Dienstag, 19. März 2024

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Martin Becker: "Warten auf Kafka"
Geschichten über die tschechische Seele

Der falsche Kafka in der richtigen Bar. Das Traumcafé der verstorbenen Literaten in einem unscheinbaren Gässchen Prags. In der Kneipe beim Bier mit Bohumil Hrabal und Jaroslav Hašek. Martin Becker erzählt in seinem neuen Buch anrührende Geschichten über die tschechische Seele voller Humor und Melancholie.

Von Angela Gutzeit | 07.03.2019
Buchcover: Martin Becker: „Warten auf Kafka. Eine literarische Seelenkunde Tschechiens“
Kneipengespräche in Prag als Stoff für die Poesie (Buchcover: Luchterhand Verlag, Foto: picture alliance/Michael Heitmann dpa)
Tschechien ist in diesem Jahr Gastland der Leipziger Buchmesse. Rund 70 tschechische Buchtitel sind aus diesem Anlass neu ins Deutsche übertragen worden. Fremd sind sich die Literaturen der beiden Länder sowieso keineswegs. Es gibt eine lange Tradition des wechselseitigen Austausches. Man denke nur an Franz Kafka, Franz Werfel oder Rainer Maria Rilke, die als deutschsprachige Autoren aus Prag stammen.
Oder an Autoren wie Pavel Kohout oder Ota Filip, die während der kommunistischen Ära nach Deutschland oder Österreich ins Exil gingen. Einer, den es heutzutage immer wieder nach Prag zieht, ist der deutsche Schriftsteller und Journalist Martin Becker. Zusammen mit dem tschechischen Autor Jaroslav Rudiš verfasste Becker das vielbeachtete Hörspiel "Lost in Praha" und die Oper "Exit 89".
Die Kneipe als heiliger Ort
Nun legte er kurz vor der Messe sein neues Buch "Warten auf Kafka. Eine literarische Seelenkunde Tschechiens" vor, ein Buch, in dem die Kneipe als "heiliger Ort", als Inspirationsquelle ersten Ranges eine gewichtige Rolle spielt. Im Gespräch mit Angela Gutzeit verweist Becker auf die lange Traditon der Kneipenkultur in Tschechien und auf das reiche Reservoir an Geschichten, aus dem er für sein Buch schöpfen konnte.
"Warten auf Kafka" ist ein Buch, das mit dem Schwejk'schen Humor und der Hrabal'schen Melancholie spielt. Vielleicht sei der Schweijk'sche Humor mittlerweile zum Klischee geronnen, so Becker. Aber die Hrabal'sche Melancholie, "die ist tatsächlich noch sehr, sehr präsent hier und dort!" Für ihn sei es spannend gewesen zu beobachten, was "dieses Prag eigentlich mit meiner Seele" gemacht hat und was man im Zuge dessen auch über die Seele dieses Landes erfahren könne. Sie zeigt sich in zahlreichen Geschichten wie auch Schriftsteller-Portraits, die in "Warten auf Kafka" zu finden sind.
Die junge Generation
Darin spiegelt sich nicht selten die teilweise tragische Geschichte der Tschechen. Die Schriftstellerin Lenka Reinerová ist dafür ein Beispiel. Ihr Leben auf der Flucht vor Nationalsozialismus und Kommunismus bezeichnet Becker "als exemplarisch für dieses kleine, immer wieder von allen Seiten ja letztendlich in die Zange genommenen Landes".
Die junge Schriftsteller-Generation distanziere sich einerseits heute "völlig zu Recht" von dieser Vergangenheit "Aber manche ganz einfachen Dinge tragen sich aus der Vergangenheit einfach weiter", so Martin Becker. "Ganz viele Geschichten spielen tatsächlich immer noch in der Kneipe!"
Martin Becker: "Warten auf Kafka. Eine literarische Seelenkunde Tschechiens"
Luchterhand Verlag, München. 222 Seiten, 16 Euro.