Marokko: Sans Papiers und die Angst vor den Behörden

Ein einfacher Seminarraum in der Universität von Rabat. Hinten an der Wand sitzt Placide César und hört den Vorträgen von Menschenrechtlern zu, die sich mit dem Thema Migration beschäftigen. César ist 32 Jahre alt, stammt aus dem Kongo und hielt sich bis vor wenigen Wochen illegal in Marokko auf.

Von Rüdiger Maack |
    " Ich wurde hier eingeladen als Präsident des Rates der schwarzafrikanischen Emigranten in Marokko. Diesen Rat haben wir nach den Ereignissen in Ceuta und Melilla gegründet. Ich habe in den Lagern im Norden Marokkos einige Zeit verbracht. Auch ich war ein illegaler Einwanderer und habe im März 2005 Asyl beantragt. "

    Seit ein paar Wochen hat César offiziellen Flüchtlingsstatus und ist vom UNHCR anerkannt, dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen.

    Er darf sich jetzt zwar legal in Marokko aufhalten. Doch die marokkanischen Behörden verweigern ihm die Aufenthaltsgenehmigung. Seit den Ereignissen von Ceuta und Melilla sieht sich die Regierung mit immer mehr Asylgesuchen konfrontiert.
    Damals, im Herbst 2005, versuchten Tausende, über die Zäune und Gräben zu kommen, die die beiden spanischen Enklaven vor dem Ansturm schützen sollen. Wem es gelingt, nach Ceuta und Melilla hinein zu kommen, der hat es geschafft: Der ist in Europa. Doch der Herbst 2005 geriet zur Tragödie, als Grenzschützer mindestens 14 Menschen an den Zäunen von Ceuta und Melilla erschossen. Tausende wurden abgeschoben, von den marokkanischen Behörden einfach in der Wüste abgesetzt und ihrem Schicksal überlassen.

    " Am 16. September 2005, einem Freitag, bin ich in Rabat angekommen und in dieser Nacht wurden Razzien in zwei Stadtvierteln durchgeführt. Da sind sogar Asylbewerber und Flüchtlinge verhaftet und in die Wüste deportiert worden. Das war zuviel, da hatten wir genug. Da haben wir beschlossen, uns zu organisieren, damit wir unsere Rechte geltend machen können. "

    Illegale und Asylbewerber - aus ihnen setzt sich der Rat zusammen. Sie versuchen, sich unter den misstrauischen Augen der Behörden zu organisieren.

    " Am Anfang haben wir uns immer in einem Café getroffen, aber wenn 5 oder 6 Schwarzafrikaner in einem Café zusammensitzen, dann fällt das der Polizei schon auf. Deshalb mussten wir dazu übergegangen, uns in Hinterzimmern zu treffen. "

    Die Vorsicht ist nicht unbegründet - die marokkanische Polizei ist überall. Und ihre Spitzel sind allgegenwärtig. Die Angst ist groß bei all jenen, die in die Städte zogen, nachdem die Sicherheitskräfte die Lager in den Wäldern rund um Ceuta und Melilla aufgelöst hatten. Damals wurden auch die Organisationsstrukturen zerschlagen, die sich im Laufe der Zeit dort herausgebildet hatten.

    " In unserer kongolesischen Gruppe hatten wir einen Vorsitzenden, seinen ersten Vertreter und den zweiten Vertreter, die beide auch disziplinarische Aufgaben übernommen hatten. Die insgesamt fünf Mitglieder dieses Rates bildeten die so genannte Regierung. Es gab einen Etatkommissar und eine Gruppe, die alle Neuankömmlinge empfangen und ihnen zum Beispiel gezeigt hat, wo sie übernachten könnten. Das war eine ziemlich gut entwickelte Organisation - mit einem Parlament, das die Regierung kontrolliert hat, damit die nicht machen konnte, was sie wollte. Die Parlamentarier waren Leute, die ohne Geld angekommen waren, und die für den Rest der Gemeinschaft arbeiteten, um sich auf diese Weise die Überfahrt über das Mittelmeer zu verdienen. Andere hatten genügend Geld und konnten die Überfahrt bezahlen. "

    Einen Teil des Geldes, das für die Überfahrt bestimmt war, hielt die Gemeinschaft zurück. Der so genannte Chairman, der für die Auswahl der Passagiere zuständig war und Kontakt zu den Schleppern hielt, konnte auf diese Weise ausbezahlt werden. Wenn er sich selbst auf den Weg über das Mittelmeer gemacht hatte, übernahm der zweite Chairman seine Position.

    " Die meisten meiner afrikanischen Brüder haben nur eine Idee im Kopf: Eines Tages Marokko zu verlassen und nach Europa zu gehen. Das ist ganz sicher, da sollte man sich keine Illusionen machen. Wenn man heute die Türen öffnen würde, bliebe nicht ein einziger Schwarzer in Marokko zurück. Aber mit der Situation, wie sie jetzt herrscht, sitzen wir hier fest, und immer mehr beantragen Asyl. "

    Auch Frank setzt jetzt alle Hoffnungen auf das Asylverfahren. Frank ist Landsmann von César - er kommt auch aus dem Kongo und hofft, dass er als Flüchtling anerkannt wird, damit er wenigstens nicht mehr abgeschoben werden kann. Jetzt lebt er mit 5 anderen Illegalen in einem einzigen kleinen Zimmer. Er hat kein Geld, keinen Job und keinerlei Aussicht, dass sich daran etwas ändert.

    " Es gibt Tage, da haben wir gar nichts zu essen. Es gibt Tage, an denen stehen uns noch nicht einmal 5 Cent zur Verfügung. Da gibt es nichts, nichts, nichts. "

    Frank hat sich vor einem Jahr auf den Weg gemacht. Er hat seine Frau und ein Kind in Kinshasa zurückgelassen, um nach Europa zu gehen.

    " Ich habe sie nicht im Stich gelassen. Ich bin auf der Suche nach einem besseren Leben für uns alle, nicht nur für mich selbst. Zuhause schlagen sie sich irgendwie durch, ich weiß nicht wie, aber sie schaffen es. Meine Mutter sagt mir, es gehe ihnen gut und ich solle für sie beten. "

    Europa ist für Frank das Paradies. Er glaubt immer noch fest daran.

    " Irgendetwas sagt mir: Behalte Deine Hoffnung! Das wird schon gehen. Es gibt andere Tage, da wache ich morgens auf und in meinem Kopf geht es rund. Aber dann bin ich mit den anderen zusammen, wir sprechen miteinander, und dann geht es schon wieder. "

    Frank kann das Meer schon sehen. 200 Kilometer weiter liegt Europa. Er ist kurz vor dem Ziel und doch noch weit davon entfernt. Manchmal kommen ihm Zweifel, ob er nicht doch wieder umkehren und zu seiner Familie zurückkehren soll.

    " Das.... ist eine Entscheidungsfrage, nicht wahr? ...... Rechts oder links?.... Nein, nein. Ich bin gegangen und jetzt muss ich diesen Weg bis zu Ende gehen. Ich kann nicht mit leeren Händen zu meiner Mutter zurückkehren. Wie sollte ich das meiner Mutter erklären? Was sollte ich denn meinem Kind sagen? Ich bin ein Mann, trotz alledem. "

    Placide César, der Präsident des Rates der schwarzafrikanischen Emigranten in Marokko, sitzt im Seminarraum und hört der Diskussion zu. Seit er den Mund aufmacht und öffentlich über die Situation der Migranten spricht, hat er sich viele Feinde gemacht. Er hat Angst. Schon einmal, sagt er, sei er von Soldaten entführt, misshandelt und gefoltert worden.

    " Es gibt keinen wirklich sicheren Ort für mich. Wenn ich ausgehe, sage ich mindestens zwei, drei Personen vorher Bescheid, wohin ich gehe. Wenn ich eine Verabredung habe, muss ich die Person kennen, sonst gehe ich nicht hin. Ich habe sogar schon Morddrohungen per E-Mail bekommen. "