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Marine Hitzewelle
"Blob" verursacht Massensterben von Seevögeln vor US-Küste

Zehntausende tote Vögel waren zwischen Mitte 2015 und Anfang 2016 an der US-Westküste und in Alaska an die Küsten gespült worden. Nun haben Forscher den Grund für das Massensterben unter den Trottellummen ausgemacht: Nahrungsmangel infolge hoher Meerestemperaturen.

Von Volker Mrasek | 16.01.2020
Das Datenbild zeigt die monatliche Durchschnittstemperatur der Meeresoberfläche für Mai 2015. Zwischen 2013 und 2016 dominierte im Nordpazifik eine große Masse ungewöhnlich warmen Ozeanwassers - der Blob -, das hier durch rote, rosa und gelbe Farben gekennzeichnet ist, die Temperaturen bis zu drei Grad Celsius über dem Durchschnitt anzeigen.
Der „Blob“ ist die bisher langwierigste und massivste marine Hitzewelle im Nordostpazifik (Copyright: NASA Physical Oceanography Distributed Active Archive Center)
"The Blob" war nicht bloß ein Klecks im Ozean, wie der Name eigentlich suggeriert, sondern die bisher langwierigste und massivste marine Hitzewelle im Nordostpazifik - wenn nicht gar in sämtlichen Weltmeeren. Ausgelöst wurde sie durch anhaltende Hochwetterlagen in dem Gebiet. Der Fischerei-Forscher Nate Mantua von der US-Fachbehörde für Ozean und Atmosphäre war damals genauso verblüfft wie viele andere:
"Der Klecks reichte von Alaska bis hinunter nach Mexiko, und draußen im Ozean bis hinaus nach Hawaii – ein Gebiet von mehreren Millionen Quadratkilometern. An manchen Stellen war das Meer zeitweilig sieben Grad wärmer als normal. Gut zweieinhalb Jahre dauerte das Ganze, bis zum Sommer 2016."
Durch die riesige Hitzeblase drang kein nährstoffreiches Tiefenwasser mehr nach oben, Plankton-Algen und -Krebse verschwanden, das ganze Nahrungsnetz brach zusammen.
Massensterben unter den Trottellummen
Die Folgen für das Ökosystem waren noch dramatischer, als die ersten Auswertungen nahelegten. Zum Teil halten sie sogar bis heute an. Das ergibt sich aus der neuesten Blob-Studie US-amerikanischer Forscher. Zunächst hieß es, rund 300.000 Trottellummen könnten während der Hitzewelle verhungert sein. Es seien aber noch viel mehr von den Seevögeln gestorben, sagt John Piatt, Meeresbiologe beim Geologischen Dienst der USA:
"Wir schätzen, dass es ungefähr eine Million Vögel getroffen hat. Und damit zehn bis 20 Prozent ihrer Bestände im Nordostpazifik. Das ist ein sehr hoher Anteil!"
Trottellummen sind entfernte Verwandte von Pinguinen. Sie ernähren sich von kleinen Schwarmfischen wie Stinten, Sardinen und Heringen und können erstaunliche 200 Meter tief tauchen. Doch das half den Vögeln während der Hitzewelle nicht. Von ihrer gewohnten Beute war praktisch kaum noch etwas da. Und dann nahm auch noch die Konkurrenz um das Bisschen Nahrung zu. Die hohen Wassertemperaturen beschleunigten nämlich die Stoffwechselrate von Raubfischen. Damit stieg auch ihr Heißhunger auf die gleiche Beute wie die der Trottellummen. Vom "Blob"" haben sich die Vögel bis heute nicht richtig erholt:
"Wir waren schockiert, als wir im Jahr 2016 sahen, dass elf verschiedene Riesenkolonien der Trottellummen überhaupt keine Küken mehr hervorbrachten. 2017 war das bei neun Kolonien immer noch so, 2018 bei vieren, und selbst im vergangenen Jahr hatte eine Kolonie, die ich untersuche, weiterhin keinen Nachwuchs. Die marine Hitzewelle wirkte sich also jahrelang negativ aus. Viele Seevögel legen keine Eier, wenn sie nicht genug zu fressen finden. "
"The Blob" führte zum Zusammenbruch der Kabeljau-Fischerei
Im Nordostpazifik sind auch Buckel- und Finnwale zuhause. Für sie hatten Hitzewelle und Hunger ebenso tödliche Folgen:
"In Alaska haben wir 60 Buckel- und Finnwale verloren. Das ist eine ungewöhnlich hohe Sterblichkeit! Es gibt hier einen wunderschönen Nationalpark. Er heißt Glacier Bay. Dorthin zieht es viele Wale im Sommer. Mitarbeiter des Parks erfassen sie regelmäßig. Zwischen 2015 und 2018 ging ihre Zahl um die Hälfte zurück."
Der "Blob" führte am Ende auch zu ökonomischen Schäden. Laut John Piatt brach die Kabeljau-Fischerei in Alaska zusammen, weil kaum noch Kabeljau da ist.
Niemand kann sagen, wann es wieder zu einer so intensiven Hitzewelle im Nordostpazifik oder auch anderswo kommt. In Zukunft sei aber häufiger mit so etwas zu rechnen, sagt der US-Ozeanograph Michael Jacox:
"Nach unseren Modellrechnungen wäre eine solche Hitzewelle vor - sagen wir – hundert Jahren noch überhaupt nicht möglich gewesen. Doch jetzt nimmt die Wahrscheinlichkeit für solche Extreme zu."