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Markéta Pilátová: "Mit Bat'a im Dschungel"
Eine tschechische Legende

Vor den Nazis flüchtete der Schuhfabrikant Jan Bat'a aus der Tschechoslowakei, wegen der Kommunisten blieb er mit seiner Familie in der brasilianischen Emigration. Vom rastlosen Treiben des Großunternehmers und seinen an Größenwahn grenzenden Plänen erzählt nun ein Roman.

Von Beatrix Novy | 14.07.2020
Markéta Pilátová: "Mit Bat'a im Dschungel" Zu sehen ist die Autorin und das Buchcover
Markéta Pilátová über einen legendären Schuhfabrikanten des frühen 20. Jahrhunderts (Foto: privat / Cover: Wieser Verlag)
In den Zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts kannte jeder in Europa den leichten Leinenschuh mit der Kunststoffsohle. Ein Schuh für moderne Zeiten, bequem und erschwinglich. Von Inseratseiten und Blechreklamen winkte der schräge neusachliche Schriftzug: Bata. Aus dem ärmlichen Mähren war dieser Name nach dem Ersten Weltkrieg zu internationaler Bekanntheit aufgestiegen. Einer der vielen mährischen Schuster hatte ihn dahin gebracht: Tomas Bat'a. Das Städtchen Zlín, bis heute Kern seines Imperiums, war nicht nur ein nach fordistischen Prinzipien funktionierendes "Detroit der Schuhe", sondern eine cité industrielle, die alles vereinte: Wohnen, Arbeiten und Freizeit. Umgrünte Siedlungshäuser, Fabriken, Kino, Sport- und Bildungseinrichtungen, gebaut von bedeutenden Architekten der tschechischen Moderne, waren der Lohn strebsamer und soldatisch disziplinierter Bat'amanen. Tomas Bat'a hatte die junge tschechoslowakische Republik zur größten Schuh-Exportnation Europas gemacht. Trotzdem: In Markéta Pilátovás Buch "Mit Bat'a im Dschungel" spielt er nicht die Hauptrolle.
Tomás und Jan Bat'a: Zwei Über-Unternehmer
"Zuallererst sollt ihr wissen, dass es nicht nur einen Bat'a gab! Es ist mir wichtig, dass ihr die Dinge richtig einordnet und mich nicht mit meinem Halbbruder, dem Firmengründer Tomás Bat'a verwechselt, der schon vor mir da war."
So lässt die Autorin Jan Antonín Bat'a sprechen, den wesentlich jüngeren Halbbruder und Nachfolger von Tomas. Der verunglückte 1932 mit seinem Privatflugzeug, weil er es mal wieder zu eilig gehabt hatte. Jan Antonín war sein würdiger Nachfolger, noch eiliger, mit noch größeren Visionen. Doch seine Zeit war knapp bemessen. Vor den Nazis flüchtete er mit der Familie nach Brasilien, wegen der Kommunisten konnte er nach dem Krieg nicht zurück in die Heimat.
"Ich begann ein Jurastudium, denn ich suchte nach Gerechtigkeit. Gerechtigkeit für Großvater. Für unsere ganze Familie."
Jan Antoníns Enkelin Dolores: Sie war es, die ihre Besucherin Markéta Pilátová in Brasilien auf die Idee brachte, über das privilegiert-migrantische Soziotop der brasilianischen Bata-Familie zu schreiben, in der derzeit beliebten literarischen Form des kapitelweisen Perspektivwechsels. Ermutigt wohl durch die vielen persönlichen Dokumente, die sie im Haus der Enkelin studieren konnte, schlüpft Pilátová in die Häute der Personen, die ihr da begegnet waren, und lässt sie abwechselnd erzählen: den Geist des schon 1965 verstorbenen Jan Antonín, seine Tochter Ludmila, ihren serbischen Ehemann und die Tochter Dolores, einen tschechischen Arbeiter, einmal sogar eine Bata-Fabrik. Die Anverwandlung durch individuelle Sprechweisen gelingt wenig überzeugend: Jan Bat'as charakteristisch-mährisches "Nu" oder die forciert burschikose Sprechweise seines serbischen Schwiegersohns bleiben blasses Kolorit. Aber in diesen halbfiktiven Persönlichkeiten äußern sich der Geist der Zeit und des Kolonialismus, Verlust und Zerrissenheit der Emigration – und die ungebrochene Unternehmer-Energie des Jan Bat'a:
"Was ich für Brasilien plante, waren zehn Bat'a-Städte mit Schuh-, Gummi-, Gerb-, Textil-, Papier-, Chemie- und Holzverarbeitungsfabriken sowie Sägewerken und landwirtschaftlichen Betrieben, außerdem die Besiedlung bislang unbewohnter, industriell und landwirtschaftlich noch nicht erschlossener Gebiete."
Die Welt ist nicht genug
Hunderttausend Menschen leben heute in Batatuba, Bataibuna, Bataypora und weiteren Batavilles, selbst von Jan Bat'as Tochter als reizlose Rasterstädte beschrieben. Ihr Vater hatte das Werk seines Halbbruders schon in Zlín auf eine höhere Taktzahl gebracht: noch mehr internationale Expansion, nach Übersee, nach Nordafrika; und noch mehr Tempo.
"Das Tempo. Das schwindelerregende Tempo der Stadt."
seufzt Tochter Ludmila, die sich der Fragwürdigkeit dieser Ideale sehr bewusst ist. Ein Hauch von Herz der Finsternis weht aus manchen Sätzen in diesem Buch.
"Doch hier in Brasilien ließ sich diese Geschwindigkeit nicht aufrechterhalten... Die Hitze und der rote Staub, die Schwüle und die Stechmücken, alles in den Tropen widersetzte sich dem Zlíner Tempo oder verhöhnte es regelrecht."
Unberührt davon blieb eine Mentalität des herrenhaften Eroberertums, das feudalisierte Erbe der Technokratiebewegung, für die der Name Bat'a stand. Er verkörperte besonders die Ideologie grenzenloser Machbarkeit jenseits von Ideologien: "Weißer Sozialismus". Den 1. Mai hatte in Zlín der Unternehmer stets zusammen mit der Belegschaft gefeiert.
Technokratische Vision oder Größenwahn?
Jan Bat'a galt vielen als größenwahnsinnig. Aber seine Vision einer Umsiedlung möglichst des ganzen tschechischen Volks ins schöne Pagatonien – die er angeblich Hermann Göring unterbreitete – war auch nicht kühner als die damals vieldiskutierte Idee, das Mittelmeer auszutrocknen, um Ackerland zu gewinnen.
"Ja, Patagonien hätte den Böhmen, Slowaken und Mähren gehören können statt den ausgefuchsten Fritzen, die an allem schuld waren und am Ende einfach so davon kamen."
Vor den Fritzen, den Nazis, die später nach Brasilien abtauchten, waren die Bat'as nach kurzer Annäherung 1939 geflohen. Aber wenn sie die Wahl haben, ziehen Jan Bat'as großbürgerliche Romantöchter eine rechte Diktatur in Brasilien einer Linken vor. Und ihre Wahrnehmung der Landlosen beschränkt sich allein auf die Gefahr, die von diesen Allerärmsten ausgeht. Hier spricht wohl die leibhaftige Dolores, Pilátovás Kronzeugin – auch in ihrer naturgemäß parteiischen Sicht auf die jahrzehntelange Auseinandersetzung mit den nach Kanada emigrierten Nachkommen des Firmengründers Tomás Bat'a um das Firmenvermögen. Das ist Schnee von gestern. Aber die Geschichte der Bat'as und ihrer Epoche lohnt das Kennenlernen. In diesem Buch gibt es dazu eine Gelegenheit aus ungewöhnlicher Perspektive.
Markéta Pilátová: "Mit Bat'a im Dschungel"
In der Übersetzung aus dem Tschechischen von Sophie Marzolff
Wieser Verlag, Klagenfurt. 381 Seiten, 21 Euro.