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Manfred Stolpes Rücktritt

Durak: Der rote Adler setzt heute zur Landung an. Brandenburgs Ministerpräsident Manfred Stolpe tritt zurück. Das wissen wir schon seit dem Wochenende. Ganz offiziell wird er dies heute Mittag im Landtag tun. Die Überraschung ist ihm bei vielen gelungen. Zeit also für einen Blick zurück mit dem zur Zeit wohl noch dienstältesten deutschen Ministerpräsidenten und nach vorn mit dem unbestritten beliebtesten aller ostdeutschen Politiker. Er will sich dem Bundestagswahlkampf der SPD widmen, Neustart also. Schönen guten Morgen Herr Stolpe!

    Stolpe: Guten Morgen Frau Durak! Schönen Dank für den roten Adler. Das ist ja ein richtig schöner Start in den Tag.

    Durak: Jetzt wird es möglicherweise aber anders gehen, Herr Stolpe. Sie sollen als Zeuge Schröders im Wahlkampf auftreten, haben wir vom SPD-Generalsekretär gehört. Als Zeuge dafür, dass der Bundeskanzler und SPD-Vorsitzende den Osten nicht vergessen hat, oder ist das nicht eher ein Alibi, ein Feigenblatt?

    Stolpe: Nein, Frau Durak. Ich bin ja unmittelbar Zeuge, wirklich Zeuge, wie der Gerhard Schröder den Osten erlernt und erfahren hat. Der hat ja angefangen - das muss man auch in aller Freundschaft sagen - in ziemlicher Unkenntnis der Situation im Osten. Das ist kein Vorwurf. Wenn jemand Landespolitik irgendwo in einem schönen westlichen deutschen Land macht, dann kann er ja gar nicht wissen, was im Osten im einzelnen läuft. So war es bei Schröder auch. Er hat dann ein bisschen kess nach meinem Eindruck von der Chefsache geredet, hat dann aber doch sich bitten und drängen lassen, sich das alles mal vor Ort anzugucken, den Leuten zuzuhören, und hat gelernt, was hier nötig ist, um die Rückstände und die Probleme noch aufzubauen. Wir haben immerhin 40 Jahre Rückstand und es ist ein großer Strukturumbruch. Auch in anderen Regionen wie etwa im Ruhrgebiet haben Strukturumbrüche viele Jahre gebraucht. Er hat das inzwischen kapiert. Er hat sich entschlossen eingesetzt, dass wir im Bereich von Verkehrsinfrastruktur noch einen Zahn zulegen können und dass der Stadtumbau eine ganz wichtige Sache bei den vielen leerstehenden Wohnungen vorangebracht wird. Die Krönung war dann in gewisser Weise sein Einsatz auch für den Solidarpakt II, der uns Planungssicherheit bis Silvesterabend 2019 gibt. Das sind einfach Fakten. Ich bin also kein Jubelfan von ihm, aber was wahr ist muss einfach auch wahr sein und gesagt werden. Das ist mein Anliegen.

    Durak: Er hat genug gelernt sagen Sie. Wie steht es denn um die gesamte SPD, die ja anfänglich die Probleme der Ostdeutschen nicht ganz so wahr erkannt hat?

    Stolpe: Sehen Sie das ist eine große Partei, eine stolze Partei, eine dreiviertel Million Mitglieder. Die ganz, ganz große Mehrheit davon ist eben auch groß geworden unter anderen Bedingungen und die sehen die Ostsituation mehr von außen. Wir haben viele engagierte Freunde dabei, aber es ist in einem normalen demokratischen Zusammenspiel natürlich so, dass dann die größeren Zahlen in Mitgliederschaften, in Gremien doch die Musik bestimmen und ihre Probleme in den Mittelpunkt stellen nach den ersten Jahren der Euphorie über die wiedergewonnene Einheit. Hinzu kam, dass wir hier aus dem Osten auch alle miteinander etwas zu ehrfürchtig auf unsere Freunde aus den alten Bundesländern geguckt haben, uns im Zweifel eben doch nicht gemeldet, sondern eher zugehört haben. Da sind dann gewisse Verzerrungen oder Unterschätzungen der Problemlagen hier entstanden. Was mich am meisten bekümmert ist, dass wir objektiv damit auch bei den Leuten hier im Osten den Eindruck erweckt haben, dies ist doch eine irgendwie Westpartei und die sehen die Probleme der Menschen nicht richtig, die verstehen die nicht richtig. In diese Lücke ist natürlich die PDS hineingegangen und hat immer mehr versucht, sich zu profilieren als die wahre Befürworterin und Vertreterin der Ostinteressen. Das haben wir gar nicht nötig, denn wir haben nämlich wirklich auch etwas gemacht hier für die Menschen und werden auch weiter etwas bewegen können und das muss stärker nach draußen.

    Durak: Das hat sich aber bisher nicht umgesetzt in Wählerstimmen. Letzter Rückschlag Sachsen-Anhalt. Sie wollen nun im Bundestagswahlkampf mittun. Das haben wir ja gesagt. Worauf soll sich die SPD, sollte sie sich denn konzentrieren, um nicht falschen Wahlversprechungen nachzuhängen?

    Stolpe: Versprechungen ziehen nicht. Das muss man ganz nüchtern sehen. Die Leute sind ja vor 1990 hier jahrzehntelang hingehalten worden mit großartigen Aussichten auf eine fabelhafte Zukunft. Sie waren skeptisch. Sie haben sich dann noch einmal begeistern lassen nach 1990 durch die Aussichten auf blühende Landschaften und sie sind jetzt doch streckenweise fast ein bisschen erschöpft und nervös und ungläubig aufgrund der langen Strecke, die das geht. Ich bin ja selber dem Irrtum aufgesessen, dass es schneller geht, auch im Blick auf die Arbeitslosigkeit. Ich habe 1990, als ich hier ins Geschirr ging, zwei profilierte und von mir geschätzte Persönlichkeiten gefragt, wie lange dauert das denn mit einem solchen gewaltigen Strukturumbruch. Helmut Kohl hat mir gesagt, in drei Jahren könnte man das eigentlich schaffen. Johannes Rau, damals Ministerpräsident in Nordrhein-Westfalen, hat mich groß angeguckt und gesagt, Ruhrgebiet, 20 Jahre sind wir dabei, fertig sind wir noch nicht, würde mich freuen, wenn es bei euch schneller geht. Dies ehrlich zu sagen, wir brauchen noch eine Strecke, wir haben vielleicht jetzt die gute Halbzeit, um bei den schönen Fußballweltmeisterschaften zu bleiben, jetzt müssen noch ein paar richtige Tore geschossen werden, vor allen Dingen an Infrastruktur, wir müssen auch für die Menschen, die Arbeit suchen, aber keine Finden, noch Arbeitsförderungsmaßnahmen vorhalten, dann das alles aber auch belegen mit den Dingen, die schon passiert sind und die man einfach weiterführen muss und wo man an der Spitze mit Schröder jemand hat, der das jetzt kapiert hat und der das weiterverfolgt und auf den wir uns hier ganz gut verlassen konnten. Das aber war beim Wähler - siehe Sachsen-Anhalt - bisher nicht voll angekommen.

    Durak: Er gilt ja auch als der große Wahlversprecher. So geißelt ihn die Opposition. Herr Stolpe, Stichwort Ruhrgebiet. Da wir es ja mit der Musik schon mal hatten, will ich noch einen Titel ansprechen. "Tief im Westen" kennt man vielleicht, Bochum gemeint. Umgemünzt auf den Osten "tief im Osten" könnte Görlitz sein. Wie weit entfernt oder wie nah sind wir einander?

    Stolpe: Näher als im allgemeinen so dargestellt wird. Man darf niemals die Grundtatsache vergessen, dass es nur eine eigentlich gar nicht erwähnenswerte winzige Gruppe auch hier im Osten gibt, die die deutsche Einheit für falsch hält. Das ist schon wirklich eine ganz wichtige Grundtatsache. Alle miteinander - und hier sind es weit über 95 Prozent - sind der Meinung, das ist richtig und der Weg muss gegangen werden. Das "aber" fängt dann im Grunde genommen an bei Gefühlen der Benachteiligung und der irgendwie Zweitklassigkeit. Das hängt zusammen mit den Löhnen und Gehältern. Da geht es ja nicht nur um Geld, sondern da geht es um die monatliche Bescheinigung, dass man vielleicht doch noch nicht so ganz auf der Höhe ist. Das hat natürlich mit diesem ständigen Lernprozess zu tun, der ja erforderlich ist, um sich in dem völlig veränderten System einzubinden. Die Leute erwarten hier eigentlich, dass ihr besonderer Weg und auch ihre Biographien ernst genommen werden und dass man auf gleicher Augenhöhe mit ihnen umgeht. Ich denke da ist noch ein bisschen nachzuholen. Vielleicht sollte man wirklich sehr viel mehr einander zuhören, als übereinander zu reden. Miteinander reden ist besser und überall da wo Gelegenheit besteht muss man zusammenarbeiten. Da wächst man am besten zusammen.

    Durak: Viele Westdeutsche erwarten aber auch etwas von den Ostdeutschen, dass sie nämlich aufhören, herumzujammern und auf ihre besondere Situation hinzuweisen. Ist da nicht auch ein Körnchen Wahrheit dabei?

    Stolpe: Ja, die Gefahr besteht natürlich. Das ist sozusagen die Reflexion auf das, was die Leute hier dann als Verhalten ihnen gegenüber empfinden, dass sie das damit selber belegen wollen. Das ist im Grunde genommen aber gar nicht das typische Ostverhalten. Ich merke das ja auch bei meinen vielen Reisen hier quer durchs Land zwischen Rügen und Fichtelberg, Harz und Oder. Es ist ja sehr viel geleistet worden und mir begegnet eigentlich immer mehr, dass zunächst einmal ganz stolz darauf verwiesen wird, wo hier beachtenswerte neue Anfänge sind oder auch wichtige Dinge gehalten wurden. Darüber muss man reden, aber man muss genauso auch über die Reste noch reden, über die noch offenen Themen, zum Beispiel eine ganze Reihe von Innenstädten, die noch böse aussehen und wo noch manches zu tun ist, damit die Leute sich wohl fühlen und damit sie nicht weglaufen.

    Durak: Herr Stolpe, Sie haben, so meinen Sie, Ihr Feld gut bestellt in Brandenburg. Im Falle des Falles, Wahlsieg SPD, schließen Sie für sich bundespolitische Aufgaben aus?

    Stolpe: Ich bin immer ein bisschen überrascht, wenn ich das in den letzten Tagen höre. Sie fragen das ganz lieb; andere setzen das geradezu voraus, weil sich offenbar viele Leute nicht vorstellen können, dass da jemand ganz aus freien Stücken einfach aus der Ratio heraus handelt, dass man im 67. Lebensjahr nun vielleicht auch wirklich mal daran denken sollte, wie das Feld zu bestellen ist. Ich habe keinerlei Absichten. Ich arbeite jetzt die nächsten 90 Tage dafür, dass wir nicht neue Experimente machen müssen in der Bundespolitik und auf dem Buckel der Ostdeutschen. Ich bin im übrigen weiter Landtagsabgeordneter und vertrete eine Region, die es ziemlich schwer hat, die Lausitz, die zum Teil in Sachsen, zum Teil in Brandenburg liegt und die auch ganz besonders arg gebeutelt ist durch den Umbruch, eigentlich schlimmer als das Ruhrgebiet jemals getroffen war. Da ist viel zu tun und all die Verbindungen und Erfahrungen, die man gesammelt hat in den letzten zwölf Jahren, kann man dort glaube ich ganz gut einbringen.

    Durak: Ministerpräsident Manfred Stolpe in, für und aus Brandenburg. - Schönen Dank Herr Stolpe für das Gespräch!

    Link: Interview als RealAudio