Archiv


"Man will eine Demokratie ohne Öffentlichkeit"

Der Vorsitzende der Linkspartei, Lothar Bisky, hat ein Referendum über den EU-Reformvertrag gefordert. Es dürfe keine Demokratie ohne Öffentlichkeit geben. Ferner kritisierte er, dass der Vertrag eine Verpflichtung zur Aufrüstung und die Möglichkeit zur Entsendung von Truppen in Gebiete außerhalb der EU enthalte.

Moderation: Christian Schütte |
    Christian Schütte: Ein gemeinsamer Verfassungsvertrag für die EU, das ist einmal ein Traum vieler Europapolitiker gewesen. Ein Traum, der in dieser Form allerdings geplatzt ist, nachdem die Bürger in Frankreich und in den Niederlanden mehrheitlich dagegen gestimmt hatten. Dann hieß es, retten, was zu retten ist. Dabei heraus kam der Lissabon-Vertrag, eine Art abgespeckte Version dessen, was ursprünglich geplant war. Trotzdem weitgehende Zufriedenheit bei den meisten Parteien, denn der Vertrag soll eines gewährleisten, dass die ständig größer gewordene EU in Zukunft handlungsfähig bleibt. Heute beginnt im Bundestag das Ratifizierungsverfahren für den Lissabonner Vertrag in Deutschland. Kritik kommt dabei von der Linkspartei. Darüber spreche ich nun mit deren Parteivorsitzenden Lothar Bisky. Einen guten Morgen!

    Lothar Bisky: Guten Morgen, Herr Schütte!

    Schütte: Sie sind gegen den Lissabon-Vertrag. Ist Ihnen eine EU lieber, die behäbig ist und sich an vielen Stellen selbst blockiert?

    Bisky: Nein, nein, das ist nicht der Fall. Es gibt ja auch positive Seiten in diesem Vertrag. Ich kann auch einige nennen. Wir sehen das durchaus differenziert.

    Schütte: Was stört Sie denn?

    Bisky: Uns stört, dass da eine Aufrüstungsverpflichtung drin ist, dass da Battle Groups auch in Territorien außerhalb des Hoheitsgebietes der EU geschickt werden können, dass eine Aufrüstungsagentur verpflichtend wird. Kurz, uns stört, dass da unbedingt Aufrüstung drin sein muss, und es uns stört uns etwas Zweites grundlegend, dass es nicht Referenden über den EU-Vertrag gibt. Wenn der so gut ist, muss ja niemand fürchten, dass die Bevölkerung den ablehnt. Wenn es gute Argumente gibt, muss doch keiner die Volksabstimmung fürchten. Und jetzt liegt ein Vertrag vor, den kein Mensch lesen kann. Das heißt, man will eine Demokratie ohne Öffentlichkeit, und das geht nicht. Das sind zwei Gründe, warum wir dagegen sind, dann gibt es auch noch wirtschaftspolitische Gründe, aber das sind nicht einmal die ausschlaggebenden.

    Schütte: Der Vertrag gibt den Einzelnen mehr Mitspracherecht in Brüssel, Stichwort Bürgerentscheid. Was ist denn daran undemokratisch?

    Bisky: Na ja, das würdige ich auch. Das halte ich auch für gut, dass das so passiert. Es gibt auch andere positive Seiten. Nur eines ist ja auch klar, es gab zwei Volksreferenden in Frankreich und in den Niederlanden, und das wird einfach ignoriert. Und das wird ja, wie die Leute sagen, auch diejenigen, die den Verfassungsentwurf gemacht haben, werden ja ungefähr 95 Prozent, 90 bis 95 Prozent, da will ich jetzt gar nicht streiten, des ursprünglichen Entwurfes, der abgelehnt wurde, angenommen oder sind drin in dem neuen Umschlag. Und ich glaube, das ist eine Missachtung der Willensbekundung von zwei Bevölkerungen in Europa. Und ich sehe nicht ein, warum das sein muss. Man könnte doch eine lesbare Variante in einem breiten Diskussionsprozess dann in Referenden annehmen lassen, jedenfalls plädiert die Linke dafür.

    Schütte: Sie haben gesagt, das sei eine Missachtung. Andere sagen, endlich hat sich die EU aus ihrer Selbstblockade befreit. Das kann doch nicht schlecht sein?

    Bisky: Na ja, wenn man die Bevölkerung als Blockade empfindet? Ich empfinde das anders. Sondern man kann doch nicht sagen, die Franzosen stören uns, aber wir wollen da einen Vertrag für Frankreich unabhängig von den Franzosen. Ich halte dies für eine Arroganz der Regierenden und ich benenne es auch so. Niemand muss das Volk fürchten.

    Schütte: Reden wir einmal über einen anderen Aspekt, den Sie auch schon angesprochen haben, der Lissabon-Vertrag erleichtert die Koordinierung von Hilfseinsätzen im Ausland. Ihr Parteikollege, Herr Lafontaine sagt, das ist schlecht. Was sagen Sie?

    Bisky: Das ist schlecht. Ich weiß nicht, was die Auslandseinsätze so bringen. Fünf Jahre Irakkrieg haben wir jetzt. Was hat denn der gebracht? Kosovo, hatten wir Militäreinsätze, jetzt haben wir ein Protektorat, eine schwierige Lösung. Was hat der Einsatz in Afghanistan gebracht?

    Schütte: Nehmen wir das Beispiel Kosovo. Was die EU dort leistet, könnte in Zukunft noch effektiver vonstatten gehen mit dem Lissabon-Vertrag, das heißt ein Plus an Sicherheit im Kosovo. Sind Sie auch dagegen?

    Bisky: Ich halte die Lösung, die im Kosovo gefunden wurde, für außerordentlich problematisch. Es ist eine Art Protektorat. Man hat dort einen militärischen Einsatz gehabt. Man hat jetzt, ich weiß nicht, wohin das führen soll, sehr viele Beamte aus den Ländern der EU dahin gesteckt, und die werden das Land aufbauen. Ich glaube, es geht nur mit den Kosovaren aufzubauen. Ich will nicht sagen, dass eine einfache Lösung mir da sofort einfällt, aber diese Lösung überzeugt mich nicht. Außerdem hat die mit dem ursprünglichen UN-Beschluss auch nichts zu tun. Und wir haben eine Verärgerung in Serbien. Wir haben eine Verärgerung in Russland und anderswo auch. Man fürchtet etwa in anderen Gebieten, dass dort auch derartige Lösungen gefunden werden, nachdem es mit dem Kosovo legitimiert wurde. Warum soll die türkische Armee aus ihrem Gebiet in Nordzypern abrücken?

    Schütte: Herr Bisky, gehen wir einmal weg von den Für und Wider für Hilfseinsätze an sich, sondern reden wir mal darüber, was sich durch den Lissabonner Vertrag ändern würde. Das ist nämlich gar nicht so viel. Nach wie stellen die Mitgliedsländer die Truppen. Wir reden nicht über ein stehendes Heer, das in Konkurrenz zur NATO unmittelbar aus Brüssel etwa ausrücken würde, das heißt, es wird nur die Zusammenarbeit, die Effektivität, die Koordination wird verbessert?

    Bisky: Ja, das lese ich ein bisschen anders. Da ist ja die Rede auch von einer Verpflichtung zur Aufrüstung. Es heißt wörtlich, ihre militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern usw. usf. Und das halte ich nun nicht für eine angenehme Lösung der Probleme, die es gibt, sondern wenn man sich auf Aufrüstung verpflichtet und dann auch eine Art militärisches Kerneuropa ermöglicht, das steht ja auch im Text, dann halte ich das für ein großes Problem. Ich glaube, wir brauchen in Europa Abrüstung. Wir brauchen friedliche Lösungen. Und die Linke sagt, wir brauchen keine Aufrüstung. Wer bedroht Europa? Ich sehe dort keine Feinde, die über uns herfallen. Verteidigung ist noch eine andere Frage, damit ich nicht falsch verstanden werde. Aber hier geht es ja auch um Militäreinsätze außerhalb des Hoheitsgebietes der EU.

    Schütte: Zum Beispiel im Tschad. Und Hilfseinsätze wie der haben ja gezeigt, wie schwierig es ist, eine Truppe zusammenzubekommen. Da könnte es doch helfen, wenn Brüssel beispielsweise den eigenen Etat hat, den sie verwalten kann?
    Bisky: Wir reden jetzt über sehr unterschiedliche Sachen. Ich kenne auch den Blauhelmeinsatz in Nikosia. Das ist ja auch etwas, wo ich sage, dort hat man dafür gesorgt, dass dort nichts Schlimmeres passiert. Das ist ja in Ordnung. Den Tschad, man kann auch hier oder da ein anderes Beispiel finden. Nur, wir müssen auch über die Militäreinsätze und die kriegerischen Lösungen, die dann etwa im Irak gesucht werden, reden. Und all das zusammengenommen, sage ich, das sind keine überzeugenden Lösungen.

    Schütte: Mit Ihrer Haltung zur EU-Politik, gerade was die Hilfseinsätze betrifft, steht Ihre Partei alleine da. Also hat die SPD recht, wenn sie sagt, die Linke hat auf Bundesebene nichts in einer Regierung zu suchen?

    Bisky: Nein, da hat sie nicht recht. Herr Beck hat gesagt, wir lehnen die ab. Er vergisst aber die Gründe zu erwähnen. Und wer eine EU will, auch eine handlungsfähige EU braucht nicht zwingend Militäreinsätze außerhalb der EU. Das ist die Logik, die ich nicht akzeptiere. Das ist so, wie man es schon mal hatte, dass man gesagt hat, bist du für den Frieden, war ja in der DDR das ständige Argument, wenn du dafür bist, dann musst du alles andere auch akzeptieren. Wir sind eindeutig für die Europäische Union, akzeptieren aber nicht jede Lösung, sondern wollen dort einen demokratischen Prozess, eine Diskussion, eine Öffentlichkeit und eine Abstimmung durch die Bevölkerung.

    Schütte: Sie bekräftigen Ihre ablehnende Position zum außenpolitischen Konsens, auch EU-weit, also darf ich daraus schließen, Sie wollen bundespolitisch nicht in die Regierung?

    Bisky: Heute nicht, nein, das steht im Moment auch gar nicht zur Debatte. Aber auch wenn wir in eine Regierung kämen, dann wäre eine der Bedingungen, lasst uns nach friedlichen Lösungen suchen. Wir brauchen Abrüstung und Frieden in Europa, wir brauchen Sicherheit durch Kooperation, nicht Sicherheit durch Militäreinsätze. Das ist ein anderes politisches Konzept, es ist eine Alternative.

    Schütte: Aber auch in Brüssel sind Sie mit dieser Position in der Minderheit. Wie wollen Sie da das Rad der Geschichte zurückdrehen?

    Bisky: Wir drehen überhaupt nichts zurück. Es gibt eine Mehrheit in der deutschen Bevölkerung, die bestimmte Militäroperationen außerhalb des Territoriums der EU nicht für gut halten. Da finde ich mich durchaus in guter Gesellschaft wieder. Es ist nicht so, dass dort Begeisterung über die Militäreinsätze existiert. Es gibt viele Menschen, die vernünftige Gründe auch benennen können, und da meine ich nicht nur die Friedensbewegung, die sagen, lasst uns friedliche Lösungen suchen. Es gibt mehr Möglichkeiten der Konfliktlösung, als man bereithält, wenn man unentwegt über Militäreinsätze nachdenkt.

    Schütte: Lothar Bisky, Vorsitzender der Linkspartei. Ich danke für das Gespräch!

    Bisky: Ich bedanke mich!