Mittwoch, 24. April 2024

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"Marienvesper" am Nationaltheater Mannheim
Ein Klangfest, düster inszeniert

Calixto Bieto hat Claudio Monteverdis "Marienvesper", eigentlich ein sakrales Werk, am Nationaltheater in Mannheim inszeniert. Gleich mehrere Marias geistern über die Bühne. Die Inszenierung hat Opernkritiker Jörn Florian Fuchs allerdings nicht überzeugt, dafür aber das Orchester und die musikalische Leitung.

Jörn Florian Fuchs im Gespräch mit Beatrix Novy | 16.12.2018
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    Claudio Monteverdis "Marienvesper" am Nationaltheater Mannheim in der Inszenierung von Calixto Bieito (Amelia Scicolone, Nikola Hillebrand, Joshua Whitener, Chor und Kinderchor des NTM. Copyright: Hans Jörg Michel)
    Beatrix Novy: Oratorien und Passionen gehören nicht auf die Bühne. Eigentlich. Aber sie haben ja eine Handlung, und die innere Dramatik vieler Werke ist so eindrucksvoll, dass die Regel längst gebrochen wurde. Achim Freyer, Peter Sellars und andere haben Bachs h-moll-Messe oder Verdis Requiem in Opernhäusern zur Darstellung gebracht. Das gefällt. Und wo liegt so eine Inszenierung überhaupt näher als bei Claudio Monteverdi, dem Barockkomponisten, der nicht nur Oratorien schuf, sondern auch zu den ersten Opernkomponisten gehörte? Also kein Grund zum Staunen, dass gestern am Nationaltheater Mannheim gestern Monteverdis "Marienvesper" szenisch aufgeführt wurde. Allerdings hieß der Regisseur Calixto Bieito - ein Name, der auch nach vielen Jahren reflexhaft Erinnerungen an Skandale und schrille Inszenierungen auslöst. Ich habe unseren Kritiker Jörn Florian Fuchs gefragt, was Bieito aus der Marienvesper gemacht hat?
    Jörn Florian Fuchs: Ja, schrill ist das Ganze tatsächlich kaum und man kann vorweg nehmen, dass es ungebrochenen Jubel, ungebrochen großen Applaus gab für Bieto und sein Team. Das mag vielleicht manche verwundern – auf der anderen Seite, wenn man ein bisschen auf die letzten Arbeiten von Bieto schaut, ist schon festzustellen, dass er sich ein wenig geändert hat. Vielleicht ist es ein Altersstil ein bisschen schon. Ihn interessiert nämlich tatsächlich jetzt das Inszenieren von solchen Stücken, die eigentlich nicht unbedingt auf die Bühne gehören.
    Inszenierung des Klangraums
    Fuchs: Zuletzt gab es das Verdi-Requiem etwa, jetzt die Marienvesper, wo man ja auch fragt: Muss man das szenisch machen und kann man das szenisch machen? Und er geht zunächst mal vom Raum aus, wir haben die Musiker und Musikerinnen positioniert fast ein bisschen im Publikum vorne drin, das verlagert sich so ein bisschen in die vorderen Reihen hinein, aber auch in den Seitenlogen. Und vorne in einer Aufstellung, die so ein bisschen an ein Kirchenschiff erinnert. Also, das Zentrale an diesem Abend ist tatsächlich das Inszenieren eines Klangraums und das zumindest ist gelungen aus meiner Sicht.
    Novy: Man sieht auf den Bildern, die das Nationaltheater Mannheim zeigt, eine bunte Menge von Menschen, hell gekleidet, Kinder, alles wirkt sehr locker und luftig…
    Fuchs: Diese Elemente gibt es durchaus, aber den Abend über verdüstert sich das zunehmend. Was Bieto wohl versucht ist schon, eine Gegenwärtigkeit herzustellen mit Figuren aus dem Hier und Heute ohne das allerdings in jedem Punkt aufzuschlüsseln oder uns eine Möglichkeit zu geben, das Ganze zu entschlüsseln. Ich war in der ersten Dreiviertelstunde ziemlich verwirrt, deswegen weil: Es gibt zum Beispiel einen schwarzen Engel, der diverse Mädchen dabei hat, die so ein bisschen aussehen wie junge Marias. Es gibt einen offensichtlich geistig Behinderten, der das spielt auf der Bühne mit wackelndem Kopf, auf und ab geht und Leuten Blumen überreicht und sich irgendwie immer so ein bisschen einmischt. Mir war nicht ganz klar, was uns das jetzt erzählen soll und tatsächlich weiß das Programmheft Rat, denn Bieto sagt, es ist eine Inspiration aus seiner Kindheit und Jugend, da gab es den "Dorfdeppen", das gab es diverse Figuren. Und die, tatsächlich, hat er nun versucht auf die Bühne zu bringen. Und diese kleinen Marias tauchen noch in andern Konstellationen auf. Es geht viel um Schwangerschaft, um echte und eingebildete Schwangerschaft. Also, das wird alles angerissen und das hat natürlich mit dem Stück zu tun, weil es um die Jungfrau Maria und diese Fragen geht. Letztlich ist aber mein zentraler Einwand, dass auf der einen Seite die Sache dann doch zu unklar bleibt in vielen Punkten und auf der anderen Seite dann wiederum zu konkret ist.
    Ein Klangfest mit szenischen Fragezeichen
    Novy: das ist jetzt der Moment, Herr Fuchs, wo man sich fragt, wie das eigentlich klingt!
    Fuchs: Das war der direkt doch fulminante Einstieg in das Stück und das war ein Abend, auf der einen Seite, des Chors, einstudiert von Dani Juris in Mannheim, aber auch des Orchesters. Hier hat man in Mannheim doch keine Kosten und Mühen gescheut und ein Fachensemble eingeladen, nämlich Il Gusto Barocco unter der Leitung von Jörg Halubek. Das ist ein wirkliches Alte-Musik-Ensemble, mit entsprechenden Instrumenten auch, wir haben Lirone, Gamben, Lauten etwa an diesem Abend, dann wunderbar knochige, alte, schnarrende Posaunen, also das ist ein großer, durchaus manchmal etwas rauer Klang, das ist auch das Konzept des Dirigenten, eben historisch informiert das musikalisch zu inszenieren – das fand ich sehr, sehr überzeugend. Und ensemblemäßig ist es ein bisschen durchwachsen gewesen, die Partien sind ja doch durchaus anspruchsvoll. Was ich phänomenal fand, waren zwei Sopranistinnen, nämlich Amelia Scicolone und Nikola Hillebrand. Diese beiden Damen, die dann auch sehr viel szenisch zu tun haben, weil sie eben immer wieder als Marienfiguren durch diverse Szenen und Szenerien geistern. Also, das waren zwei ganz tolle Stimmen. Ein klangfest in Mannheim mit szenisch, wie gesagt, ein paar Fragezeichen.