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"Manifesta" Biennale in St. Petersburg
Russland und die Gegenwartskunst

Am 28. Juni beginnt die "Manifesta" in St. Petersburg - ein wanderndes Festival für zeitgenössische Kunst. Kurator der zehnten Auflage ist der Deutsche Kasper König. Regionale Künstlergruppen werfen ihm vor, bezogen auf die Ukraine-Krise zu zurückhaltend zu reagieren.

Von Pauline Tillmann |
    Kasper König, Kurator der "Manifesta" in St. Petersburg.
    Kasper König, Kurator der "Manifesta" in St. Petersburg. (picture alliance / Gerhard Schnatmeyer)
    Kasper König ist gefragt, ständig klingelt sein Handy. Denn wenn er in St. Petersburg ist, muss er sich um vieles kümmern. Die "Manifesta", die er in diesem Jahr kuratiert, beginnt am 28. Juni. Bis dahin sind es noch zehn Wochen. Aufgrund der Ukraine-Krise stellt sich die Frage: Wie politisch ist die diesjährige "Manifesta"?
    "Auf jeden Fall sind die Umstände sehr politisch, angespannt, hypernervös. Das springt über in alle Richtungen, so dass Künstler, die auch hier waren, sehr intensiv gearbeitet haben, sehr genau wissen, was sie wollen, plötzlich in eine Situation geraten, in der sie immer wieder überlegen: Ist es richtig? Und es gibt auch einige Wenige, die verzichtet haben, teilzunehmen, das sind aber zwei, drei Leute aus der unmittelbaren Nachbarschaft, ein Pole, einer aus Moldawien, einer aus Rumänien. Da kann man das noch eher verstehen – die sind gebrannte Kinder."
    Die Künstler wollten damit ein Zeichen setzen. Oder sich nicht vom russischen Staat vereinnahmen lassen. Denn die "Manifesta" kooperiert in diesem Jahr erstmals mit einem Museum – nicht mit irgendeinem Museum sondern mit der staatlichen Eremitage, die im Sommer 250-jähriges Jubiläum feiert. Der Generaldirektor der Eremitage, Michail Piotrowski, erklärt:
    "Die Zusammenarbeit mit einem Museum dieses Ranges ist für die "Manifesta" von besonderer Bedeutung – nicht umgekehrt. Unser Anliegen ist es, dadurch einen Dialog zwischen moderner und klassischer Kunst herzustellen."
    Ungefilterte, direkte, ästhetische Wahrnehmung
    Das deckt sich mit dem Ansatz des Kurators aus Deutschland. Kasper König macht deutlich:
    "Ich bin ja hier nicht missionarisch unterwegs, sondern möchte nur eine ungefilterte, direkte, ästhetische Wahrnehmung erzeugen, wo die Eremitage einen unglaublichen Resonanzboden stellen kann. Sie hat jetzt ja auch ein riesengroßes neues Gebäude, das ist die Zukunft... und da können wir als Versuchskaninchen quasi eine Ausstellung machen und das ist in jedem Fall eine Herausforderung, ist sehr pompöse Architektur, sehr aufwendig und so weiter."
    Damit meint er das frisch restaurierte Generalstabsgebäude, gegenüber vom smaragdgrünen Winterpalast. Es soll in Zukunft der Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts gewidmet sein. In Russland ist Gegenwartskunst ein neues und unbekanntes Phänomen, das erst in den letzten Jahren – mithilfe von Oligarchen – an Bedeutung gewonnen hat. Der Leiter der zeitgenössischen Abteilung, Dimitrij Oserkov, sagt:
    "Für uns war wichtig – und deshalb haben wir uns auch dafür beworben, die "Manifesta" austragen zu dürfen – dass wir damit die nächste Etappe erreichen, und zwar für die Stadt, für das Land und auch fürs Museum. Dieses Festival auszurichten ist bedeutend für die eigene Entwicklung."
    Er sieht St. Petersburg als Teil von Europa, eines wie er sagt "neuen Europa". Traditionell wird die Stadt von Peter dem Großen auch als "Fenster zum Westen" bezeichnet. Aber wie passt das zusammen, wenn man gleichzeitig Schwule und Lesben diskriminiert? Kurator Kasper König:
    "Ich hatte eben auch mal in einem Gespräch gesagt: Also wir können also machen, solange wir es nicht schwul nennen. Da gab es also doch eine große Kritik, weil das politisch unkorrekt sei. Dabei habe ich das ganz unverfroren so gesagt wie ich es auch meine – also vorurteilsfrei – aber das ist natürlich nicht die korrekte Art, sich auszudrücken... so wie ich zwei oder drei zentrale Fehler gemacht habe, wo ich merke, das führt sehr schnell zu Missverständnissen. Und ich sage, ich bin nicht interessiert an billigen Provokationen."
    Künstlergruppe kritisiert mangelndes Verantwortungsgefühl
    Ihm ist es wichtig, dass er in Russland "zu Gast" ist. Deshalb versucht er, jede Art von Besserwisserei und Bevormundung zu unterlassen. Man könnte das auch als Duckmäusertum auslegen, wie es die Petersburger Künstlergruppe "Chto delat?" – zu Deutsch "Was ist zu tun?" – macht. Anfang März hat sie ihre Beteiligung an der Ausstellung zurückgezogen.
    "Der Grund dafür war, dass die Leitung der Biennale keine Stellung zum politischen Konflikt mit der Ukraine bezogen hat, sich also einfach vor der Verantwortung gedrückt hat. Und zum Zweiten wollten wir eine Garantie für freie Meinungsäußerung – und die konnte man uns nicht geben",
    so Aktivist Alexander Skidan. Trotzdem nimmt sein Künstlerkollektiv am Veranstaltungsprogramm teil. Man wolle sich ausdrücklich der Diskussion stellen – denn sich komplett zu verweigern sei keine Lösung und treibe Russland nur noch weiter in die Isolation. Skidan glaubt, dass die "Manifesta" die Kraft gehabt hätte, die Zustände nachhaltig zu verändern. Aber die jetzige Ausrichtung zeigt seiner Meinung nach vor allem eins: Für die Kunst in Russland gibt es nun mal klare Grenzen.