Donnerstag, 18. April 2024

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"Marionetten"-Song von Xavier Naidoo
"Kein Kavaliersdelikt, die Reichsbürger-Symbolik zu zitieren"

Popsänger Xavier Naidoo ist schon wiederholt durch verschwörungstheoretische und populistische Äußerungen aufgefallen. Jetzt sorgte das Lied "Marionetten" vom neuen Söhne-Mannheims-Album für Aufregung. Die Mannheimer Stadtspitze habe nach einem Krisengespräch mit der Band viel zu mild reagiert, sagte der Popkulturexperte Jens Balzer im DLF.

Jens Balzer im Gespräch mit Fabian Elsäßer | 09.05.2017
    Der Musiker Xavier Naidoo bei einem Auftritt in Mannheim
    Xavier Naidoo steht wegen des Songs "Marionetten" in der Kritik (picture alliance / dpa / Uwe Anspach)
    Fabian Elsäßer: 2010 wollte er Bundespräsident Horst Köhler wegen angeblichen Hochverrats anzeigen. 2012 sang er mit Rapper Kool Savas auf einem versteckten Album-Track über Ritualmorde an Kindern und warf dabei Homosexualität und Kindesmissbrauch in einen Topf. 2014 trat Xavier Naidoo dann bei einer Veranstaltung der Reichsbürgerbewegung auf. Davor und danach hat er immer mal wieder Ansichten vertreten, die man als verschwörungstheoretisch bezeichnen kann.
    Und auf dem aktuellen Album seiner Band Söhne Mannheims - "MannHeim" - finden sich gleich mehrere Texte, mit denen auch Rechtspopulisten sehr einverstanden sein dürften. Vor allem im Lied "Marionetten". Das ging der Stadtspitze dann doch zu weit - gestern gab es ein Krisentreffen mit Oberbürgermeister Peter Kurz. Heute veröffentlichten die Söhne auf ihrer Homepage eine Erklärung. Darin hieß es unter anderem:
    "Nach wie vor teilen wir das gemeinsame Grundverständnis für eine offene, freiheitliche, liberale und demokratische Gesellschaft auf Basis unseres Grundgesetzes." Die Stadtverwaltung wiederum begrüßte diese Erklärung heute Mittag per Presseerklärung ausdrücklich. Aus Berlin zugeschaltet ist uns jetzt der Musikjournalist und Popkulturexperte Jens Balzer, hallo.
    "Der Teflon-Xavier-Naidoo, an dem irgendwie alles abperlt"
    Jens Balzer: Hallo Herr Elsäßer, guten Tag.
    Elsäßer: Herr Balzer, ist die Reaktion aus dem Mannheimer Rathaus angemessen, Ihrer Meinung nach?
    Balzer: Ja, es ist erstaunlich, nach dem, was Sie hier gerade alles zitiert haben an Tätigkeiten Xavier Naidoos aus der Vergangenheit, womit er immer noch so durchkommt. Also er trägt ja gerne mal einen Alu-Hut, offensichtlich. Aber eigentlich ist er doch eher mittlerweile der Teflon-Xavier-Naidoo, an dem irgendwie alles abperlt. Also die Stadt Mannheim deutet das in Ihrer Presseerklärung jetzt so, als habe er sich, oder als haben die Söhne Mannheims sich von diesen inkriminierten Texten, also von den Stücken "Marionetten" und "Der deutsche Michel" auf der neuen Platte distanziert. Das haben sie aber in Wirklichkeit gar nicht. Also sie nehmen überhaupt keine Stellung zu diesen Texten und zu den Vorwürfen. Sie sagen lediglich, dass sei irgendwie missverständlich gewesen, offensichtlich. Weil: Es sei ja überzeichnet, also immer noch im Rahmen der Freiheit der Kunst und wolle auf bestimmte gesellschaftliche Strömungen aufmerksam machen.
    Tatsächlich wird aber in diesen Texten mehr die Perspektiven dieser Strömungen, also des Rechtspopulismus, auf die aktuelle gesellschaftliche Lage einfach komplett übernommen. Also man kann da wirklich auch nicht die leiseste Distanzierung oder irgendeine Art von subjektiver Zerrissenheit in diesen Texten hören. Und die reine Tatsache, dass sich die Söhne Mannheims und Xavier Naidoo jetzt irgendwie zu einer offenen Gesellschaft bekennen, verleitet die Stadt Mannheim jetzt dazu, zu sagen: Ach naja, dann ist ja jetzt alles gut und nichts gewesen. Und da gibt es jetzt keinen Ärger, weil die ja die Pop-Akademie in Mannheim mitgegründet haben und an diversen Stadt-Feierlichkeiten teilgenommen, das neue Album heißt "MannHeim" und, wenn ich das richtig gesehen habe, gibt es auch einen Festauftritt über 200 Jahre Fahrrad, den die mit den Mannheimern gemeinsam machen wollen. Also die sind da schon sehr, sehr verwurzelt. Und offenbar hat die Stadt da doch sehr große Bedenken sich irgendwie von diesen Leuten zu trennen oder sich irgendwie auch nur scharf zu distanzieren. Da können die machen, was sie wollen. Also das ist wirklich windelweich, was die da geschrieben haben. Ich finde das ist eigentlich ein Skandal.
    "Der gesamte Kontext hat sich verändert, nur Xavier Naidoo hat sich nicht verändert"
    Elsäßer: Ich muss mich jetzt mal mit fremden Federn schmücken. Ich habe einen Titel gefunden von, ich glaube, einem Kollegen namens Steven Geyer in der Berliner Zeitung. Der schrieb im Juni 2015, also da ging es schon um diese Reichsbürger-Auftritte von Xavier Naidoo: "Xavier Naidoo ist wie der Onkel, der bei jedem Familientreffen irgendwann anfängt, wirres Zeug zu reden und dem nicht widersprochen wird. Kann er ja nicht so meinen, so nett wie er ist."
    Balzer: Ja, das Irre ist - ich habe auch nach diesen ersten Auftritten vor den Reichsbürgern kommentiert. Das war, glaube ich, am Tag der Deutschen Einheit 2014, wenn ich mich richtig erinnere. Das habe ich damals auch kommentiert, und mir war eigentlich auch so zu Mute: Naja, musikalisch konnte ich ihn nie leiden und offenbar ist der nicht ganz frisch in der Birne, was seine politischen Ansichten angeht. Und diese Reichsbürger sind ja auch alle verwirrte Typen. Eigentlich kann man das nicht, muss man das nicht so ernst nehmen. Im Grunde hat das ja auch so eine drollige Note. Das war 2014. Und da war einem noch überhaupt nicht klar, wie politisch dramatisch sich die Lage verändern wird in Deutschland. Das war ja vor diesen ganzen Pegida- und AfD-Eskalationen. Und auch bevor einem klar wurde, dass es bei den Reichsbürgern welche gibt, die das tatsächlich sehr ernst meinen - also bis hin zu versuchten Mordanschlägen - die auch den Widerstand gegen die Staatsgewalt bis ins terroristische Extrem zu treiben bereit sind. Das hat sich verändert. Der gesamte Kontext hat sich verändert, nur Xavier Naidoo hat sich nicht verändert. Der provoziert immer noch so weiter munter drauf los mit seinen Verschwörungstheorien.
    Elsäßer: Und schreibt Textzeilen wie: "Du glaubst doch nicht wirklich, dass unsere Nachrichten nicht nachgerichtet sind".
    Grönemeyer, Schweiger, Lieberberg halten sich jetzt zurück
    Balzer: Ja. Oder: "Und wenn ich nur einen" von diesen Politikern "in die Finger bekomme, dann zerreiß ich ihn in Fetzen". Und da hilft auch kein Verstecken hinter Paragrafen und Gesetzen. Das hätte man vor drei Jahren, würde ich vielleicht auch sagen, noch irgendwie komisch finden können, ein bisschen abnorm irgendwie. Aber wir haben jetzt 2017, und die Lage hat sich so verschärft, das ist nicht mehr komisch. Das ist kein Kavaliersdelikt, diese Reichsbürger-Verschwörungstheorien und -symboliken zu zitieren. Und das muss man wirklich mit dem ganzen Ernst der politischen Lage sehen und dann, finde ich, auch kritisieren. Und es ist ja auch kritisiert worden.
    Interessanterweise haben sich jetzt alle die, die bei der letzten Runde - also als Xavier Naidoo dann doch nicht zum Eurovision Song Contest geschickt werden sollte auf Grund seiner Äußerungen - alle die haben sich jetzt zurückgehalten. Also damals gab es eine ganzseitige Anzeige von Marek Lieberberg in der "FAZ", wo er die Hetzjagd auf den von ihm vertretenen Künstler beklagte. Herbert Grönemeyer und Till Schweiger - und wer nicht noch alles - haben sich für ihren netten Kollegen in die Bresche geworfen. Von denen sagt jetzt keiner etwas. Ich wäre wirklich mal sehr interessiert, wie die diese neuerlichen Provokationen und dieses neuerliche Drehen an der Reichsbürger-Ideologie-Schraube von Naidoo jetzt sehen. Aber da kommt nichts.
    Elsäßer: Da sind wir mal gespannt, wie es weiter geht, und beenden wir das Thema mal mit einem Zitat aus diesem Album: "Erheben die Stimmen aus dem falschen Grund, manchmal hält man besser seinen Mund". Einschätzungen waren das vom Journalisten-Kollegen Jens Blazer. Herzlichen Dank für das Gespräch.
    Balzer: Bitte schön.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.