Dienstag, 14. Mai 2024

Archiv

Martin Kaiser, Greenpeace
Grundlagen schaffen für eine Zeit nach der Braunkohle

Was passiert mit den Beschäftigten, wenn Deutschland aus der Braunkohle aussteigt? Länder und Bund müssten jetzt "Unternehmen unterstützen, die alternative und zukunftsfähige Arbeitsplätze bieten", sagte Martin Kaiser im Dlf - er sitzt für Greenpeace Deutschland in der Kohlekommission.

Martin Kaiser im Gespräch mit Stefan Römermann | 24.10.2018
    Mehrere tausend Menschen demonstrieren für den Erhalt der Braunkohleförderung.
    Tausende fürchten wegen des diskutierten Ausstiegs aus der Braunkohle um ihre Jobs. Wie viele genau betroffen wären, wird noch debattiert. (dpa/ Henning Kaiser)
    Stefan Römermann: Vor zwei Wochen, da waren die Mitglieder der Kohlekommission quasi auf Betriebsausflug in der Lausitz. Heute tagen sie in Bergheim bei Köln im rheinischen Braunkohlerevier. Dort wurden sie von tausenden Demonstranten empfangen, die für den Erhalt ihrer Arbeitsplätze kämpfen. Vor der Sendung habe ich darüber mit Martin Kaiser gesprochen. Er sitzt für Greenpeace Deutschland in der Kohlekommission. Ihn habe ich gefragt, was solche Ausflüge denn überhaupt bringen sollen.
    Martin Kaiser: Ja, es ist schon wichtig für uns in der Kohlekommission, einen Eindruck zu bekommen von den betroffenen Regionen, die jetzt noch von der Kohle abhängig sind, aber andererseits auch Zukunftschancen in erneuerbaren Energien und innovativen Technologien sehen. Davon einen Eindruck zu bekommen, von beiden Seiten, das ist schon extrem wichtig dann auch für uns, in der Kommission einen Konsens zu verhandeln.
    Perspektiven in anderen Unternehmen geben
    Römermann: Hat denn beispielsweise der Besuch in der Lausitz Ihre Meinung in bestimmten Dingen geändert?
    Kaiser: Ich glaube, die Betroffenheit der Menschen ist noch mal sehr viel deutlicher geworden. Gerade die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Braunkohle sind natürlich sehr stark davon betroffen, von den Diskussionen, und ich glaube, es ist große Aufgabe, gesellschaftliche Aufgabe auch, diesen Menschen eine Perspektive zu geben mit neuen Arbeitsplätzen, gut bezahlt, und in innovativen Technologien.
    Römermann: Nun rechnet die Gewerkschaft IG BCE vor, dass an der Kohleverstromung in Deutschland rund 100.000 Jobs hängen. Auf der anderen Seite sagen Klimaschützer, eigentlich sollten wir lieber gestern als morgen aus der Kohleverstromung aussteigen. Wie kann denn da überhaupt ein Kompromiss aussehen?
    Kaiser: Die Umweltorganisationen und wir von Greenpeace sagen ja, dass wir schrittweise aussteigen müssen bis 2030. Das heißt, es ist wirklich zwölf Jahre Zeit. Wenn man sich mal die Altersstruktur der direkt in der Braunkohle Beschäftigten anguckt – das sind etwa 20.000, 10.000 im Westen, 10.000 im Osten –, dann ist es auch so: Da sind dann noch ein paar tausend Arbeitsplätze übrig 2030. Und wenn man jetzt frühzeitig anfängt, diesen Menschen eine Perspektive in anderen Unternehmen zu bieten, dass das eine lösbare Aufgabe ist.
    "Die Zahlen werden hochgepusht"
    Römermann: Die 100.000 Jobs, von denen die Gewerkschaft da redet, das ist nicht ganz lauter?
    Kaiser: Die Zahlen werden hochgepusht – aus dem Grund, dass natürlich die energieintensiven Industrien weiterhin sehr günstige Preise haben wollen, ohne etwas für den Klimaschutz zu tun, und die mobilisieren dahinter und sagen, dass mit dem Ausstieg aus der Braunkohle auch der Ausstieg aus den energieintensiven Industrien erfolgt, was überhaupt nicht Thema der Kohlekommission ist.
    Römermann: Was könnte denn aus Sicht von Greenpeace tatsächlich für die Beschäftigten in den Kohleregionen getan werden?
    Kaiser: Ich glaube, es ist wichtig, dass die Bundesländer jetzt gemeinsam mit dem Bund Strukturwandel-Maßnahmen einleiten und vor allem Unternehmen unterstützen, die alternative und zukunftsfähige Arbeitsplätze bieten für Menschen, die bisher in der Braunkohle-Wirtschaft da sind. Das ist das große Thema auch der Kohlekommission, dafür neue Ideen und neue Akteure mit an den Tisch zu bekommen.
    Bund und Länder sollen Strukturentwicklung ankurbeln
    Römermann: Es wird ja nicht jeder Braunkohlekumpel Windkraftwerke und Solaranlagen warten können.
    Kaiser: Das ist vollkommen richtig. Das funktioniert ja auch nicht eins zu eins. Aber es ist wichtig, dass in den Regionen und hier vor allem dann auch hier im Westen, natürlich aber auch in der Lausitz im Osten erst mal überhaupt die Strukturentwicklung so angekurbelt wird, dass alternative Arbeitsplätze dann auch entstehen. Das wird am Ende des Tages nur möglich sein, wenn der Bund am Ende des Tages auch Geld auf den Tisch legt.
    Römermann: Sie tagen jetzt ganz in der Nähe vom Hambacher Forst. Um die geplante Abholzung dort gab es im Vorfeld riesige Proteste. Jetzt ist sie vom Gericht erst mal vorläufig gestoppt worden. Spielt das noch irgendeine Rolle, das Thema Hambacher Forst bei den Verhandlungen, oder ist das Thema jetzt komplett durch?
    Kaiser: Ja, das ist natürlich eine Riesendebatte. Aber ich glaube, mittlerweile ist allen Akteuren außer RWE klar, dass der Hambacher Wald nicht mehr gerodet wird. Deswegen werden wir uns in der Kommission natürlich darüber unterhalten müssen: Was heißt das jetzt? Das heißt natürlich, dass erste Kraftwerke hier im Westen auch vom Netz gehen müssen, und dass wir dann sehr schnell gucken müssen, was gibt es für Alternativen. Insofern hat der Hambacher Wald Auswirkungen auf die Arbeit der Kommission, ist aber auch eine Chance, jetzt den Einstieg in den Ausstieg zu gestalten.
    In der Kommission wird heiß diskutiert
    Römermann: Bis Ende des Jahres soll die Kommission ihre Vorschläge vorlegen. Wird es da einmütige Empfehlungen geben, oder wird das doch alles sehr umstritten bleiben?
    Kaiser: Momentan sind wir noch nicht so weit in der Diskussion, dass ich das beantworten kann. Aber es ist hoch umstritten. Es sind viele Akteure am Werk, ein hoher politischer Druck, vor allem auch in den östlichen Bundesländern. Insofern kann ich schwer sagen, ob das zum Erfolg führt.
    Ich glaube, dass sowohl die Gewerkschaften als auch die Regionen als auch die Umweltverbände gut daran tun würden, einen sehr, sehr guten ambitionierten Klimaschutz zu definieren und gleichzeitig wirklich zu investieren in die Zukunft in den Regionen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.