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Marokko
Der Fall Omar Radi

In Marokko sitzt der Investigativjournalist Omar Radi wieder in Haft. Die Behörden werfen ihm unter anderem Spionage vor. Er selbst und andere Journalisten sprechen von einer Schmutzkampagne - und Rache: Ein Amnesty-Bericht über ihn hatte international für Schlagzeilen gesorgt.

Von Dunja Sadaqi |
In Haft, schon wieder. Der 33-jährige Marokkaner Omar Radi scheint ständig im Visier der marokkanischen Behörden zu sein. Denn der Investigativ-Journalist berichtet über Themen, die dem Regime so gar nicht passen: Korruption, die Verflechtung zwischen politischer Elite und Wirtschaftsbossen im Land - auch vor der Monarchie macht der Journalist nicht Halt. In der Vergangenheit wurde Radi schon mit einem Kollegen wegen "öffentlicher Trunkenheit und Gewalt" festgesetzt. Ein kritischer Twitter-Post sei ihm zum Verhängnis geworden, sagte er dem Rechercheverbund "Forbidden Stories".
"Ich habe einen Tweet abgesetzt über die Verurteilung eines Mitglieds der Protestbewegung Hirak und wurde daraufhin selbst zu vier Monaten Haft auf Bewährung verurteilt".
Seitdem, sagt er, laufe eine Kampagne gegen ihn. Ende Juni ging sein Name um die Welt, sorgte international für Schlagzeilen. Laut der Menschenrechtsorganisation Amnesty International soll Radis Handy von marokkanischen Behörden überwacht worden sein - mithilfe der israelischen Software "Pegasus". Er wurde daraufhin mehrfach von der Polizei verhört. Der Staat wirft ihm Spionage für andere Staaten vor. Radi spricht von "Rache" gegen ihn wegen des Amnesty-Berichts.
"Ich lebe in einem autoritären Polizeistaat. Sie wissen alles über mich. Sie haben alle meine Nachrichten, meine Fotos - mein ganzes Privatleben."
Kritiker sprechen von Schmutzkampagne
Jetzt sitzt Omar Radi wieder in Haft. Ende Juli wurde er festgenommen: Wieder werden ihm staatsgefährdende Tätigkeiten und Spionage vorgeworfen. Obendrauf gibt es Anschuldigungen wegen Vergewaltigung. Beides bestreitet Omar Radi und spricht von einer Aktion, die monatelang geplant gewesen sei. Sein Anwalt Miloud Kandil:
"Die Verhaftungen meines Klienten sind der Versuch des Staates, einen Weg zu finden, meinen Mandanten zu verurteilen und ins Gefängnis zu bringen. Es sind Angriffe auf die unabhängige Presse in Marokko."
Kampf gegen homophobe Propaganda im Netz
Wer sich in Afrika oder dem Mittleren Osten als homo- oder bisexuell outet, dem drohen Zwangsheirat, Vergewaltigung, Isolation oder gar die Todesstrafe. Trotzdem gibt es lebendige Communities, zu denen vor allem digitale Medien beitragen. Das geht nicht immer ohne Lebensgefahr.
Das sieht auch Omar Radis Kollege Soufiane Sbiti so. Er arbeitet wie Radi für das Nachrichtenportal Le Desk. Sbiti sagt, die Arbeit von unabhängigen Journalisten im Land werde immer schwieriger. Das Regime übe Druck auf sie aus, versuche, kritische Journalist*innen durch Schmutzkampagnen in der Bevölkerung zu diffamieren oder für vermeintliche Vergehen hinter Gittern zu bringen. Vor allem wegen Vergehen, die die konservative marokkanische Bevölkerung brüskieren könnten - wie Sex vor der Ehe, Vergewaltigung, Trunkenheit im öffentlichen Raum.
Soufiane Sbiti spricht von einer Schmutzkampagne gegen Omar Radi - gegen dessen Freunde und Familie, lanciert durch staatliche Medien. Auch private Daten und Bankinformationen würden veröffentlicht.
"Wir beobachten seit Anfang Juni eine Diffamierungs-Kampagne in bestimmten Onlinemedien. Omar war Thema in 15 Artikeln, die ihn diskreditieren, beleidigen und demütigen. Darüber hinaus gab es Videos, wo man Omar gefolgt ist, bis er verhaftet wurde. Das war Belästigung vor den Augen der Behörden, die nichts getan haben. Hier geht es um Aufwiegelung und Hass gegen einen Journalisten - und das ist gefährlich."
Wo es mit der Pressefreiheit bergauf geht
Die Organisation "Reporter ohne Grenzen" zeigt in ihrem aktuellen Ranking, dass sich die Lage für Journalisten in vielen Ländern verschlechtert hat. Auf der Liste finden sich aber auch einige positive Überraschungen. Besonders mehrere afrikanische Länder machen Hoffnung.
Ruf nach fairem Gerichtsverfahren
Die Journalisten-Organisation "Reporter ohne Grenzen" listet Marokko auf Platz 133 von 180 Ländern. Sie kritisiert, dass "Zum Einschüchterung-Repertoire des Staats (...) auch Anzeigen-Boykotte, Drohungen, untergeschobene Drogendelikte, Rufmord, Überfälle und Einbrüche" gehörten.
Auch Khadija Ryadi von der marokkanischen Menschenrechtsorganisation AMDH spricht von einem systematischen Vorgehen gegen kritische Journalist*innen im Königreich. Bislang habe Druck durch internationale Organisationen geholfen.
"Wir sagen nicht, es gab keine Vergewaltigung, wir sind kein Gericht. Das muss ein faires Gerichtsverfahren klären. Wir sagen nur: Es gibt zur Zeit keinen Grund, Omar Radi in Haft zu halten ohne Verurteilung - weder nach marokkanischem Recht, der Verfassung noch nach internationalem Recht. Es steht Aussage gegen Aussage. Selbst wenn er verurteilt wird, muss das in Freiheit passieren. Bei den Befragungen bei der Polizei war er immer präsent, hat keinen Termin verpasst. Er hat alle Garantien, er hat eine Adresse, eine Arbeit, er ist bekannt. Das heißt, Omar Radi ist derzeit illegal in Haft und muss freigelassen werden. "
Am 22. September soll der Prozess gegen Omar Radi beginnen. Bislang sieht es so aus, als ob er bis dahin in Haft bleiben wird.