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Markenzeichen: Respektlosigkeit

Wer Kurt Tucholsky war, hat am besten Erich Kästner beschrieben: "Ein kleiner dicker Berliner, der mit seiner Schreibmaschine eine Katastrophe aufhalten wollte". Der 1890 geborene Schriftsteller verkörpert mit seiner Ruhelosigkeit und seinem unstillbaren Aktivitätsdrang die Weimarer Republik. Vor siebzig Jahren starb das literarische Universalgenie Kurt Tucholsky.

Von Maike Albath |
    Hörspiel mit Kurt Böwe, Ulrike Krumbiegel, Regie: Barbara Plensat
    ""Claire!" "Wolfgang?" "Sollte ich etwa die Kofferschlüssel zu Hause vergessen haben?" "My honeysuckle. Och, der kleine Jungchen muss ja alles vergessen... psch, psch" "Oder was hat denn Wölfchen da im Strumpfe... Pack aus, mein Hulle Pulle"."

    Ein Liebespaar plänkelt genussvoll vor sich hin. Claire und Wolfgang sind aus Berlin ins Brandenburgische gereist, um dem Großstadtgetümmel für ein paar Tage zu entkommen und ihre Zweisamkeit zu zelebrieren. Rheinsberg. Ein Bilderbuch für Verliebte heißt die berühmte Geschichte. Angeregt durch einen Ausflug mit seiner Freundin hatte der 21jährige Jurastudent Kurt Tucholsky, der gerade erste Erfolge als Journalist verzeichnen konnte, 1912 den schmalen Band veröffentlicht.

    Ein paar Wochen später ist Tucholsky bekannt wie ein bunter Hund, denn der heiter-verspielte Roman kommt einer erotischen Rebellion gleich: da rechnet jemand mit der herrschenden Moral ab und spottet über die verlogene feine Gesellschaft. Mit den preußischen Werten wird kurzer Prozess gemacht.

    ""Sessu, mein Äffgen, das ist nu unsere Heimat. Würdest du für dieselbe in den Tod gehen?" "Du hast es schriftlich, liebes Weib, daß ich nur für dich in den Tod gehe."

    Tucholsky, 1890 als Sohn eines wohlhabenden jüdischen Kaufmanns in Berlin geboren, ist ein rastloser Textproduzent und gilt schon bald als Institution. Zwei bis drei Artikel pro Woche liefert er seinem Stammblatt, der linksbürgerlichen Wochenzeitschrift Schaubühne; nebenbei arbeitet er noch an seiner Promotion. Er publiziert unter mehreren Pseudonymen, nennt sich Peter Panther, Theobald Tiger oder Ignaz Wrobel und verfasst spitzzüngige Kritiken, Glossen, Porträts und Kommentare.

    Sein Markenzeichen: Respektlosigkeit, bissiger Witz, muntere Polemik und eine markante politische Witterung. Die Erfahrungen des Ersten Weltkriegs, den er in diversen Schreibstuben glimpflich übersteht, machen ihn endgültig zum Gegner der Armee. Der Bürger müsse erzogen werden, so seine Erkenntnis, weshalb Tucholsky seinen Produktionsrhythmus steigert und auf die Breitenwirkung von Kabarett, Revuen und Chansons setzt.

    "Rote Melodie", Friedrich Hollaender, gesungen v. Kate Kühl. Kurt Tucholsky, Chansons. Prosa. Briefe.
    "General! General!
    Wag es nur nicht noch einmal!
    Es schreien die Toten!
    Denk am die Roten!
    Sieh dich vor! Sieh dich vor!
    Hör den brausend dumpfen Chor!
    Wir rücken näher ran – Kanonenmann!
    Vom Grab – Schieb ab- !"

    So unbestechlich sein politisches Gespür, so wirr ist sein Gefühlsleben. Kurt Tucholsky kann sich Zeit seines Lebens für keine Frau endgültig entscheiden. Aber auch das weiß er künstlerisch auszuschlachten.

    "Ideal und Wirklichkeit", Olaf Bienert, gesungen v. Günter Pfitzmann. Kurt Tucholsky, Chansons. Prosa. Briefe.
    "In stiller Nacht und monogamen Betten,
    denkst du dir aus, was dir am Leben fehlt.
    Die Nerven knistern. Wenn wir das doch hätten,
    was uns, weil es nicht da ist, leise quält. "

    1924 geht Kurt Tucholsky als Korrespondent der Schaubühne, die mittlerweile in Weltbühne umbenannt wurde, nach Paris. Unablässig warnt er vor dem erstarkenden Nationalwahn in Deutschland. Für kurze Zeit übernimmt er die Leitung seiner Zeitschrift, aber das Tagesgeschäft ist seine Sache nicht, weshalb er die Herausgeberschaft 1927 an Carl von Ossietzky übergibt. Tucholsky, von den Entwicklungen in Deutschland entsetzt und gesundheitlich schwer angeschlagen, zieht sich nach Schweden zurück. Langwierige Atemwegserkrankungen, fünf Nasenoperationen und zermürbende Frauengeschichten verstärken seine Schwermut. In journalistischer oder literarischer Arbeit sieht er keinen Sinn mehr. In einem Brief an Walter Hasenclever zieht er 1933 eine bittere Bilanz.

    Brief an Walter Hasenclever, (gelesen v. Erich Schellow. Kurt Tucholsky, Chansons. Prosa. Briefe.
    "Ich werde nun langsam größenwahnsinnig - wenn ich zu lesen bekomme, wie ich Deutschland ruiniert habe. In zwanzig Jahren hat mich immer dasselbe geschmerzt: wie ich nicht einen Schutzmann von seinem Posten wegbekommen habe. Ich glaube nicht, daß Hitler kippt. Warum auch. Europa sieht, wie gelähmt, zu, wie der neue Krieg vorbereitet wird - die Kriegsindustrie hat zu tun, Herr Daladier ist taktvoll, das Foreign Office eiskalt. Und so kommen die drei Jahre zustande, die jener braucht, um loszulegen. "

    Kurze Zeit später wird Kurt Tucholsky ausgebürgert. Gequält von Schmerzen nimmt er regelmäßig Schlafmittel. Am 21. Dezember 1935 stirbt er. Ob sein Tod auf Medikamentenmissbrauch zurückzuführen ist, bleibt ungewiss.