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Martin Buber
Ein unbequemer religiöser Denker

Martin Buber ist einer der wichtigsten jüdischen Denker des 20. Jahrhunderts. Er inspirierte vor allem Christen und bemühte sich angesichts des grassierenden und vernichtungswütigen Antisemitismus um einen interreligiösen Dialog. Der Tübinger Theologie-Professor Karl-Josef Kuschel widmet ihm ein Buch.

Von Hans-Martin Schönherr-Mann | 15.06.2015
    Martin Buber vermied es nicht nur, in die Synagoge zu gehen oder Gebetsräume aufzusuchen, als wenn ihn diese Öffentlichkeit am Gespräch mit Gott hindern würde. Vor allem kritisierte er die jüdische Gesetzesfrömmigkeit, sehen sich Juden mit einer Vielzahl religiöser Vorschriften konfrontiert. Doch das betrachtet Buber nicht als religiösen Kern des Judentums. Karl-Josef Kuschel skizziert Martin Bubers Theologie folgendermaßen:
    "Buber unterscheidet an einer Stelle mal sehr schön zwischen der Lehre des Judentums, das sei eine mosaische, also von Moses ausgehende Größe, und der Seele des Judentums. Und das sei von Abraham her geprägt, von Jakob her geprägt. Damit will er sagen, er lehnt die Lehre des Judentums nicht ab. Aber innerlich entscheidend für die Frömmigkeit eines Juden, für die Spiritualität eines Juden sind Figuren wie Abraham und Jakob, Abraham, der Wanderer, der immer wieder neue Aufbrüche macht, der Gott als den Unverfügbaren erlebt; und Jakob, der der Gotteskämpfer ist, der geschlagen aus dem Kampf mit Gott hervorgeht. (...) für ihn ist die Gesetzesfrömmigkeit(...) so etwas wie eine Vermittlungsinstanz, an der Menschen sich festhalten können, mit der sie allerdings Gott verdinglichen, Gott verzwecken können."
    Buber sucht die unmittelbare Beziehung zu Gott, die er als ein Verhältnis von "Ich und Du" umschreibt, so auch der Titel seines berühmten Werkes aus dem Jahr 1923, mit dem er längst nicht nur den Moralphilosophen Emmanuel Lévinas und die politische Theoretikerin Hannah Arendt beeinflusst. Denn diese Art einer Begegnung mit Gott überträgt er auf die zwischenmenschlichen Beziehungen, die sich einem Zwischenraum verdanken, der dem Menschen nicht zur Verfügung steht, der aber gerade deshalb das Menschsein ausmacht. Man muss sich in der Begegnung dem Anderen gegenüber öffnen und sich auf ein Gespräch einlassen, das die Begegnenden in ihren Bann zieht. So grenzt Karl-Josef Kuschel Bubers Ich-Du-Beziehung von der Weise ab, wie Menschen mit Dingen umgehen:
    "Auf der einen Seite die Ich-Du-Beziehung und auf der anderen Seite die Ich-Es-Beziehung. (...)Ich benutze etwas, um etwas zu erreichen. Ich benutze auch Menschen, um etwas zu erreichen. Das ist diese Ich-Es-Relation, die Buber als eine entfremdete beschreibt. (...) Davon unterscheidet er grundsätzlich die Ich-Du-Relation und hat entdeckt, dass diese Relation einen Raum offenlässt, (...) des Nichtverzweckten, des Nichtverdinglichten. Er nennt das den Raum des Zwischen. Und wer jemals eine tiefe Begegnung, eine wirkliche Begegnung wie Buber sagt, erlebt hat mit einem Menschen, (...) erlebt sich ganz neu, von aufgeschlossener Person zu aufgeschlossener Person, wie Buber sich ausdrückt, da entsteht Dialog, Dialog aus der Begegnung heraus. (...) Dialog ist für Buber im tiefsten zur Seele, zum Herzen des Anderen, des Gegenüber vordringen.
    Wenn man sich in der Begegnung auf diese Ich-Du-Beziehung einlässt, dann will man den anderen nicht von den eigenen Vorstellungen überzeugen, will man ihn nicht bekehren - Buber war ein scharfer Gegner des Missionierens. Vielmehr erlebt man den Anderen in seiner Andersheit, die es eben nicht schlicht anzugleichen, sondern zu verstehen gilt. Diese Andersheit des Anderen wird Emmanuel Lévinas zur Grundlage der Ethik erklären und damit die Verantwortung begründen. Buber erweitert mit der Andersheit des Anderen vor allem das Gebot religiöser Toleranz, wie Kuschel erläutert:
    "Die Andersheit des Anderen ist für Buber die entscheidende Erkenntnis aus der Ich-Du-Philosophie. Gerade weil eben der andere nicht verzweckt in der Es-Welt verbleiben soll, also in der verdinglichten Welt, in der Funktionswelt, gerade dadurch entsteht ja ein Bewusstsein davon, dass das Gegenüber in seiner Andersheit nicht nur zu respektieren und zu tolerieren, sondern zu schätzen ist. (...) Alles menschliche Leben ist das Gegenüberstehen, sagt Buber. Und das ist ein wechselseitiges Geschehen."
    Mit der Andersheit des Anderen entsteht ein pluralistisches Konzept der Gesellschaft, das sich gegen Anpassung- und Homogenisierungsbestrebungen richtet, die ja in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts die nationalstaatliche Realität bis hin zum Nazi-Terror prägten. Damit fordert Buber indes nicht nur die Politik, sondern auch das Judentum heraus. Denn aus der Bibel leitet er nicht nur die Frömmigkeit ab, sondern auch politische Ansprüche. Im Unterschied auch zum Christentum, das sich primär auf ein jenseitiges Heil ausrichtet, geht es Bubers jüdischem Glauben um die politische und soziale Gestaltung der Gesellschaft, also um politisches Handeln, das auf Gerechtigkeit abzielt. Kuschel erklärt das folgendermaßen:
    "Buber benutzt selber das Wort Theopolitik. Das kann man nur verstehen, wenn man weiß, was er unter Israel versteht, also das Volk Israel. Israel ist für ihn keine spirituelle Größe, sondern zunächst einmal eine kollektive Größe. Es geht um ein Volk, das einen Auftrag hat, das einen göttlichen Auftrag hat, ja das sogar in einer Bundesbeziehung steht zu Gott. Und dieser Auftrag besteht darin, Gottes Wille auf Erden zu verwirklichen. Buber geht ja so weit, dass er von einer Verwirklichung Gottes auf Erden spricht. Die Thora gibt klare Anweisung, wofür und in welcher Ordnung das Volk Israel leben soll. Deshalb spricht schon das Alte Testament vom Reich Gottes, vom Königtum Gottes. Gemeint ist also, dass Gottes Wille auf Erden umgesetzt werden soll."
    In seinem Buch "Das Königtum Gottes" aus dem Jahr 1932 fordert Buber, dass die Politik nicht vom staatlichen Machthaber geprägt werden darf, gar einem Monarchen, der seine Interessen durchsetzt, dass vielmehr die Leitlinie der Politik der Wille Gottes sei. Das klingt heute zunächst wenig säkular und demokratisch, trennt der Liberalismus schließlich die Politik von der Religion, der damit ein Ort in der Privatsphäre zugeteilt wird. Auch die heutigen Erfahrungen mit religiös inspirierter Politik sind eher negativ. Wie soll dabei religiöse Toleranz erhalten bleiben? Buber ist aber auch ein Kritiker des Kapitalismus, weil dieser die zwischenmenschlichen Beziehungen ungerecht gestaltet. Und dass Bubers theopolitisches Konzept undemokratisch sei, dem widerspricht Karl-Josef Kuschel:
    "Das ist zutiefst demokratisch nach Bubers Verständnis. Denn alle irdischen Machthaber werden von dieser Konzeption relativiert. Es ist eine theokratisch begründete Sozialordnung, die durch das Volk demokratisch umgesetzt werden soll. (...) Dann dürfen wir nicht vergessen, Buber stand ja sehr stark dem religiösen Sozialismus nahe, also diesen Gruppen. Einer seiner engsten Freunde, die er begleitet hat und deren Nachlassverwalter er war, war Gustav Landauer. Seine Schrift ‚Pfade in Utopia' 1947 begründet das auch alles theoretisch. Ihm stand gewissermaßen als Siedlungswerk einer neuen Sozialordnung in Palästina diese genossenschaftlich organisierte Kibbuz-Bewegung vor Augen."
    Der Anarchist Gustav Landauer spielte in der Münchner Räterepublik eine führende Rolle und wurde nach deren Niederschlagung am 2. Mai 1919 im Gefängnis München-Stadelheim ermordet. Buber suchte zudem gerade den Dialog mit anderen Religionen, nicht nur mit den Christen, sondern beispielsweise auch mit dem Hinduismus, kommunizierte er mit Mahatma Gandhi. So offen er sich gegenüber dem Christentum zeigte, bequem ist gerade seine Interpretation von Jesus von Nazareth für Christen nicht. Das führt Karl-Josef Kuschel in seinem Buch über Buber vor, das sich primär mit seinem Denken und nur en passant mit seinem Leben auseinandersetzt:
    "Er sagt ja selber in einer späten Schrift von 1950 ‚Zwei Glaubensweisen', Jesus habe er stets als seinen großen Bruder betrachtet und ihn auch als solchen verehrt, auch zu verstehen gesucht. (...) dieser Glauben an Jesus als Erlöser, als Gottessohn, als Messias blieb ihm als Juden deshalb fremd, weil er der Überzeugung war, das hätte Jesus nicht verstanden und auch nicht gewollt. Jesus hat das Reich Gottes verkündet, im ganz jüdischen Geist, im Geiste der jüdischen Propheten. Er hat eine unmittelbare Beziehung zu Gott dem Vater, er hat sich nicht selber als Messias und Gottessohn ins Zentrum seiner Verkündigung gesetzt, sondern er wollte das Reich Gottes ankündigen und natürlich auch verwirklichen."
    Als Jude kann Buber Jesus nicht wie die Christen als Messias betrachten. Für das Judentum endet nämlich mit der Ankunft des Messias die Geschichte, sodass der Messias noch nicht da gewesen sein kann. Die Christen warten zwar auch auf das Gottesreich. Für sie ist der Messias aber bereits einmal auf Erden erschienen und wieder weggegangen, sodass sie seine Wiederkehr erwarten. Jesus ist daher für Buber schlicht ein Jude und kein Christ, beziehungsweise nicht der Christus als Erlöser und Gottessohn. Für Buber beginnt das Christentum auch erst mit Paulus, war das Urchristentum noch jüdisch, gerade nicht christlich: eine für Christen ebenfalls unbequeme Position.
    Gegenüber seinem zeitgenössischen Judentum war er indes gleichfalls unbequem. Zusammen mit dem jüdischen Philosophen Franz Rosenzweig begann er in den 20er-Jahren eine neue Übersetzung der jüdischen Bibel ins Deutsche, ein Projekt, das er erst gegen Ende seines Lebens vollenden wird. Den Zweck, den er damit verfolgte, erläutert Kuschel folgendermaßen:
    "Er hatte zwei Gründe, die Bibel neu zu verdeutschen. (...) Das eine ist im Blick auf eine Christenheit, die im Grunde das alttestamentliche Erbe abgespalten hat. (...) er wollte damit den christlichen Kirchen gegenüber ein Signal setzen, ihren eigenen Antijudaismus zu durchschauen. (...) Und genauso wichtig war ein zweites Motiv: Er hat es ja mit einer Judenheit in Deutschland zu tun nach dem Ersten Weltkrieg, die weitgehend assimiliert war, das heißt sich völlig ein- und angepasst hat in die deutsch christliche Mehrheitsgesellschaft und damit ihre eigenen jüdischen Traditionen, auch biblischen Traditionen gekappt hat. Man sprach kein Hebräisch mehr, man sprach nur noch Deutsch. (...) Und nun erfindet Buber eine deutsche Sprache, mit deren Hilfe er versucht, das hebräische Original noch durchsichtig zu machen. Das ist ja ein ungemein kühnes, fast tollkühnes Unternehmen, (...) über die deutsche Sprache das hebräische Original noch hörbar, noch fühlbar zu machen. Das war sein Interesse, um natürlich dieser deutschen assimilierten, israelvergessenen Judenheit die Botschaft zu vermitteln: Lerne Hebräisch!
    Unbequem ist auch seine Haltung gegenüber dem Holocaust. Während jüdische Philosophen wie Hans Jonas nach Auschwitz Gott für nicht allmächtig erklären, der nicht eingriff, weil er nicht konnte, hält Martin Buber am jüdischen Bund mit Gott fest und beschränkt auch Gottes Eigenschaften nicht. Denn, so erläutert Karl-Josef Kuschel Bubers Position:
    "Der Bund ist nicht gekündigt und trotz allem was Israel erfahren hat, steht Gott zu seinem Bund. (...) Buber formuliert (...) ein fast trotziges, ein kontrafaktisches Dennoch. Denn er wusste, wenn ich als Jude aufgrund der Schoah die Beziehung zu Gott kappe, abschneide, weil ich diese Art der Gottesbeziehung nach der Schoah überhaupt nicht mehr realisieren kann, dann betreibe ich die Arbeit der Schergen, der Nazischergen, die uns genau das prophezeit haben, nämlich dass Israel zugrunde gehen wird und zugrunde gehen muss, kein nachträglicher Sieg für Hitler (...) ein Gottvertrauen angesichts der Schoah, das war einer der Versuche Martin Bubers, mit diesem Ereignis geistig fertig zu werden.