Freitag, 19. April 2024

Archiv

Manifest
Lehrerverband beklagt Verrohung der Sprache

Die Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbandes Simone Fleischmann hat die Verrohung der Sprache kritisiert. Auch Politiker würden "nicht immer dazu beitragen, dass konstruktiv diskutiert wird", sagte Fleischmann im DLF. Der Verband hat deshalb ein Manifest für ein respektvolles Miteinander vorgestellt.

Simone Fleischmann im Gespräch mit Regina Brinkmann | 07.09.2016
    Die Lehrerin Lena Hornbostel sitzt mit Schülern im Kreis.
    Grenzen klar setzen und mit Schülern und Eltern in den Dialog treten: So will der Bayerische Lehrer- und Lehrerinnenverband gegen die Verrohung der Sprache vorgehen. (dpa / Friso Gentsch)
    Regina Brinkmann: Bevor wir uns die neue Bildungspolitik im Ländle anschauen, geht es hier erst einmal um Worte, die zum Beispiel auf bayerischen Schulhöfen, aber auch anderswo zu hören beziehungsweise zu lesen sind. So bekommen immer mehr Politiker in Deutschland Hassmails oder Morddrohungen. Diese Verrohung des politischen Diskurses ist übrigens heute Abend auch Thema im Deutschlandfunk in der Sendung "Zur Diskussion" ab 19:15 Uhr.
    Die Verrohung der Sprache bewegt aber nicht nur Politiker, sondern vermehrt auch Pädagogen. So schlägt der Bayerische Lehrer- und Lehrerinnenverband Alarm, er hat jetzt in München ein Manifest gegen die Verrohung der Sprache vorgestellt.
    Simone Fleischmann ist Präsidentin des Verbandes, der in Bayern die Interessen von 60.000 Lehrerinnen und Lehrern vertritt. Ich habe sie vor dieser Sendung gefragt, welche Verrohung der Sprache stellen Sie denn im Schulalltag fest?
    "Sprache führt direkt zum Handeln"
    Simone Fleischmann: Wir erleben, dass Schülerinnen und Schüler Themen aufgreifen, die sie in Social Medias gehört haben, die sie beim Kaffeetisch gehört haben, die sie vielleicht auch in der Zeitung gelesen haben oder im Fernsehen gesehen haben, die zum Beispiel sagen, Politiker, da hauen wir jetzt mal richtig drauf, wenn es um die andere Partei oder um die andere Einstellung geht, und das macht uns Sorgen.
    Sorgen deswegen, weil wir Lehrerinnen und Lehrer das ernst nehmen, was Schülerinnen und Schüler sagen, und wissen Sie, wenn ein Schüler hört, hau drauf ist die Lösung eines Konflikts, dann ist es nicht mehr weit, dass er in echt auch wirklich draufhaut, weil die Sprache direkt zum Handeln führt.
    "Sprachliche extreme Diskussion" in Schulen, Politik und Gesellschaft
    Brinkmann: Und das beobachten Sie auch im Alltag?
    Fleischmann: Wir beobachten an den Schulen, aber auch eben in der Politik, in der Gesellschaft, dass eine sprachliche extreme Diskussion stattfindet, dass politisch Verantwortliche eben auch nicht immer dazu beitragen, dass konstruktiv diskutiert wird, und Schule ist der Spiegel der Gesellschaft, und anders: In der Schule von heute sitzen Kinder und Jugendliche, die die Gesellschaft von morgen sind, und das ist unser Auftrag, und da wollen wir Haltung zeigen und hinstehen.
    "Jetzt geht es darum, in den Dialog einzutreten"
    Brinkmann: Wie gehen Sie denn mit dieser Verrohung, die Sie da gerade benannt haben, konkret im Alltag um?
    Fleischmann: Für uns ist das Wichtigste als Lehrerinnen und Lehrer der Dialog. Wenn du im Pausenhof hörst, "Hey, du schwule Sau", oder wenn ein Schüler in der Aula schreit, "scheiß Ausländer", dann ist es Auftrag, zutiefster Auftrag, jetzt zu reagieren.
    Wir Lehrerinnen und Lehrer gehen hin und sagen, Moment mal, stopp, so nicht, und jetzt geht es drum, in den Dialog einzutreten, was steckt dahinter, das nicht zuzulassen, die Grenze klar zu setzen, aber dann mit den Jugendlichen, mit den Eltern, mit der Gruppe in den Dialog zu treten, weil für uns ein respektvoller Umgang ganz zuvörderst steht.
    "Nicht nur ein Manifest schreiben, sondern danach handeln"
    Brinkmann: Frau Fleischmann, aber wenn dieser Dialog so funktionieren würde, dann bräuchten wir ja doch jetzt nicht dieses Manifest, oder?
    Fleischmann: Sehr richtig. Wir erleben eben, dass Schule nur so gut sein kann, wie die Gesellschaft außen rum. Wenn in der Gesellschaft Verrohungen in der Sprache passieren, wenn Bundeskanzlerin Merkel heute von sprachlichem Extremismus spricht, dann ist da eine Vorbildfunktion nicht eingenommen, und dann können wir als Lehrerinnen und Lehrer nur halb so gut sein.
    Wir müssen aufnehmen, was in Schule sich spiegelt, wir brauchen aber alle zusammen, die Haltung zeigen, und deswegen freut es mich sehr, wenn dieses Thema auch über Bayern hinaus diskutiert wird.
    Brinkmann: Was genau erhoffen Sie sich jetzt davon, von diesem Manifest?
    Fleischmann: Wir haben heute dieses Manifest veröffentlicht, wir werden 50 sehr prominente Unterstützer als Erstunterstützer haben, wir werden in einem nächsten Schritt unsere Kolleginnen und Kollegen aufrufen, selbst Haltung zu zeigen und werden in Form einer Kampagne dieses Thema weiterhin treiben, nämlich nicht nur ein Manifest schreiben, sondern danach handeln.
    "Wir haben einen hohen Erziehungsauftrag"
    Brinkmann: Jetzt haben Sie ja eben schon erzählt von einem Dialog, den Sie mit den Schülern eingehen und den Schülerinnen. Wie sieht es denn mit den Eltern aus? Wie kooperativ und lernbereit sind die vielleicht in diesem Kontext?
    Fleischmann: Wir erleben als Lehrerinnen und Lehrer, dass wir einen hohen Erziehungsauftrag haben. Den können wir dann am besten erfüllen, wenn Schule mit Elternhaus in Partnerschaft geht, und ich war selber lange Jahre Schulleiterin, und ich weiß, dass wenn du wertvoll, wertschätzend mit den Eltern in die Gespräche gehst, dass du dann auch dem Kind signalisierst, schau mal, deine Eltern und wir, wir halten zusammen, wir meinen es gut für dich.
    Brinkmann: Aber was ist zum Beispiel, wenn es im Elternhaus –
    Fleischmann: Ja.
    "Manche Eltern lassen uns da ein bisschen im Regen stehen"
    Brinkmann: – eben Stammtischparolen gibt, wie erreichen Sie die Eltern da?
    Fleischmann: Ja, ja, absolut. Ich wäre gleich drauf gekommen, dass das jetzt nicht rosarote Prosa war, die ich erzählt habe, sowas gibt es, positiv, aber genauso gibt es, dass diese Eltern gar nicht kommen, dass du mit diesen Eltern gar nicht in den Kontakt kommen kannst. Dann musst du dranbleiben, dann musst du mit dem Kind arbeiten, dann braucht es Schulsozialarbeiter, Jugendsozialarbeiter.
    Wir brauchen die Chance, diese Kinder auch in Kleingruppen zusammenzufassen. Dann müssen wir ganz viel Aufgaben übernehmen, und dazu brauchen Lehrerinnen und Lehrer auch Unterstützung – Sie haben vollkommen recht –, weil manche Eltern uns da ein bisschen im Regen stehen lassen.
    Brinkmann: Soweit Simone Fleischmann, Präsident des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbandes, der heute ein Manifest gegen die Verrohung der Sprache präsentiert hat.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    Programmhinweis:

    Immer mehr Politiker in Deutschland bekommen Hassmails oder Morddrohungen. Im Internet sind Gewaltaufrufe an der Tagesordnung, ohne strafrechtliche Konsequenzen nach sich zu ziehen.
    In der Sendung "Zur Diskussion" geht es heute um die Verrohung im politischen Diskurs.