Donnerstag, 28. März 2024

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"Manchmal ist es Wichtigtuerei"

Julius H. Schoeps ist froh, dass es bei Alfred Grossers Rede aus Anlass der Pogromnacht nicht zu einem Eklat gekommen ist. Grosser habe das Recht, seine Position zu äußern. Er hätte jedoch mehr auf den 9. November 1938 eingehen sollen, meint der Direktor des Moses Mendelssohn Zentrums an der Universität Potsdam.

Julius H. Schoeps im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 10.11.2010
    Dirk-Oliver Heckmann: Manch einer hatte einen Eklat befürchtet, nachdem Mitglieder des Zentralrats der Juden angekündigt hatten, den Saal zu verlassen, sollte der Publizist Alfred Großer seine Kritik an der israelischen Regierung wiederholen, gestern bei seiner Rede aus Anlass der Pogromnacht vor 72 Jahren. Doch der Eklat ist ausgeblieben. Telefonisch verbunden sind wir jetzt mit Professor Julius H. Schoeps, er ist Direktor des Moses Mendelssohn Zentrums für europäisch-jüdische Studien an der Universität Potsdam. Guten Morgen!

    Julius H. Schoeps: Guten Morgen!

    Heckmann: Herr Professor Schoeps, wie bewerten Sie die Rede Grossers, für den Anlass angemessen, oder unsäglich, wie das Micha Brumlik formuliert hat?

    Schoeps: Nein. Zunächst einmal bin ich froh, dass es nicht zu einem Eklat gekommen ist. Das wäre für alle Beteiligten peinlich geworden. Die Rede, da kann man nun geteilter Meinung sein, das will ich gar nicht bestreiten, aber Grosser ist ein großer Mann und was er zu sagen hat, darauf sollte man doch eingehen und sorgfältig hinhören.

    Heckmann: Fanden Sie es auch richtig, an dieser Stelle Israelkritik zu äußern in der Form, wie er es gemacht hat?

    Schoeps: Sehen Sie, man kann vieles machen in einer Rede. Die Rede hätte sich eigentlich beziehen müssen auf den 9. November 1938, sehr viel stärker. Ich hätte mir gewünscht zum Beispiel einige Bemerkungen dazu, dass heute die Erinnerung an den 9. November durch einen Freudentag, dem Fall der Mauer, überdeckt wird und nicht eingegangen wird oder viel weniger eingegangen wird auf das, was damals geschah.

    Heckmann: Micha Brumlik nennt es unsäglich, dass Grosser an einem solchen Tag, nämlich dem Jahrestag der Pogromnacht, diese Kritik formuliert.

    Schoeps: Ich würde das für etwas überspitzt, eine überspitzte Formulierung halten von Micha Brumlik, aber es ist nun einmal so, dass sich hier in dieser Frage die Geister scheiden. Ich bin der Ansicht, Grosser hat durchaus das Recht, seine Position zu beziehen. Ob das nun alle gut heißen oder nicht, das ist eine ganz andere Frage.

    Heckmann: Aber gibt es nicht tausend andere Gelegenheiten, diese Kritik anzubringen?

    Schoeps: Ja. Welches sind solche Gelegenheiten? – So wie ich die Sache sehe, äußert sich Grosser häufiger in dieser Frage. Die Frage ist eigentlich, warum hat die Stadt Frankfurt Grosser eingeladen. Hat sie ihn eingeladen, weil sie hoffte, er würde zum israelisch-palästinensischen Konflikt etwas sagen, oder was waren die Beweggründe?

    Heckmann: Wie haben Sie denn die Reaktion des Zentralrats aufgenommen auf die Einladung von Grosser?

    Schoeps: Der Zentralrat sollte sich in diesen Fragen doch ein bisschen mehr zurückhalten, denn es ist nicht Aufgabe des Zentralrats, hier der politische Mahner zu sein. Die Äußerungen mancher Zentralratsvertreter waren sehr peinlich.

    Heckmann: Wie erklären Sie sich diese dann doch weitgehenden Äußerungen und die Kritik, die formuliert worden ist?

    Schoeps: Das ist schwer zu beantworten. Manchmal ist es Wichtigtuerei, manchmal will man sich messen an jemandem, mit dem man sich kaum messen kann.

    Heckmann: Der Zentralrat oder Teile des Zentralrats kritisieren, dass Grosser einseitig die Politik Israels kritisiere und den Juden selbst die Schuld am Antisemitismus zuschiebe.

    Schoeps: So würde ich das nicht sehen. Grosser übt Kritik an der israelischen Politik, das ist legitim. Aber das heißt noch lange nicht, dass wir das akzeptieren müssen, was er sagt. Aber wir sollten hinhören.

    Heckmann: Auf der anderen Seite ist es so, dass Grosser sagt, jede Kritik an Israel werde als antisemitisch gleich gebrandmarkt. Ist an diesem Vorwurf aus Ihrer Sicht etwas dran?

    Schoeps: Es gibt eine Debatte zu dieser Frage, die sollte man tatsächlich ernst nehmen: Ist jede Kritik an Israel gleich antisemitisch oder nicht? Manche Äußerungen lassen diesen Schluss fraglos zu. Andererseits: Es muss möglich sein, dass jemand, ein Intellektueller wie Grosser, seine Meinung sagt. Ich würde es für fatal halten, wenn Männern wie ihm verboten wird zu reden.

    Heckmann: Aber ist die ganze Diskussion nicht ein Beleg dafür, dass es da in der Tat noch ein Problem gibt in Deutschland?

    Schoeps: Sicher gibt es ein Problem! Das ist ja gar keine Frage. Diese Debatte ist ja im öffentlichen Raum und sie wird geführt und sie muss geführt werden.

    Heckmann: Der Streit, Herr Schoeps, zwischen Grosser und dem Zentralrat ging ja hin und her. Kann man aber von dem Zentralrat da überhaupt reden? Man hat doch den Eindruck, dass da durchaus auch Einzelpersönlichkeiten sich geäußert haben und von Charlotte Knobloch, der Vorsitzenden, war nicht viel zu hören in der Diskussion.

    Schoeps: Das hängt damit zusammen, dass Frau Knobloch jetzt demnächst abtreten wird und neu gewählt wird im Zentralrat, und man hat sehr sorgfältig auf diejenigen gehört, die sich jetzt äußern und als Nachfolger im Gespräch sind.

    Heckmann: Das heißt, das Ganze ist ein wenig auch ein Problem der Führungsschwäche?

    Schoeps: Nicht Führungsschwäche, aber hier geht es auch darum, dass man sich artikulieren will, zeigen, dass man da ist. Aber manchmal, würde ich sagen, ist es besser, mehr Zurückhaltung zu üben und sich nicht zu allem äußern zu müssen.

    Heckmann: Über die Rede von Alfred Großer gestern in der Paulskirche haben wir gesprochen mit Julius H. Schoeps, dem Direktor des Moses Mendelssohn Zentrums für europäisch-jüdische Studien an der Universität Potsdam. Danke Ihnen für das Gespräch, Herr Schoeps.

    Schoeps: Danke.