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Marokko und die Flüchtlingskrise
Spaniens Grenzwächter

Marokko liegt nur wenige Kilometer von Spanien entfernt. Viele Millionen Euro bekommt das Land im Nordwesten Afrikas von der EU, um illegale Migranten von der Ausreise Richtung Europa abzuhalten. Die Zahl der Migranten ist deshalb stark gesunken. Doch Spanien hat bereits einen Vorgeschmack darauf bekommen, was passiert, wenn Marokko nicht mehr mitzieht.

Von Marc Dugge | 14.04.2016
    Syrische Migranten warten in der spanischen Exklave Melilla auf ihre Ausreise ins spanische Malaga.
    Syrische Migranten warten in der spanischen Exklave Melilla auf ihre Ausreise nach Spanien. (AFP / Fadel Senna )
    Wer Adolfo Serrano besuchen will, muss gute Reifen haben. Ein Schotterweg führt zu seinem Büro. Es liegt auf einem Hügel außerhalb von Tarifa, der kleinen Stadt auf dem Südzipfel der spanischen Halbinsel. Adolfo Serrano leitet hier die Seenotrettung. Durch sein Panorama-Fenster hat er einen weiten Blick auf die Straße von Gibraltar:
    "Wir sind ganz nah an Marokko. Die kürzeste Distanz beträgt hier 14 Kilometer. An Tagen mit guter Sicht kann man den Leuten auf der anderen Seite quasi ins Haus gucken."
    Eine Nähe, die trügerisch ist. Und verführerisch. Immer wieder wagen Migranten die gefährliche Überfahrt. Wenn sie in Seenot geraten, können sie von Glück sagen, wenn sie überhaupt auf dem Radarschirm der Seenotrettung auftauchen. Mehr als 500 Mal ist das Team von Alfonso Serrano im vergangenen Jahr ausgerückt und hat über 4.000 Menschen in Seenot gerettet. In einem Drittel aller Fälle waren illegale Migranten betroffen. Das sind viele, wenn auch deutlich weniger als früher.
    Spanien preist die Zusammenarbeit mit Marokko in höchsten Tönen
    Genau wie der Zaun der spanischen Exklave Melilla ist auch die Straße von Gibraltar unüberwindlicher denn je. Dafür sorgen Patrouillen der europäischen Grenzschutzbehörde Frontex, aber vor allem auch marokkanische Sicherheitskräfte. Marokko bekommt von der Europäischen Union viele Millionen Euro dafür, illegale Migranten von der Ausreise in die EU abzuhalten. Mit Sicherheitskräften und modernster Grenzschutztechnologie. Deswegen wagen es nur noch wenige Migranten, in Marokko ins Boot zu steigen. Spaniens Innenminister Jorge Fernando Díaz preist die Zusammenarbeit mit Marokko in höchsten Tönen:
    "Für Spanien ist Marokko von strategischer Wichtigkeit. Viel ist dieser Tage die Rede von Lampedusa und Lesbos, vom zentralen und dem östlichen Mittelmeer. Keiner spricht vom westlichen Mittelmeer. Weil es nicht Teil des Problems ist, sondern der Lösung. Aber das gibt es nicht umsonst. Sondern weil wir verantwortungsvoll, professionell und engagiert unsere Arbeit machen."
    Die enge Zusammenarbeit mit Marokko sei dieser Tage ein Exportmodell, so der spanische Autor und Maghreb-Experte Ignacio Cembrero:
    "Dieses Konzept der Zusammenarbeit, wie es zwischen Spanien und Marokko existiert, wendet die Europäische Union jetzt auch in der Türkei an. Auch hier hat sie es zum Teil dem Partner überlassen, die EU-Außengrenze zu schützen. Das funktioniert mit Marokko ziemlich gut."
    Aber ein Abkommen ist noch lange keine Garantie dafür, dass Marokko die Grenze auch wirklich dicht hält. Am 14. August 2014 bekommt Tarifa eine Ahnung davon, was es bedeutet, wenn Marokko nicht mitzieht.
    Gut 1.200 Migranten kommen hier innerhalb von 36 Stunden im Hafen an. Die Afrikaner hatten sich in Gummibooten in Marokko auf den Weg gemacht. Bis sie die Seenotrettung von Tarifa aus dem Wasser fischte. Helena Maleno vom Hilfs-Netzwerk "Caminando Fronteras" sagt damals dem Fernsehsender Antena 3:
    "Wir sind sehr überrascht. Die Menschen gingen zum Wasser und haben beobachtet, dass es keinerlei Kontrolle durch die marokkanischen Behörden gab. Nicht an der Küste und auch nicht im Wasser. Sie haben sich also organisiert, Schwimmwesten gekauft und sich ins Wasser begeben."
    Europa ist bereit, einen hohen Preis für geschlossene Grenzen zu zahlen
    Auch in der spanischen Exklave Melilla ist es Migranten schon öfter gelungen, die Grenzanlagen zu überwinden. Weil die marokkanischen Grenzwächter Medienberichten zufolge bewusst wegsahen. Warum, darüber wird bei jedem Fall neu spekuliert. Wie auch beim Fall von Tarifa. Kurz zuvor hatte sich Marokkos König sehr über Spanien geärgert. Weil spanische Polizisten seine Yacht auf dem Meer anhielten, um sie zu durchsuchen. Presseberichten zufolge erkannten sie den König erst, als der wutentbrannt Mütze und Sonnenbrille abnahm. Mohammed VI. beschwerte sich daraufhin beim spanischen König Felipe. Einige Tage später kamen die mehr als 1.000 Migranten in Tarifa an. Ein Zusammenhang? Vielleicht. Adolfo Serrano von der örtlichen Seenotrettung:
    "Wenn Du hier viele Jahre arbeitest, dann weißt Du, dass vieles auf die Migration Einfluss hat. Eine Rolle spielt immer auch die internationale politische Lage, die Beziehungen zwischen dem Herkunftsland der Migranten und dem Zielland. So kann natürlich auch die Lage auf dem Balkan oder in der Türkei hier ihren Widerhall finden. Mit der Zeit erkennt man Muster: Dies und jenes ist passiert, also haben wir mehr Migranten. Passiert dies und jenes, haben wir weniger."
    Möglich, dass Adolfo Serranos Team künftig wieder mehr Migranten aus dem Wasser fischen muss. Denn wenn die Balkanroute sich schließt, werden Migranten und Schleuser andere Wege suchen, nach Europa zu kommen. Marokko hat bisher die Grenze meist dichtgehalten. Aber das Beispiel Türkei zeigt, welch hohen Preis Europa bereit ist, für geschlossene Grenzen zu zahlen. Wirtschaftlich wie politisch. Das wird auch in Rabat nicht unbemerkt geblieben sein.