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Manuskript: Mensch-Maschinen

Humanoide Roboter können laufen, sprechen, greifen, haben Seh-, Tast- und Hörsinn. Manche sind äußerlich kaum von Menschen zu unterscheiden. Noch vereint kein Roboter in sich alle diese Fähigkeiten gleichzeitig, doch bald könnten die ersten Mensch-Maschinen Büros, Pflegeheime oder Haushalte bevölkern. - Gäbe es da nicht Probleme mit der Akzeptanz.

Von Thomas Reintjes | 29.07.2012
    Henrik Schärfe: "Der Unterschied wird kleiner und kleiner. Es ist abzusehen, dass, wenn wir alle Einzelteile aus den verschiedenen Forschungen miteinander verschmelzen lassen können, in fünf bis zehn Jahren Androiden auf der Straße herumlaufen werden und man nicht so leicht sagen kann, wer Mensch ist und wer Maschine."

    "We are currently in the robot house, which is the University of Hertfordshire's robot house. This is a house, that we use for carrying out user studies.…"

    Mick Walters führt durch ein kleines Einfamilienhaus im beschaulichen englischen Städtchen Hatfield. Im Wohnzimmer stehen ein paar kniehohe, eckige Roboter auf Rädern herum. Sunflower heißen die Roboter, trotz ihrer kleinen, klotzartigen Form. Sie sehen sehr einfach aus, vor allem ihr Kopf, der aus einem umgedrehten Blechtopf mit großen, weißen aufgeklebten Knopfaugen zu bestehen scheint. Doch gerade um diesen einfachen Kopf geht es Kheng Lee Koay. Er sitzt mit seinem Laptop auf dem Laminatboden neben den Robotern und programmiert sie gerade.

    "Unser Ansatz ist es, die Bewegungen von Kopf und Körper zu nutzen, um eine Absicht auszudrücken. Wenn der Roboter zum Beispiel will, dass der Nutzer zur Tür geht, könnte er den Nutzer ansehen und sich dann Richtung Tür drehen."

    Sich ohne viele Worte mit einem Roboter verständigen, daran arbeiten Forscher weltweit. In Deutschland: Rüdiger Dillmann. Am Karlsruher Institut für Technologie leitet er das Institut für Anthropomatik.

    "Anthropos heißt der Mensch. Dann haben wir also matik und metrik, das heißt die Beschreibung und Modellierung des Menschen. Das ist der Körper, das ist die Bewegung, das sind aber auch die Sinne."

    Der Körper, die Mechanik von Robotern funktioniert immer besser. Schon vor Jahren tanzte der von Honda entwickelte Asimo auf Veranstaltungsbühnen. Die menschlichen Sinne nachzubilden, ist weitaus schwieriger. Sehen, Tasten und Hören können Roboter zwar. Aber die in Bits gewandelten Eindrücke von einer Situation richtig zu interpretieren, damit haben sie ihre Schwierigkeiten. Verständigungsprobleme zwischen Mensch und Maschine sind vorprogrammiert. Rüdiger Dillmann:

    "Zwischen Menschen, wenn jemand Hilfe benötigt und sagt: 'Hilf mir!' Dann ist die Verständigung wo und was soll getan werden, relativ kurz. Also sehr spontan, intuitiv. Bei Maschinen muss zunächst mal ein sehr langer Dialog geführt werden: Was soll geholfen werden? Wer macht was? Wie sieht die Rollenverteilung aus? Das kann dann so lange dauern, dass die Situation schon längst vorbei ist, in der die Hilfe notwendig wäre."

    Im Roboterhaus im englischen Hatfield wuseln die Sunflower-Roboter durch das Wohnzimmer, in Karlsruhe wird Armar in der Küche trainiert. Mit seinen blau ummantelten Armen und den metallenen Fingern greift er sicher nach den Gegenständen, die er holen soll. Wissenschaftler entwickeln Roboter als Begleiter für Menschen. Als Assistenten, als Butler oder als Haushaltshilfe. Roboter sollen kooperieren. Doch was nützt eine Hilfskraft, der man ständig alles erklären muss? Dillmann:

    "Dass man Maschinen entwickelt, mit denen der Mensch intuitiv kooperieren kann, darum geht es."

    Roboter, die einen Kopf und zwei Arme haben, mit Schulter-, Ellbogen- und Handgelenk. Mit Händen und Fingern. Mit einem Torso und vielleicht auch zwei Beinen und Füßen. Vor allem aber mit einem Kopf und einem Gesicht. Darauf laufe es letztlich heraus, sagt Dillmann. Und so sieht es auch Henrik Schärfe, der im dänischen Aalborg forscht:

    "Der Androide, der Roboter, der aussieht wie ein Mensch, ist wohl die Maschine mit dem größten Symbolcharakter. Seit Tausenden Jahren haben wir davon geträumt, diese Maschinen zu bauen, die wie wir sind, wie wir aussehen und wie wir handeln. Jetzt sind wir nah dran, das wahr werden zu lassen. Das verursacht Frustrationen, aber es wirft auch viele, viele interessante Fragen auf."

    Hendrik Schärfe forscht nicht an humanoiden Robotern als Selbstzweck. Auch er sieht einen Sinn in ihrem menschlichen Erscheinungsbild. Es ist die für Menschen denkbar beste Schnittstelle zur Maschinenwelt. Gesten mit Kopf und Armen gehören dazu, aber Schärfe hält vor allem die Mimik für entscheidend. Er will der Technik ein Gesicht geben.

    "Die Kommunikation von Angesicht zu Angesicht ist unsere grundsätzliche Art der Verständigung. Unsere Gesichter und unsere Gehirne sind vollkommen darauf ausgerichtet. Das menschliche Gesicht ist unglaublich schnell. Und wir entziffern Informationen aus den Gesichtern und Stimmen um uns herum in einem unglaublichen Tempo."

    iFairy sieht aus, wie einem Manga-Comic entsprungen. Sie ist eindeutig künstlich: eine Oberfläche aus weißem und schwarzem Kunststoff, eine abwechselnd blau, rot und grün leuchtende Augenpartie, merkwürdige Antennen am Kopf und eher abgehackte Bewegungen lassen keinen Zweifel aufkommen. Süß sei iFairy, kommentieren Betrachter im Internet. Eines der Videos auf Youtube zeigt, wie sich ein Brautpaar angeblich offiziell von dem Roboter trauen lässt.

    Ganz anders die Kommentare, die sich unter Videos über Actroid finden. Auch sie kommt aus Japan, auch sie soll als Rezeptionistin arbeiten, sieht aber aus wie eine animierte Schaufensterpuppe. "Gruselig" meinen manche Kommentatoren. Wissenschaftlich untersucht hat die Akzeptanz verschiedener Robotertypen Mick Walters an der University of Hertfordshire. Im Roboterhaus öffnet er die Tür zur Abstellkammer:

    "Hier stehen zwei Roboter vom Typ People Bot, einer etwas größer als der andere. Mit ihnen erforschen wir, welche Erscheinung Menschen bevorzugen und wie groß sie den Roboter gerne hätten."

    Jetzt stehen die beiden Roboter in der Ecke der winzigen Kammer, gegenüber des Badezimmers im Roboterhaus. Hier warten sie – wie auch ein lebloser Aibo-Hund – mit leerem Akku auf ihren nächsten Einsatz. Dabei sind sie durchaus gemocht worden. Walters:

    "Generell zogen die meisten Menschen den humanoideren Roboter vor, aber anscheinend gibt es zwei Gruppen: Eine, die den kleineren, weniger humanoiden Roboter bevorzugte und die andere, etwa zwei Drittel unserer Versuchspersonen, die den humanoideren Roboter mit Armen und dem menschenähnlicheren Kopf vorzog."

    Walters und sein Team untersuchten die Persönlichkeit der Probanden. Sie stellten fest: Introvertierte Menschen mochten eher den mechanischeren Roboter, extrovertierte fanden den humanoiden sympathischer. Gleichwohl scheint der nicht so menschenähnliche Roboter der kleinste gemeinsame Nenner zu sein.

    "Für eine Aufgabe in der Öffentlichkeit würde man daher eher mechanische Roboter wählen, während die Menschen in ihrem Zuhause vielleicht eher einen etwas menschenähnlicheren Roboter haben wollen."

    Die Forscher stützen diese Aussage nicht nur auf Fragebögen oder die Auswertung von Videoaufnahmen. Mick Walters hat eine objektive Methode gefunden, um die Akzeptanz von Robotern zu messen. Er hat die Abstandssensoren, die ohnehin in vielen Robotern eingebaut sind, ausgenutzt um herauszufinden, welchen Abstand Menschen zu Robotern halten. Daraus lässt sich einerseits ablesen, wie sympathisch Mensch und Roboter sich sind. Andererseits können die Entwickler daraus lernen, welche Abstände Roboter einhalten sollten, um ihre Akzeptanz zu steigern.

    "Wenn der Roboter Ihre persönliche Zone verletzt, genau wie wenn jeder andere sie verletzt, fühlen Sie sich unwohl. Genauso ist es mit Menschen und Robotern."

    Roboter müssen sich den Menschen anpassen: in Aussehen, Ausdrucksweise und Auftreten. Das sieht Rüdiger Dillmann genauso. Doch dass die Roboter immer besser darin werden, kann auch ein Problem sein.

    "Von diesen Systemen erwartet man dann eigentlich ein gewisses Verhaltensrepertoire und eine gewisse Intelligenz, die zumindest scheinbar an die des Menschen angepasst ist. Oft werden die humanoiden Roboter überschätzt und dann kommen die Frustrationen, wenn man sieht: Was können die tatsächlich. Im Prinzip sind die Fähigkeiten doch sehr stark mechanisch begrenzt."

    Zu hohe Erwartungen an die Systeme könnten zu mangelnder Akzeptanz durch die Menschen führen und schließlich zu Desinteresse. Ähnlich, wie ein scheinbar ausgefeiltes und vielseitiges Spielzeug schnell langweilig wird, wenn es nicht hält, was es verspricht. Die simple Puppe, der einfache Teddy aber können die Erwartungen, die Menschen an sie richten, auch auf Dauer erfüllen. "Weniger ist mehr" muss also einerseits die Devise für Roboter-Entwickler lauten. Andererseits wollen sie Maschinen bauen, die letztlich doch den Fähigkeiten und dem Aussehen von Menschen immer ähnlicher werden. Doch je näher die Entwickler diesem Ziel kommen, desto schwieriger wird es für sie, die Reaktionen der Menschen auf die Roboter abzuschätzen. Roboter sind verschieden und Menschen Individuen. Je nach Geschlecht, Alter und persönlichen Erfahrungen reagieren Menschen unterschiedlich auf die Maschinen. Karl MacDorman hat an der Indiana University sogar untersucht, ob die Religion eine Rolle spielt. Er hat Menschen mit Wesen konfrontiert, bei denen sich nicht sofort erschloss, ob sie menschlich oder künstlich waren.

    "Man könnte meinen, dass religiöse Fundamentalisten auf solche uneindeutigen Reize sehr verstört reagieren, weil dadurch ihre klare Unterscheidung zwischen Roboter und Mensch in Frage gestellt wird. Aber unsere Ergebnisse zeigen das Gegenteil: Sie reagieren weniger sensibel als andere."

    MacDorman setzt sich mit der Theorie des Uncanny Valley, des unheimlichen Tals auseinander. Das unheimliche Tal beschäftigt Forscher seit 40 Jahren. Damals hat der Japaner Masahiro Mori postuliert: Je menschenähnlicher ein Roboter ist, desto eher wird er auch von Menschen akzeptiert. Während wir Industrierobotern nicht so schnell Vertrauen schenken, fällt es den kleinen eckigen Sunflower-Robotern aus dem Roboterhaus von Hatfield schon leichter, uns für sich zu gewinnen. Humanoide Roboter wie das Manga-Wesen iFairy oder der aufrecht gehende Asimo haben es da noch einfacher. Jeder findet sie auf Anhieb sympathisch und unterhaltsam. Als noch angenehmer als humanoide Roboter empfinden wir alles, was uns Menschen gleicht – beispielsweise computergenerierte Schauspieler in einem Film, deren künstliche Genese wir nicht erkennen. Doch zwischen perfekten Kopien von Menschen und humanoiden Robotern gibt es laut Mori ein tiefes Akzeptanz-Tal. Hier tummeln sich Leichen, Zombies und alles, was zwischen tot und lebendig, zwischen künstlich und natürlich changiert. Das ist das unheimliche Tal. Ingenieure riskieren, wenn sie ihre Maschinen noch menschlicher machen, dass ihre Akzeptanz plötzlich und rapide fällt.

    "Das Problem ist vor allem, wenn es bei der Menschenähnlichkeit eine Diskrepanz gibt. Mori hat das Beispiel einer Handprothese gebracht. Die sieht so echt aus, dass man sie für echt halten könnte. Aber wenn man sie schüttelt, fühlt sie sich kalt und hart oder matschig an. Und das ist sehr verstörend. Ich glaube nicht, dass es um die Menschenähnlichkeit insgesamt geht, sondern wenn etwas sehr menschenähnlich ist, dann sind die nicht menschlichen Bestandteile für uns untolerierbar."

    Das betrifft nicht nur die Robotik. Beispielsweise für die Produzenten von Animationsfilmen stellt das Unheimliche Tal eine große Gefahr dar. Gestalten sie ihre Figuren zu realistisch, ist das Publikum womöglich eher verstört als begeistert. Gleichzeitig ist die Filmbranche daran interessiert, wie das Tal überwunden werden kann, wie Kunstfiguren so menschengleich geschaffen werden können, dass die Zuschauer sie akzeptieren. Karl MacDorman vergleicht das Unheimliche Tal mit einer Alltagssituation zwischen Menschen.

    "Es kommt vor, dass Menschen mit einer Lähmung im Gesicht oder mit Parkinson nicht direkt angesprochen werden, sondern Menschen zum Beispiel stattdessen zum Ehepartner der Person sprechen. Es gibt diese Probleme also auch in der Interaktion unter Menschen. Das heißt: Die physische Form zu perfektionieren reicht nicht, das Verhalten ist auch sehr wichtig."

    Einer, der versucht beides zu optimieren, ist Henrik Schärfe, der sagt, das Gesicht sei die wichtigste Schnittstelle zur Kommunikation. Er hat seinem Roboter ein Gesicht gegeben: sein Gesicht. Der dänische Wissenschaftler hat sich in Japan einen robotischen Zwilling anfertigen lassen. Der hat an der Universität Aalborg jetzt sein eigenes Büro – und im Prinzip arbeitet er sogar wie Henrik Schärfe an der Erkundung des Unheimlichen Tals. Denn manch einer findet den so genannten Geminoid abschreckend – er ist eben nicht perfekt, und obwohl er Henrik Schärfe bis aufs schwarz-silbrige Haar gleicht, ist schon nach Sekunden ist klar: Der hier am Schreibtisch sitzt, ist ein Roboter, der sich den Anschein eines Menschen gibt.

    "Ich verstehe natürlich, warum Menschen dazu tendieren, ein bisschen hysterisch zu werden. Sie realisieren, dass das ein Roboter ist. Aber trotzdem muss das Gehirn damit klarkommen, dass die Menschenähnlichkeit sehr, sehr groß ist. Und diese beiden Eindrücke müssen sie in ihrem Gehirn in Einklang bringen."

    Die Silikonhaut mit den winzigen Pigmentstörungen wirkt echt, vor allem wenn die kleinen Motoren darunter mit ihr eine authentische Mimik formen. Das Blinzeln, die Kopfbewegungen scheinen natürlich. Die Lippen bewegen sich beinahe synchron zur Sprache. Ein Atmungssystem hebt und senkt den Brustkorb unter dem Sakko.

    "Die meisten Menschen, die den Geminoid treffen, müssen sich letztlich eine Meinung bilden. Man kann nicht neutral bleiben. Für manche ist er eine Bedrohung, sie denken, die Maschinen werden die Weltherrschaft an sich reißen. Für andere ist es eher ein Spaß. Viele wollen ein Foto mit ihm machen, das macht Sinn."

    Für Henrik Schärfe war schon die Entstehung seines Roboter-Zwillings eine Grenzerfahrung. Sein Körper wurde genauestens studiert und vermessen. Menschen äußerten ihre Meinung dazu und er musste entscheiden, ob er auch die Merkmale nachbilden lassen wollte, die ihm an sich selbst nicht so sehr gefallen. Schärfe hat sich selbst in seine Forschung eingebracht wie kaum ein anderer.

    "Eine der eigenartigsten Erfahrungen ist es, wenn meine Frau den Roboter umarmt. Das ist wirklich seltsam. Nicht, dass ich eifersüchtig wäre. Es ist irgendwie als würde ich mich selbst von außen beobachten. Seltsam."

    Henrik Schärfe macht in seinem Institut Versuche mit Probanden, die dem Roboter am Schreibtisch gegenüber sitzen. Im Nebenraum sitzt der Bediener des Roboters. Kameras filmen seine Mimik und übertragen sie auf die Maschine, die Stimme wird direkt über ein Mikrofon aufgenommen und von einem Lautsprecher hinter dem Geminoid ausgegeben. Die Reaktionen der Probanden werden registriert und ausgewertet. Doch die stärksten Reaktionen bekommen die Forscher außerhalb des Labors. Wenn Henrik Schärfe den Roboter beispielsweise in einem Café platziert, wo er auch Kindern begegnet.

    "Für Kleinkinder ist es sehr schwer mit dem Roboter zu interagieren. Sie drehen ein bisschen durch. Sie sehen ihn ganz klar im Unheimlichen Tal. Ich glaube, das liegt daran, dass sie in ihrem Kopf die robotische Komponente nicht einordnen können. In ihrer Wahrnehmung liegt der Schwerpunkt auf der menschlichen Seite und da erscheint ihnen irgendwas falsch."

    Doch die Forscher merkten: Wenn sie die automatischen Systeme ausschalten und manuell nur eine Bewegung gleichzeitig ausführen – etwa die Augen öffnen und schließen, verstehen die Kinder, dass es sich um eine Maschine handelt.

    "Aber dann drehen die Teenager durch. Da ist jetzt diese Person, die sie anstarrt. Also für sie ist das viel unheimlicher als der sich bewegende Roboter."

    Nicht nur das Alter scheint eine Rolle zu spielen, auch das Geschlecht. Männer und Frauen scheinen das Unheimliche Tal als unterschiedlich tief zu erleben. Die Forschung von Schärfes Team deutet darauf hin, dass Männer toleranter sind gegenüber kleinen Unzulänglichkeiten des Roboters. Frauen ließen sich dagegen leichter irritieren, wenn beispielsweise Lippenbewegungen und Sprachausgabe etwas gegeneinander verschoben waren. Dass solche Kleinigkeiten einen großen Einfluss haben können, glaubt auch Karl MacDorman.

    "Wenn Sie neben einer anderen Person laufen, tendieren Sie dazu, Ihre Schritte zu synchronisieren. Wenn der anderen Person das nicht gelänge, würden Sie das als merkwürdig empfinden. Man würde keine Verbindung spüren. Masahiro Mori nennt das Shinwa-kan, dieses Gefühl, dass man mit der anderen Person synchron ist. Das würde man verlieren. Und das ist der Kern des Unheimlichen Tals."

    Da mag Mori richtig liegen. Dennoch stimmt etwas nicht an der Hypothese, dass menschenähnliche Wesen uns unheimlicher seien als eindeutig technische Maschinen. Die Studien von Karl MacDorman in den USA und Mick Walters in England zeigen, dass auch technisch aussehende Roboter Unbehagen auslösen können.

    "Es sieht danach aus, dass wenn die Stimme zum Roboter passt, Menschen den Roboter näher an sich heranlassen. Aber wenn man einen mechanisch aussehenden Roboter mit einem ausgefeilten Stimmgenerator hat, mit einer fast menschlichen Stimme, finden Menschen das nicht passend und halten einen größeren Abstand, als wenn der Roboter eine mechanischere Stimme hat."

    Tief im unheimlichen Tal könnten wir also nicht nur Zombies antreffen, sondern auch die Roboter, die wie Frankensteins Monster aus nicht zusammen passenden Komponenten bestehen. Mick Walters spricht von Konsistenz, von Stimmigkeit und neben der Stimme von vielen weiteren Faktoren, die aufeinander abgestimmt sein müssen, damit ein Roboter von Menschen akzeptiert wird.

    "Dieses Prinzip der Konsistenz betrifft die äußere Erscheinung, das Verhalten, die Funktionen und auch den Kontext, in dem der Roboter benutzt wird. Wird er zuhause oder in einer Fabrik genutzt? Er muss angemessen aussehen und sich angemessen verhalten."

    Bei ihrem Weg durch das unheimliche Tal könnten Roboter also einen flacheren Weg finden, wenn sich alle ihre Komponenten gleichermaßen fortentwickeln. Gleichzeitig dürfen sie dabei nicht zu viel versprechen und müssen den Erwartungen gerecht werden. Doch auch die Erwartungen der Menschen werden sich verändern. Heute kennen sie humanoide Roboter nur aus Filmen. Doch wenn sie nach und nach Büros, Flughäfen, Pflegeheime und Haushalte bevölkern, werden sich die Erwartungen an die Systeme der Realität anpassen. Dann könnte, vermuten viele Forscher, der Effekt des unheimlichen Tals ganz von selbst verschwinden. Henrik Schärfe:

    "Es hängt davon ab, wie viel Zeit man mit den Robotern verbringt. Der Roboter CB² ist einer, den ich mit am gruseligsten finde. Dieses menschenähnliche Riesenbaby aus Japan, das vollkommen unproportional und grau ist, der ist richtig abstoßend. Aber meine Kollegen , die täglich mit ihm arbeiten, sagen, er sei süß. Die glauben, er sei süß! Also für die gibt es dieses Unheimliche nicht."

    Dennoch versuchen Wissenschaftler, ihren Robotern eine Brücke über das unheimliche Tal zu bauen. Sie wollen, dass ihre künstlichen Zweibeiner gemocht werden. Doch um es überbrücken zu können, müssen sie mehr über die Beschaffenheit des unheimlichen Tals erfahren. Daran arbeitet Karl MacDorman:

    "Statt das Unheimliche Tal als etwas Negatives zu sehen, etwas Schlechtes, das es zu meiden gilt, betrachte ich es als etwas Positives. Etwas, das uns in der Wissenschaft ein Feedback liefern kann, sodass wir wissen, was an dem Verhalten des Roboters, den wir bauen, noch nicht stimmt. In welcher Beziehung ist er noch nicht menschlich genug?"

    Weil sofort auffällt, wenn etwas nicht ganz stimmt, kann die Theorie des Unheimlichen Tals also als Werkzeug für die Forschung dienen. So nutzt auch Rüdiger Dillmann in Karlsruhe den Effekt aus, um ihn schließlich zu vermeiden. Sein Fachgebiet ist das Lernen und das Begreifen und Speichern von Wissen. Beispielsweise möchte er einem Roboter beibringen, was ein Bleistift ist, einfach indem er ihn ihm zeigt und erklärt.

    "Das ist ein Bleistift – wobei noch nicht erklärt ist, was ein Bleistift ist, was man damit alles machen kann. Sie können zeichnen, Sie können sich am Kopf kratzen – also viele Dinge, die man damit machen kann. Der Mensch lernt das in der Breite sehr schnell, während das programmieren und das modellieren doch sehr schwierig und aufwändig ist."

    Dillmann und seine Kollegen arbeiten also nicht nur daran, dass ihr Roboter aussieht und handelt wie ein Mensch. Er soll auch lernen und Wissen speichern wie wir, sodass er es ebenso vielseitig anwenden und kombinieren kann. Das Unheimliche Tal, also die Tatsache, dass Menschen Abweichungen von einem normalen Handeln unmittelbar erkennen und stark darauf reagieren, machen sich die Forscher dabei zunutze, um ihre Arbeit zu verbessern. Rüdiger Dillmann:

    "Man kann bei humanoiden Robotern immer vergleichen: Wie macht es der Mensch, wie macht es die Maschine? Und kann dann auch Schlüsse ziehen, ob die Repräsentationen im Mensch und in der Maschine ähnlich oder vergleichbar sind. Also wenn es nicht klappt, dann sind da offensichtlich Brüche in der Repräsentation."

    Im Endeffekt lernen die Wissenschaftler durch ihre Arbeit an immer besseren humanoiden Robotern immer mehr über Menschen. Henrik Schärfe:

    "Wir sind gespannt, was uns diese Geschöpfe am Ende über uns selbst lehren werden. Für mich ist das Ziel nicht in erster Linie, den perfekten Menschen in Form eines Roboters zu schaffen. Ich will mithilfe des Roboters ein tieferes und besseres Verständnis vom Menschsein erlangen."

    Es geht wohl beides Hand in Hand. Erst wer versteht, wie der Mensch tickt, kann auch Roboter bauen, die ihn verstehen. Henrik Schärfe:

    "A journalist asked me a little while ago: 'What is the most advanced android in the world?' And I said: 'I don't know. It could be you.'"