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Manaf Halbouni beim Kunstprojekt "Residenzpflicht"
"Was soll ich denn schon verlieren?"

Das Flugzeug, das Manaf Halbouni in den nächsten vier Wochen in einer Flüchtlingsunterkunft in Berlin-Marzahn bauen will, wird niemals fliegen. Muss es auch nicht: Damit trägt er beim jetzt startenden Kunstprojekt „Residenzpflicht“ den Wunsch in die Welt, frei an einem besseren Ort leben zu wollen.

Von Heike Schwarzer | 26.04.2019
Ein Linienbus wird am 06.02.2017 auf dem Neumarkt vor der Frauenkirche in Dresden von einem Kran in eine senkrechte Position gehoben.
Hang zu großen Objekten: Ein Linienbus wird 2017 vor der Frauenkirche in Dresden von einem Kran in eine senkrechte Position gehoben. Es ist Teil der Installation "Monument" (dpa / picture alliance / Sebastian Kahnert)
Der Plattenspieler steht in seinem Dresdner Zimmer, in einer 3-Männer-Wohngemeinschaft. Manaf Halbouni braucht Musik, wenn er arbeitet. Der Rammstein-Fan, der gerne japanische Mangas liest und antiquarische Orientreiseführer, er hat gerade Hip-Hop für sich entdeckt.
Manaf Halbouni: "Eigentlich bin ich mit Rock-Musik aufgewachsen, weil mein Bruder immer Metal gehört hat, aber irgendwann hab ich mir auch andere Sachen angehört; und vor zwei Jahren bin ich auf Old-School-Hip-Hop gekommen."
Neben dem Plattenspieler liegen ein Schokoladenosterhase neben einem Käthe-Kollwitz-Buch und ein goldenes Kästchen mit Gartenerde. Sein Vater hat sie ihm aus Damaskus mitgebracht. Die Erde riecht nach Pinien. Im Dresdner Vorgarten blickt Manaf Halbouni auf einen blühenden Apfelbaum.
"Was bin ich eigentlich…? Das frage ich mich auch immer."
Manaf Halbouni, 34 Jahre alt, sein Vater ist Syrer, die Mutter hat Dresdner Wurzeln. Aufgewachsen ist er in Damaskus, Familiensprache war Deutsch. Als Kind verbrachte er die Sommerferien oft bei den Großeltern in Dresden, sie haben die angloamerikanischen Bombenangriffe vom Februar 1945 überlebt. 2008 flieht der Kunststudent Halbouni vor dem syrischen Militärdienst nach Dresden.
Eine bessere Welt kreieren
"Ich bin die Mischung, die zwischen den Welten aufgewachsen ist und hier versucht, die Welten zusammenzuführen und eine neue und bessere Welt zu kreieren, wo alle halbwegs miteinander klar kommen."
Sagt der Bildhauer und Aktionskünstler und zwirbelt die Enden eines dünnen Schnauzbartes nach oben. Schwarzes Hemd und schwarze Hose lassen ihn noch schmaler erscheinen - auch die dunklen Haare, die er streng im Nacken verknotet. Vor drei Tagen war er noch auf der Biennale in Havanna. Die Idee zur "Residenzpflicht", dem Kunstprojekt in einer Berliner Flüchtlingsunterkunft, bewegt er – wie viele seiner Arbeiten - schon lange in seinem Kopf.
"Ein Teil meiner Arbeit beschäftigt sich ja eh immer damit eingesperrt zu sein oder mit wenig zu leben. Was ich jetzt gerade in Havanna gemacht habe heißt "uprooted", "entwurzelt", da habe ich versucht, Mini-Autos zu Mini-Wohnungen umzubauen, indem man so wenig wie möglich reinpackt und schaut, ob man mit dem, was da ist, klar kommt."
2013 hat er das selbst ausprobiert. Gefrustet von der Situation in Dresden, den wachsenden Pegida-Aufmärschen, ging er ein Jahr lang auf Reisen quer durch Europa, lebte im Auto, Geld war auch vorher knapp.
"2010 war der Bürgerkrieg noch nicht in Sicht in Damaskus und ich hatte kein Geld, um mir ein Flugticket zu kaufen, um nach Hause zu fliegen, daraufhin ist das erste Flugzeug entstanden."
Fliegen, Freiheit, Flucht – auch jetzt in Berlin ist das sein Thema, wenn er für vier Wochen ein Containeratelier in Marzahn bezieht, wenn er Küche und Bad mit Flüchtlingen teilt - und vielleicht auch die Idee für ein neues, ganz großes Flugobjekt.
Mein Ding durchziehen
"Mich fasziniert bei dem Thema Flugzeug immer die Reisefreiheit. Muss ich erst mit dem Boot hierher kommen, um dann mit dem Flugzeug abgeschoben zu werden? Es entstehen gerade mehrere Arbeiten zu dem Thema, das Residenzpflicht-Flugzeug ist ein Teil davon."
Ein Experiment mit offenem Ausgang - und im besten Fall mit viel Diskussionsstoff für die Berliner Nachbarschaft. Mit Ungewissheiten hat Manaf Halbouni leben gelernt, auch mit dem Durchkämpfen.
Der syrische Künstler Manaf Halbouni wird mit einem Smartphone fotografiert
Der syrische Künstler Manaf Halbouni vor seiner Installation "Monument Temporäre Skulptur" (2017) (dpa (Soeren Stache))
"Was meine beiden Familien, die syrische oder auch die deutsche, schon alles verloren haben durch Kriege, Kommunismus, Diktaturen, dann denk' ich mir auch, was soll ich denn schon verlieren? Da kann ich einfach mal mein Ding durchziehen."
Und jetzt eben von Dresden aus.
"Das ist schon eine Hassliebe. Ich schätze es trotzdem, hier zu sein."
Hier sammelt er Ideen, bevor er seine Kunstprojekte beginnt: Jeden Morgen liest er Nachrichten, trifft Freunde, schreibt Anträge, recherchiert, zeichnet.
"Und dann setz' ich mich dahinter und versuche, das Ding halt zu machen, oder gehe ins Atelier runter."
Das Atelier liegt im Keller seiner WG: überall Stahlrohre, Sperrholz, Betonreste.
"Das ist ein sehr massives Material und hat eine so neutrale Farbe, grau, da sind sehr viele Emotionen drin in dem Material."
Objekte, die das Auge füllen
Bevor er loslegt, greift er zum Smartphone, Manaf Halbouni streamt Hip-Hop von syrischen und libanesischen Musikern - viele leben inzwischen in Berlin - dann nimmt er die Minibox und geht ins Atelier. Die Kopfhörer braucht er später zur Konzentration, wenn er die Arbeiten auf Straßen, Plätzen oder in Museen installiert, in London, Leipzig, Venedig, Havanna oder Berlin.
"Ich arbeite gerne mit großen Objekten, Sachen, die das Auge füllen, sag' ich immer. Mir macht es Spaß, das Zeug durch das Atelier zu schleppen - auch wenn ich mir schon zweimal einen Bandscheibenvorfall geholt habe, tue ich‘s immer noch, ja."