Archiv

Marianne Weber vor 150 Jahren geboren
Kämpferin für die Frauen und gegen das Patriarchat

Frauen, die im 19. Jahrhundert für ihre Rechte und gegen die häusliche Enge rebellierten, galten als hysterisch. Marianne Weber ließ sich davon nicht abschrecken. Als Rechtshistorikerin, Publizistin und Politikerin wirkte sie weit über das hinaus, was der patriarchalische Zeitgeist einer Frau zugestand.

Von Monika Köpcke |
    Demonstration für das Frauenwahlrecht in Berlin, 12. Mai 1912
    Nach dem Ersten Weltkrieg bekamen Frauen endlich das Wahlrecht (picture-alliance / akg-images / Gebr. Haeckel)
    "Oh, wie ich mich langweilte - dieses Staubwischen in kaum benutzten, blanken Räumen, die regelmäßige Wäsche der Topfpflanzen und dergleichen mehr. Ich hatte alsbald Sorge um den Verlust meines geistigen Niveaus, ich trug stets ein Buch in der Tasche."
    Wenn man wie Marianne Schnitger am 2. August 1870 in eine gutbürgerliche Landarzt-Familie hineingeboren wurde und gerade die höhere Töchterschule beendet hatte, war der Alltag alles andere als stimulierend. Und auch die Zukunft präsentierte sich nicht gerade als buntes Potpourri. Nur die Berufstätigkeit als Lehrerin oder Krankenschwester wäre ein standesgemäßer Ausweg aus der häuslichen Lethargie gewesen - natürlich nur bis zur Heirat.
    Porträt des Soziologen und Nationalökonomen Max Weber (1864 - 1920)
    Zum 100. Todestag Max Webers - Der Jahrhundertsoziologe und die Politik
    Welche Formen der politischen Herrschaft gibt es? Wie hängen religiöse Ethik und wirtschaftliches Handeln zusammen? Das Werk des Soziologen Max Weber ist auch hundert Jahre nach seinem Tod aktuell und relevant.
    "Das Mädchen entspricht leider so gar nicht dem heiliggehaltenen Ideal von Weiblichkeit, dem die Männer anhängen und das alle Frauen dieses Kreises prägt. Marianne rebelliert innerlich gegen dies überlieferte Mädchenschicksal. Das harmonische, aber ereignislose ländliche Dasein, in dem die Männer dem Geschäft, die Frauen ganz Haus und Kindern gehören, bietet weder dem strebsamen Geist noch ihrem Lebenshunger Nahrung."
    Der berühmte Soziologe Max Weber schrieb diese Sätze. 1892 lernten sich die beiden in Berlin kennen, als Marianne Schnitger bei seinen Eltern - entfernten Verwandten der Mutter - zu Besuch war. Ein Jahr später war die Hochzeit. Marianne Weber war 23 Jahre alt, und fortan begleitete sie ihren Mann in die verschiedenen Universitätsstädte, in die er gerufen wurde.
    Budget 2017. Embargoed to 2230 Tuesday March 7 File photo dated 11/10/1908 of Suffragette Emily Pankhurst auf einer Versammlung auf Londons Trafalgar Square am 11.Oktober 1908 | PA/PA Wire / URN:30441471
    100 Jahre Frauenwahlrecht
    Zu Beginn des letzten Jahrhunderts durften Frauen praktisch nirgendwo wählen. Deutschland gehörte zur Avantgarde, als es 1918 das Wahlrecht für Frauen einführte. Stimmrecht bedeutete jedoch noch lange nicht Selbstbestimmung.
    Mit der Rolle der Professorengattin gab Marianne Weber sich nicht zufrieden. Als Gasthörerin - mehr war Frauen damals nicht gestattet - tauchte sie in die Wissenschaft ein und studierte Philosophie, Soziologie und Nationalökonomie. Ihr erstes Buch "Fichtes Sozialismus und sein Verhältnis zur Marxschen Doktrin" erschien im Jahr 1900. Sieben Jahre später publizierte sie unter dem Titel "Ehefrau und Mutter in der Rechtsentwicklung" ein bis heute unübertroffenes Grundlagenwerk zur Rechtsgeschichte der Frauen.
    "Wir wollen unsere Töchter nicht ahnungslos in die Arme des Mannes werfen"
    Ihre wissenschaftliche Arbeit und ihr Engagement in der bürgerlichen Frauenbewegung gingen Hand in Hand. So gründete sie eine Rechtsschutzstelle für Dienstmädchen und Kellnerinnen und warb in Vorträgen für die uneingeschränkte Gleichstellung der Geschlechter.
    "Wir wollen unsere Töchter nicht ahnungslos in die Arme des Mannes werfen. Wir wollen ihnen endlich die Bildung und geistige Selbständigkeit mitgeben, die sie befähigt, später auch ihren Söhnen nicht nur Pflegerinnen, sondern geistige Kameradinnen zu sein. Jede Steigerung der Achtung vor der Frau steigert auch die sittliche Kultur des Mannes."
    Die moderne Frauenbewegung wirft Marianne Weber gerne vor, zu sehr ein Kind ihrer Zeit geblieben und nie gänzlich konsequent gewesen zu sein. Doch was hätte das bedeutet? Aus einer Ehe auszubrechen, die sie als "glücklich" bezeichnete, auch wenn ihr Mann regelmäßig Liebesbeziehungen zu anderen Frauen hatte?
    Durch eine Erbschaft war Marianne Weber finanziell unabhängig. Was sie an Max Weber band, war eine geistige Verbundenheit - in einer Zeit, in der frauenrechtliches Engagement gerne als Hysterie und Widernatürlichkeit gebrandmarkt wurde.
    Mechanikerinnen in der Endmontage der neuen elektronischen Schreibmaschine vom Typ "Erika 6006" im VEB Buchungsmaschinenwerk (BUMA) Karl-Marx-Stadt.
    Verfolgt und eigensinnig - Unangepasste Frauen in der DDR
    Frauen in der DDR waren nur scheinbar emanzipiert und gleichberechtigt. Doch das Klischee hat sich im kollektiven Gedächtnis festgesetzt und trägt mit dazu bei, dass über den feministischen Kampf im Osten wenig bekannt ist. Dabei haben Frauen dort viel für ihre Freiheiten riskiert.
    Einzug in den badischen Landtag
    Nach dem Ersten Weltkrieg bekamen Frauen endlich das Wahlrecht. Marianne Weber war in Heidelberg Gründungsmitglied der DDP, der linksliberalen Deutschen Demokratischen Partei, und zog 1919 als Abgeordnete in den badischen Landtag.
    "Als ich zum ersten Mal im Fraktionszimmer erschien, richteten sich 24 Augenpaare auf eine Neuerscheinung, die von manchen denn doch als lästiger Eindringling in den männlichen Herrschaftsbereich angesehen wurde."
    Nach nur sechs Monaten Parlamentsarbeit zog Marianne Weber mit ihrem Mann nach München, wo er 1920 unerwartet starb. Ein schwerer Schock. Sie ging zurück nach Heidelberg und zog sich ins Private zurück. In den nächsten Jahren widmete sie sich der Herausgabe der Werke von Max Weber und schrieb seine Biografie.
    Auf diese Schaffensphase wird sie in der öffentlichen Würdigung gerne reduziert. Doch Marianne Weber war viel mehr: Als Rechtshistorikerin, Frauenrechtlerin und Politikerin wirkte sie als Kind ihrer Zeit weit über das hinaus, was der patriarchalische Zeitgeist einer Frau zugestand. Ihre wissenschaftliche und publizistische Arbeit führte sie bis ins hohe Alter fort. 1954 starb Marianne Weber mit 83 Jahren in Heidelberg.