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Marion Schick: Qualität lässt sich nicht per Gesetz anordnen

Baden-Württembergs Kultusministerin Marion Schick hat sich gegen ein bundeseinheitliches Schulgesetz ausgesprochen. Bildungspolitik müsse Ländersache bleiben, sagte die CDU-Politikerin. Anderslautende Forderungen der nordrhein-westfälischen Schulministerin Löhrmann kämen ihr so vor, als würde man "den großen Bruder Bund zu Hilfe holen".

Marion Schick im Gespräch mit Jürgen Liminski |
    Jürgen Liminski: Die Bildungsdebatte gewinnt wieder Fahrt, nicht nur wegen der Stipendienfragen, sondern ganz grundsätzlich. Die neue Schulministerin in Nordrhein-Westfalen, Sylvia Löhrmann, sucht hier offenbar auch den Konflikt mit ihren Länderkollegen. Ihr Vorstoß diese Woche für ein bundeseinheitliches Schulgesetz stößt ebenso auf Widerspruch wie der Vorschlag, das Kooperationsverbot abzuschaffen. Zu beiden Steinen im Teich der Bildungspolitik wollen wir nun sprechen mit Professorin Marion Schick. Sie ist Kultusministerin in Baden-Württemberg. Guten Morgen, Frau Schick!

    Marion Schick: Guten Morgen!

    Liminski: Frau Schick, fangen wir mit dem bundeseinheitlichen Gesetz an, dass die rot-grüne Regierung in Düsseldorf im Bundesrat vorschlagen will. Es ist zwar noch nicht bekannt, aber schon die Absicht rüttelt am System, denn es soll ein schlankes Bundesgesetz mit zentralen Anforderungen an das Schulsystem sein, heißt es bei den Grünen. Können Sie der Absicht etwas abgewinnen?

    Schick: Nein. Sie überrascht mich umso mehr, als diese neue Regierung in Nordrhein-Westfalen jetzt die zweite Wolke innerhalb weniger Tage schlägt, zunächst angetreten mit einer eigenen Schulreform, zentralistisch, dann, als man die Umsetzungskompetenz hatte, dann zurückgerudert und gesagt, hm, lass uns mal gucken, ob vielleicht 30 Prozent der Schulen so eine Gemeinschaftsschule werden sollen, und dann vom Tolerierungspartner die Linken zurückgepfiffen, die wollen doch die große Schulreform. Mir kommt das ein bisschen so vor, als würde man hier den großen Bruder Bund zu Hilfe holen.

    Liminski: Ihre Kollegin Löhrmann will die bereits definierten gemeinsamen Standards für alle Bürger transparenter machen, sagt sie, also vielleicht gar nicht so die Hilfe nach dem großen Bruder. Zum Beispiel soll das Gesetz definieren, was Jugendliche nach dem Ende der Sekundarstufe eins und zwei können müssen. Sind denn solche Beschreibungen und Definitionen nicht sinnvoll, um den ideologischen Dampf aus der Diskussion zu nehmen?

    Schick: Selbstverständlich sind sie sinnvoll, und deswegen hat sich die Kultusministerkonferenz bereits darauf genau geeinigt und vor wenigen Wochen den ersten Ländervergleichstest vorgelegt, wo abgeprüft wurde bundesweit, inwieweit die Jugendlichen in der neunten Jahrgangsstufe erfolgreich sind auf dem Weg zum Erreichen der Bildungsstandards. Das, was Frau Löhrmann sich hier vornimmt, das gibt es bereits. Es wäre vielleicht hilfreich gewesen, mal in der KMK zu gucken, was dort bereits getan wurde.

    Liminski: Vielleicht will sie nur die Umsetzung schneller vorantreiben, die Umsetzung der Bildungsstandards eben gemeinsam mit dem Bund. Das fragt sich ja übrigens auch, rhetorisch natürlich, zum Beispiel Ihr Landsmann Klaus Kinkel, der auch dafür plädiert.

    Schick: Die Umsetzung der Bildungsstandards ist eine ganz, ganz große Aufgabe in vielen, vielen Bundesländern, denn dieser Ländervergleichstest hat ergeben, dass in der Spitze der Umsetzung und Erreichung der Bildungsstandards sich wenige Bundesländer tummeln. Das sind durchweg Bayern, Baden-Württemberg, dann auch Sachsen und Thüringen. Viele, viele andere Bundesländer erreichen die Bildungsstandards im Moment nicht. Wie ein Gesetz hier helfen könnte, ist mir allerdings vollkommen schleierhaft, denn Qualität per Gesetz anzuordnen, ich glaube, das ist noch niemand gelungen.

    Liminski: Das könnte ja nun ein erster Schritt sein, indem man diese Qualität definiert und dann mit dem Gesetz sozusagen die Forderung erhebt, diese Standards müsst ihr eben erfüllen.

    Schick: Die Qualität ist bereits definiert. Es liegen für den Sekundarabschluss eins die Definitionen für den Standard vor, die Kultusministerkonferenz lässt im Moment erarbeiten die Qualitätsstandards für das Abiturniveau. Das heißt, es ist alles bereits im Gange.

    Liminski: Und wie kann man es dann umsetzen?

    Schick: Hier ist jedes Land gefordert, und die Anstrengungen in der Bildungspolitik sind einfach nachhaltig notwendig in einem Maße, wie es vielleicht in manchen Bundesländern noch nicht möglich war oder noch nicht gewollt war. Und ich denke, es zeigt sich vor allem eines auch in diesem Ländervergleichstest: Die Bundesländer, die über viele Jahre und Jahrzehnte hinweg auf Kontinuität, Verlässlichkeit in ihrem Bildungssystem gesetzt haben, die liegen in der Qualität an der Spitze. Dort hingegen, wo viele Wechsel waren, wo immer wieder mal ein System ausprobiert wurde, dort hat anscheinend die Qualität gelitten. Wir lernen also aus dem Ländervergleichstest, Kontinuität ist wichtig und nicht die Schulstrukturdiskussion in der Beliebigkeit heute dies, morgen das.

    Liminski: Aber die Festlegung auf eine Struktur für alle könnte da doch behilflich sein. Die SPD geht ja hier auch übrigens noch weiter als die Grünen. Sie will diese Festlegung auf das achtjährige Gymnasium und eine Gesamtschule als einziger Schulform neben dem Gymnasium. Sehen Sie dafür eine Chance, das bundesweit mal einzuführen?

    Schick: Das erscheint mir, die Vorstellung, man könnte Politik am Reißbrett machen, völlig über Menschen hinweg. Ich glaube, wenn wir auf Hamburg zurückblicken, auf den Volksentscheid vor wenigen Wochen, dann sehen wir vor allem eines: Hier ist - wie man nun die Schulstrukturreform bewerten will, die intendiert war in Hamburg -, aber hier ist doch eines geschehen: Die Eltern haben gesagt, wir lassen das nicht einfach mit uns machen, vom Reißbrett eine Reform, wie immer gut die begründet sein mag oder nicht gut. Und die Idee, man könnte bundeseinheitlich eine Schulstruktur festlegen und die Eltern würden im ganzen Land zustimmen, diese Idee ist fern von jeder Realität in der Pädagogik. Das Gesetz wäre schnell gemacht, aber was würden wir denn erleben bei den Eltern, auch bei den Schülern, die in einer bestimmten Struktur sich heute befinden und im Übrigen zum Beispiel in Baden-Württemberg die zufriedensten Schüler im ganzen Bundesgebiet sind?

    Liminski: Jedes der 16 Bundesländer, Frau Schick, hat bisher ein eigenes Schulgesetz mit unterschiedlichen Schulstrukturen, rund 80 Prozent der Deutschen wollen den Bund in der Bildungs- und Schulpolitik stärker in der Pflicht sehen. Lässt sich diese Flickschusterei im deutschen Schulsystem durch mehr Bundeskompetenz vereinheitlichen?

    Schick: Ich weiß nicht, woher die Hoffnung kommt, dass bundeseinheitliche Kompetenz gleichzusetzen wäre mit Qualitätsverbesserung. Und wenn man in den Umfragen stärker hineinschaut, dann sagen uns die Eltern und auch die Nicht-Eltern, die befragten, immer eines ganz deutlich: Sie wollen Qualität im Bildungssystem, sie wollen kleinere Klassen, sie wollen hoch ausgebildete Lehrer und Lehrerinnen, sie wollen individuelle Förderung für ihre Kinder und für die Jugendlichen. Und das ist nicht per Gesetz anzuordnen, sondern das muss man über langjährige Anstrengungen hinweg entwickeln, und da muss man auch viel Geld in die Hand nehmen. Ich vermute, dass viele Menschen glauben, wenn der Bund eine stärkere Kompetenz hätte, dass damit auch eine bessere Finanzierung verbunden wäre des Bildungssystems, aber allein die Unterschiede in den Bundesländern auszugleichen in der Finanzierung und in der Schwerpunktsetzung auf Bildung, das wäre ein Herkulesschwert. Mir ist nicht bekannt, dass der Bund über Geldreserven verfügt, die er per Knopfdruck mobilisieren könnte, wenn er denn endlich eine Kompetenz hätte im Bildungsbereich.

    Liminski: Damit sind wir beim Kooperationsverbot, ein Riesenfehler, sagt die FDP-Politikerin Ulrike Flach, und auch der Ehrenvorsitzende der FDP und frühere Minister Klaus Kinkel geht in diese Richtung, wenn er formuliert, das Kooperationsverbot war gut gemeint, hat sich in der Praxis aber als Hauptbremse für eine Verbesserung des Schulsystems erwiesen. Nun soll es eine Grundgesetzänderung geben, um dieses Verbot aufzuheben. Sind Sie dafür?

    Schick: Nein. Und auch hier denke ich, dass man Äpfel mit Birnen vermischt. Das Kooperationsverbot ist ja eigentlich ein Einmischungsverbot oder eine Sicherstellung, dass der Partner im föderalen System das tut, wofür er zuständig ist, und nicht interveniert wird, quergeschossen wird aus anderen Bereichen mithilfe von Finanzmitteln. Das gab es ja auch ab und zu schon, dass der Bund über Zusage von Finanzmitteln es möglich gemacht hat, inhaltliche Dinge durchzusetzen, die manche Länder eigentlich nicht wollten. Insoweit ist die Kritik am Kooperationsverbot, denke ich, eine Augenwischerei. Man macht den Menschen etwas vor, man gaukelt ihnen vor, wenn es das nicht gäbe, gäbe es unendlich Geld im Bildungssystem, das käme dann anscheinend vom Bund, und per Knopfdruck wäre die Qualität in allen Bundesländern gleich. Das ist eine Illusion. Wir haben heute - und das hat uns der Ländervergleichstest gezeigt - zwischen den besten Schülern in Deutschland in der neunten Jahrgangsstufe und den schlechtesten über eineinhalb Jahre Leistungsunterschied. Das kann man nicht per Gesetz oder per Abschaffung des Kooperationsverbots ändern. Das sind Prozesse, die dahinterstehen, die brauchen Zeit, und da müssen sich vor allem die Bundesländer auf den Weg machen, die die Qualität heute nicht erreichen.

    Liminski: Die Bildungsdebatte in Deutschland gewinnt wieder an Fahrt. Das war hier im Deutschlandfunk die Kultusministerin von Baden-Württemberg, Professorin Marion Schick. Besten Dank für das Gespräch, Frau Schick!

    Schick: Danke!