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Mangold: Gasversorgung für "sechs Wochen" sichergestellt

Klaus Mangold, Vorsitzender im Ostausschuss der Deutschen Wirtschaft, ist optimistisch, dass die Gasversorgung in Deutschland einerseits wochenlang gesichert ist und es andererseits zu einer Normalisierung der ukrainisch-russischen Beziehungen kommen wird. Mangold plädiert auch für erneute Gas-Verhandlungen zwischen EU, der Ukraine und Russland.

Klaus Mangold im Gespräch mit Silvia Engels |
    Silvia Engels: 38 Prozent des deutschen Erdgasbedarfs werden aus russischen Quellen gedeckt. Andere europäische Staaten sind noch stärker von russischen Erdgaslieferungen abhängig, die fast alle durch die Ukraine laufen. Und alle Staaten leiden seit gestern unter dem mittlerweile fast jeden Winter üblich gewordenen Streit zwischen den Gasunternehmen in Russland und der Ukraine. Es geht um Liefermengen und Erdgaspreise, aber auch um Politik. Seit gestern ist deutlich weniger russisches Erdgas in Westeuropa angekommen als vereinbart. Wirtschaftsminister Michael Glos bemühte sich gestern nach einem Gespräch mit dem Vizechef des russischen Gasmonopolisten Medwedew, die Sorgen in Deutschland um Versorgungssicherheit zu zerstreuen.

    O-Ton Michael Glos: Wir in Deutschland haben die etwas komfortablere Situation als andere Länder, dass wir Gasspeicher haben, die ein Stück überbrücken können. Ich habe auch die Zusage, dass Gazprom dafür sorgt, dass auch wenn die Leitungen, die über die Ukraine führen, blockiert sind oder nicht in der Lage sind, entsprechend Gas hier anzulanden, über andere Leitungen das ein Stück ausgleicht.

    Engels: So weit Bundeswirtschaftsminister Michael Glos. – Am Telefon ist nun Klaus Mangold. Er ist der Vorsitzende des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft. Guten Morgen!

    Klaus Mangold: Guten Morgen, Frau Engels!

    Engels: Teilen Sie den Optimismus des Wirtschaftsministers?

    Mangold: Ich glaube, dass man den Optimismus teilen kann, weil wir ja wirklich mit unseren Gasspeichern in Deutschland besser ausgestattet sind als viele andere Länder, und dass wir auch davon ausgehen können, dass wir doch relativ rasch wieder wie in den letzten Jahren auch nach diesem leider, ich sage mal, etwas unglückseligen Ritual zwischen Ukraine und Russland wieder zur Normalität zurückkommen.

    Engels: Unmittelbar ist die Gasversorgung in Deutschland nicht gefährdet, sagen Sie, doch wie lange kann dieser Lieferausfall dauern, ohne Folgen zu haben? Davon ist ja nicht nur der Haushalt betroffen, sondern auch die Industrie.

    Mangold: Ich glaube, dass wir insgesamt etwa auf der sicheren Seite sind, je nach Wetterlage und nach Verbrauch in der Größenordnung von sechs Wochen. Also das können wir sicherlich überbrücken. Aber ich glaube, dass die langfristige Perspektive nochmals dringend von der Politik gemeinsam mit der Wirtschaft angeschaut werden muss, weil wir zurückkommen müssen zu einem ganz sicheren Regelwerk. Wir waren mal vor ein paar Jahren ganz nahe daran, an einem Abkommen zwischen Deutschland, der Ukraine und Russland, um diese ganze Frage der Sicherheit der Pipelines nochmals neu zu gestalten. Ich glaube, das ist ein Punkt, den man aufgreifen muss.
    Zum zweiten werden wir ja ohnedies etwas sicherer sein dadurch, dass wir ja mit dieser Northstream-Pipeline, also der Pipeline durch die Ostsee, in etwa zwei Jahren durchaus eine neue Quelle haben, aus der wir das Gas beziehen können. Insofern geht es vor allem, Frau Engels, um eine Überbrückung der derzeitigen Schwierigkeiten und ich bin optimistisch, dass wir das in den nächsten zwei Jahren schaffen werden.

    Engels: Herr Mangold, Sie haben gesagt, man war schon einmal nahe dran. Warum hat es damals nicht geklappt?

    Mangold: Damals hatte die EU etwas Bedenken an einem Dreiecksgeschäft zwischen der Ukraine, Russland und Deutschland. Ich glaube, wenn man das heute nochmals etwas versucht, aufzubohren, dadurch, dass man auch andere EU-Länder einbezieht, könnte das durchaus wieder ein Weg sein, um nochmals zu schauen, ob man nicht über diese Formel zusätzlich dann zu der Ostsee-Pipeline eine gesicherte Versorgungsbasis für Deutschland schafft.

    Engels: Hat die EU da also eine Chance verpasst und was kann die EU im jetzigen Konflikt tun? Rechnen Sie da mit einem schnellen Durchbruch auch aufgrund des Drucks, den nun die EU natürlich aufbaut, sowohl in Richtung Ukraine als auch in Richtung Russland?

    Mangold: Das hängt natürlich, glaube ich, im Wesentlichen auch ab von der innenpolitischen Situation der Ukraine, die ein wesentliches Element der derzeitigen Unsicherheiten ist. Wir haben ja eine ausgesprochen instabile politische Verfassung in der Ukraine und ich glaube, dass die EU auch versuchen muss, nicht nur mit Russland zu reden, sondern vor allem auch mit der Ukraine versuchen muss, die Ukraine in eine Situation wieder zu bringen, wo sie ihren Verpflichtungen auch gegenüber Gazprom nachkommt. Man müsste sich mal überlegen, ob man dort mit Finanzierungshilfen etwas machen könnte. Ich glaube, das sind die Dinge, die man jetzt sehr schnell machen muss, denn wenn die Ukraine, die ja am stärksten davon betroffen ist, weil sie selbst kein Gas mehr bekommt, nicht in der Lage ist, ihre Verpflichtungen gegenüber Gazprom einzugehen, dann werden wir natürlich eine länger anhaltende Verschlechterung der Situation haben.

    Engels: Wir hatten ja vor drei Jahren einmal die Situation, ein Streit zwischen Russland und der Ukraine. Auch damals ging es schon um ähnliche Themen. Aber damals galt die Ukraine als innenpolitisch etwas gefestigter. Wird es diesmal schlimmer und wird der Konflikt länger dauern?

    Mangold: Ich glaube, das hängt wirklich nochmals davon ab, wie die Ukraine sich jetzt politisch aufstellt. Irgendwann wird die Vernunft auch dort wieder einkehren und ich bin sicher, dass wir jetzt in einem Zusammenspiel zwischen EU-Kommission auf der einen Seite, auch Deutschland mit einer Sonderrolle, weil wir eben einfach die hohe Abhängigkeit haben von 38 Prozent, und Russland versuchen müssen, das Thema relativ schnell im wahrsten Sinne des Wortes vom Eis zu kriegen.

    Engels: Herr Mangold, Sie haben nun die Verantwortung der Politik sowohl in der Ukraine, auch in Russland, auch in der EU angesprochen. Wie steht es denn um die Eigenverantwortung der Industrie? Wo sind hier Versäumnisse, dass die Abhängigkeit von russischem Erdgas so hoch ist?

    Mangold: Ich glaube, dass wir zunächst einmal sehen müssen, dass wir natürlich mehrere starke Lieferanten haben, die insgesamt zur Verfügung stehen. Das gilt auch für Norwegen, das gilt auch noch für eigenes Gas. Ich glaube, langfristig werden wir wirklich eine gesicherte Basis haben durch die Northstream-Pipeline auf der einen Seite. Auf der anderen Seite, glaube ich, wird die Industrie alles tun, um nach wie vor darauf hinzuwirken, dass wir einfach insgesamt weniger Gas brauchen. Das geht aber nur dann, wenn wir intensiv an regenerativen Energien arbeiten und wenn wir auch mit der Kernenergie nochmals versuchen, eine breitere Energieversorgung in Deutschland zu haben. Ich glaube, ohne ein Gesamtpaket wird es nicht möglich sein, von diesen 38 Prozent, die zunächst mal sogar noch etwas nach oben gehen werden in den nächsten zwei, drei Jahren, wieder auf eine breite Basis unserer Energieversorgung zu kommen.

    Engels: Auf der anderen Seite steht ja der Vorwurf im Raum, die Industrie habe bislang Konzepte wie ein Flüssiggas-Terminal, um eben auch Gaslieferungen von Schiffen entgegennehmen zu können, oder andere Konzepte zu sehr vernachlässigt.

    Mangold: Das glaube ich nicht, dass das der Fall ist. Man muss sehen, dass Flüssiggas im Grunde genommen nur die Lösung ist für ganz, ganz lange Transportwege – etwa jenseits von 4.000 Kilometern. Zum zweiten darf man nicht vergessen, dass die Investitionen dort hinein enorm teuer sind und dass wir jetzt – dritter Punkt – gerade dabei sind, ein Flüssiggas-Terminal zu bauen. Insofern, glaube ich, gibt es schon eine positive Orientierung auch zu einer breiteren Ausstattung der deutschen Wirtschaft mit Flüssiggas.

    Engels: Schauen wir auf das gesamte deutsche Russland-Geschäft. Bedroht nun dieser neue Gaskonflikt die Verlässlichkeit, die Russland ja als Handelspartner gewonnen hat, von der Ukraine mal gar nicht zu reden?

    Mangold: Ich glaube, dass wir uns da keine allzu großen Gedanken machen müssen. Natürlich beschäftigt uns das Thema, aber wir haben immer wieder gesehen, dass Russland letztlich doch wieder immer sehr schnell zu normalen Bedingungen zurückgekehrt ist. Zurzeit wird natürlich das Gas von Gazprom, nicht von Russland – da müssen wir zwischen einem Unternehmen und einem Land und einer Vielzahl von verlässlichen anderen Unternehmen unterscheiden – wirklich nach wie vor sehr stark stabil geführt. Ich glaube deshalb, dass wir nicht die grundsätzliche Vertrauensfrage stellen dürfen und müssen im Hinblick auf einen bislang sehr verlässlichen Partner Russland, der übrigens für uns bei den deutschen Exporten inzwischen genauso groß ist wie China. Deshalb ist Russland für uns ein wichtiges Element für die Stärkung der deutschen Wirtschaft insgesamt.

    Engels: Kann der Druck auf Gazprom auch deshalb erhöht werden, weil im Zuge der Finanzkrise dieser Gasmonopolist nicht mehr so mächtig ist?

    Mangold: Ich glaube, mit Druck wird man bei Gazprom wenig erreichen, aber auch der Ost-Ausschuss und ich persönlich haben in den vergangenen Wochen mehrfach Gespräche mit Gazprom geführt und ich glaube, wir sind dort auf einem guten Wege, auch nochmals die Position der deutschen Wirtschaft so einzubringen, dass uns dadurch kein Schaden entsteht.

    Engels: Klaus Mangold. Er ist der Vorsitzende des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft, also dem Gremium, in dem die deutsche Industrie, die sich vor allen Dingen im Russland-Geschäft engagiert, organisiert ist. Ich bedanke mich für das Gespräch.

    Mangold: Vielen Dank! Auf Wiederhören.