieren, wir wollen auch kontrollieren, sind die Waffen in der Wohnung wirklich Sportwaffen, wurde damit in den letzten drei Jahren Sport ausgeübt, oder ist man einmal in einen Sportverein eingetreten, um die Verfügbarkeit über Waffen zu haben. Das ist ja offensichtlich in vielen Fällen der Fall und hier wollen wir auch Kontrollen haben. Aber das, was die Große Koalition hier als Schnellschuss im Moment macht, ist um das Problem herumzueiern, nicht die tatsächlichen Probleme anzugehen, weil sie sich nicht anlegen wollen mit den Schützenvereinen, und dann kommen sie halt auf die Idee und verbieten Paintball-Spiele.
Heinlein: Also eine Art Ablenkungsmanöver, weil man sich an die Schützen nicht herantraut?
Stokar: Ja, ganz genau so ist es. Man traut sich an die Schützen nicht heran. Man macht auch nicht die richtigen Maßnahmen jetzt. Man arbeitet dann mit Begriffen wie "verdachtsunabhängig" und "biometrische Sicherung". Herr Schäuble soll mir doch mal die Waffe zeigen, die man mit einem Fingerabdruck sichern kann. So was ist heute nicht auf dem Markt und vermutlich auch die nächsten zehn Jahre nicht.
Heinlein: Frau Stokar, Sie reden von einem Schnellschuss der Koalition. Werden Sie denn als Grünen-Fraktion daran mitarbeiten, damit dieser Schnellschuss nun vor der Sommerpause nicht noch zum Rohrkrepierer wird? Hoffen Sie darauf, dass bis Dienstag im parlamentarischen Verfahren, dann in den kommenden Wochen noch einiges geregelt werden kann, was Sie jetzt fordern?
Stokar: Wir haben einen vernünftigen Antrag zur Änderung des Waffengesetzes eingebracht und unsere Vorschläge liegen auf dem Tisch. Die Vorschläge der Großen Koalition sind entweder Unsinn, oder Placebo, und ich kann die Große Koalition nur auffordern, sich an unserem Antrag zur Verschärfung des Waffenrechts zu orientieren. Dann haben wir wirklich mehr Sicherheit in Deutschland.
Heinlein: Aber Sie haben wenig Hoffnung, dass Wolfgang Schäuble und seine Kollegen Einsicht haben werden?
Stokar: Bei den Vorschlägen, die jetzt auf dem Tisch liegen, da soll so getan werden, als wollte die Große Koalition handeln, aber sie handelt nicht wirklich, sie spielt hier Ausweichspiele. Ich hoffe, dass sich die Bevölkerung davon nicht erneut blenden lässt, denn wir haben ein reales Problem. Schüler, Eltern und Lehrer sollen sich zu Wort melden und sagen, wir wollen mit diesem Risiko nicht länger leben, damit die Minderheit der Waffenbesitzer sich nicht permanent in den großen Volksparteien durchsetzt.
Heinlein: Im Deutschlandfunk heute Morgen die innenpolitische Sprecherin der Grünen, Silke Stokar. Ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören nach Hannover.
Stokar: Ja, bitte schön.