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"Manche Bischöfe haben noch nicht erkannt, wie ernst die Lage ist"

Die Deutsche Bischofskonferenz hat sich gestern mit den Missbrauchsfällen beschäftigt und Veränderungen angekündigt. "Die Katholische Kirche hat noch in ganz anderer Weise da auch eine institutionelle Verantwortung zu übernehmen", kritisiert Christian Weisner, Sprecher der katholischen Laienorganisation 'Wir sind Kirche': "Und da habe ich auch hier zu wenig gehört."

Christian Weisner im Gespräch mit Matthias von Hellfeld | 24.09.2010
    Tobias Armbrüster: Seit Monaten wird die Katholische Kirche in Deutschland von bekannt gewordenen Missbrauchsfällen erschüttert. Jetzt sind die Alarmsignale offenbar in den obersten Etagen angekommen. Die Bischofskonferenz hat sich in dieser Woche prominent mit dem Thema beschäftigt. Gestern haben die Bischöfe erklärt, die Kirche werde künftig gezielt Präventionsarbeit leisten, vor allem in der Kinder- und Jugendarbeit. Jedes Bistum in Deutschland soll künftig einen eigenen Missbrauchsbeauftragten haben, außerdem sperrt sich die Kirche auch nicht länger gegen finanzielle Entschädigungen für die Opfer. Sie will aber noch keine konkreten Geldbeträge nennen.

    – Mein Kollege Matthias von Hellfeld hat über diese Ergebnisse mit Christian Weisner gesprochen, dem Sprecher der katholischen Laienorganisation "Wir sind Kirche". Erste Frage an ihn: Hat die Katholische Kirche damit genug getan?

    Christian Weisner: Ich denke, das ist ein Schritt, ein wichtiger Schritt, aber es hat doch sehr, sehr lange gedauert und es waren ja seit dem Fall Canisius-Kolleg, wo die Jesuiten Ende Januar die Opfer, die Betroffenen ermutigt haben, zu sprechen, eine ganz, ganz schwierige Zeit für die Katholische Kirche. Ich habe so den Eindruck, manche Bischöfe haben noch nicht erkannt, wie ernst die Lage ist, wie groß das Problem ist. Und deswegen: Ich hätte mir gewünscht, dass die Signale, die hier von Fulda ausgegangen sind, noch deutlicher gewesen wären.

    Matthias von Hellfeld: Kommen wir mal auf ein paar Details dieser Veröffentlichung zu sprechen. Es ist die Rede davon, mehr Sorgfalt bei der Priesterauswahl an den Tag zu legen. Ist das im Zusammenhang mit möglichen Missbrauchsfällen überhaupt möglich?

    Weisner: Das ist sicher ein wichtiger Punkt und es gibt einfach ältere Priester oder die jetzt vielleicht vor 10, 20 Jahren die Ausbildung gemacht haben, die sagen hier: Wir haben in der Ausbildung zum Priester überhaupt nicht über Sexualität und wie wir damit mal umgehen können, wie der Zölibat wirklich ganz konkret zu leben ist, darüber haben wir gar nicht geredet. Da ist einfach in der Katholischen Kirche dieser ganze Bereich sehr mit Tabus belegt worden. Insofern ist es erst mal gut, darüber zu sprechen. Und es gibt sicher schon einzelne Priesterseminare, wo das gemacht wird. Es ist richtig, das immer zu machen, aber es reicht noch nicht aus. Und es hilft natürlich auch nicht, mit den älteren Priestern umzugehen, denn es gibt ja noch viele, viele gerade ältere Priester und auch da, denke ich, wäre noch Prävention nötig, also nicht nur in die Priesterseminare schauen, sondern insgesamt. Wer in der Kirche arbeitet, ehrenamtlich und hauptamtlich, sollte für dieses Thema sensibilisiert werden, sollte selber wissen, was Sexualität für ihn bedeutet.

    von Hellfeld: Sie haben eben das Stichwort Zölibat genommen. Müsste nicht in diese Richtung auch weiter nachgedacht werden in der Katholischen Kirche?

    Weisner: Das ist natürlich einerseits schon richtig und das ist auch eine Forderung der Kirchenvolksbewegung "Wir sind Kirche" und anderer Reformgruppen. Aber es ist natürlich nicht so simpel zu sagen, der Zölibat, das heißt die Verpflichtung zur Ehelosigkeit des katholischen Priesters, führt automatisch dazu, dass so einer Täter wird, dass so einer sexuellen Missbrauch, Gewalt ausübt. Das ist nicht der Fall. Aber natürlich ist diese Männerkirche, diese Kirche, wo nur unverheiratete Männer in Weiheämtern sind, das ist natürlich schon ein Gesamtsystem. Und wenn man das zusammen nimmt, diese Tabuisierung der Sexualität, nicht darüber zu reden, so wie es jedenfalls früher war, dann dieses Gehorsamprinzip und das überhöhte Priesterbild, das heißt, dass der Priester doch gegenüber vielen Menschen und Kindern und Jugendlichen eine Autoritätsperson ist, das zusammen hat leider dazu geführt, dass es sexuellen Missbrauch gegeben hat. Und vor allen Dingen, dass er so lange von den Kirchenorganisationen, auch von den Bischöfen, vertuscht worden ist. Das ist ja das entscheidende Problem. Die Katholische Kirche, denke ich, hat noch in ganz anderer Weise da auch eine institutionelle Verantwortung zu übernehmen. Und da habe ich auch hier zu wenig gehört.

    von Hellfeld: Hatten Sie erwartet, dass die Bischofskonferenz mit klaren Zahlen aufwartet, die auch belastbar sind, wie sie die Opfer der Missbrauchsfälle entschädigen möchte, anstatt es bei allgemeinen Erklärungen zu belassen?

    Weisner: Nein. Da ist man doch sehr, sehr zögerlich gewesen und auch die Aussage, dass die Katholische Kirche neben anderen Hilfsangeboten, neben der Finanzierung von Therapien, auch eine finanzielle Anerkennung – so will man das jetzt nennen; man will den Begriff Entschädigung vermeiden -, diese Bereitschaft, eine finanzielle Anerkennung auch in einzelnen Fällen zu zahlen, diese ist doch erst am Ende der Pressekonferenz und erst auf mehrfache Nachfrage wirklich vom Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz gemacht worden. Man vertröstet sich und sagt, na ja, in einer Woche tagt der Runde Tisch der Bundesregierung, wo andere Gruppen dabei sind. Man will dem nicht vorgreifen. Ich kann es mir nur so erklären, dass zwar Erzbischof Zollitsch, der Vorsitzende, und auch der Missbrauchsbeauftragte, Bischof Dr. Ackermann, dass die, denke ich, schon ein großes Bemühen haben, aber dass innerhalb der Bischofskonferenz es doch immer noch einzelne Bischöfe gibt, die da doch eher bremsen. Aber das Zeichen, was insgesamt in die Kirche, an die Gläubigen und auch an die Gesellschaft gesendet wird, ist doch, dass die Katholische Kirche ja immer noch wieder zögerlich ist. Die Chance, wirklich jetzt eine Vorreiterrolle einzunehmen und zu sagen, ja, sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen ist ein gesellschaftliches Problem und wir zeigen wirklich neue Wege auf, das muss angegangen werden. Diese Vorreiterrolle kann ich leider noch nicht sehen.

    von Hellfeld: Finden Sie, abschließend gefragt, dass die Katholische Kirche heute etwas transparenter geworden ist, nachvollziehbar auch möglicherweise in ihren Entscheidungen?

    Weisner: Es ist sicher schon so, wie die Bischöfe, und so, wie Kirche funktioniert, sicher schon ein Fortschritt. Aber das eine, muss man sagen, da ist wirklich jetzt Papst Benedikt in den letzten Wochen und auch Jahren sehr, sehr viel deutlicher. Er hat sich mit Missbrauchsopfern getroffen, er sagt wirklich, es muss da ein Prinzip der Nulltoleranz sein. Und das andere, will ich mal sagen: Die Bischöfe tagen immer noch hier hinter verschlossenen Türen. Wirklich das Dialogangebot, was ja nicht nur die Reformbewegung, sondern auch das Zentralkomitee der deutschen Katholiken gemacht hat an die Bischofskonferenz, immer wieder, immer wieder, wirklich mal über die Gesamtsituation zu sprechen, denn diese Missbrauchsdebatte ist eigentlich nur die Spitze des Eisberges. Es geht wirklich darum, wie die sogenannten Laien, die normalen Gläubigen mit einbezogen sind, die Frauen in der Kirche, das Problem der wieder verheirateten Geschiedenen, die nicht zur Kommunion gehen dürfen, es gibt also einen richtigen Reformstau. Und diese Dialogfähigkeit, die müssen die Bischöfe erst noch beweisen.

    Armbrüster: So weit Christian Weisner, der Sprecher der katholischen Laienorganisation "Wir sind Kirche", im Gespräch mit meinem Kollegen Matthias von Hellfeld.