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Martin Wuttkes "Trompe l'amour"
Vorgetäuschte Liebe und vorgetäuschtes Theater

Martin Wuttke inszeniert Balzacs "Glanz und Elend der Kurtisanen" an der Berliner Volksbühne. Neuerungen können die Zuschauer aber nicht erwarten - stattdessen gibt es eine ewige Wiederholung des Immergleichen.

Von Michael Laages | 25.04.2014
    Von Scheinwerfern erleuchtet ist die Fassade des Theaters Die Volksbühne in Berlin
    Die Volkbühne in Berlin (Picture Alliance / dpa / Manfred Krause)
    Wer und was aus Balzacs enorm umfangreichem Sittenpanorama über "Glanz und Elend der Kurtisanen", zwischen 1838 und 1846 erschienen, gerade "dran" sein sollte, war ohnehin sicher nur den ganz eingefleischten Balzacianerinnen und Balzacianern ersichtlich; und an die richtet sich ein Abend in der Volksbühne ja nicht - die gibt sich noch immer entschieden zu modern für vorgestriges Bildungsbürgertum, das eventuell auch mal wissen will, worum es dem Autor eins wirklich ging. Ein bisschen halb gares Geraune über Liebe, Geld und den Staat reichen hier völlig aus. Bloß nicht wirklich was erfahren wollen - hier werden ja sogar (wie auch in diesem Fall wieder) richtige Programmhefte angeboten, in denen auf einer von 32 Seiten steht, dass Programmhefte überflüssig sind - der Rest: Raum für Notizen. Leider gibt es auch Aufführungen auf diesem Schnickschnack-Niveau.
    Wuttkes Balzac gehört dazu. Mit ihm oder ohne ihn.
    Eine fabulöse Kalesche rollt zur Eröffnung in Bert Neumanns wieder mal stark Lametta-haltiges Bühnen-Halbrund, das ja nicht nur aussieht wie auch schon in den Balzac-Bemühungen von Rene Pollesch und Frank Castorf zuvor, sondern eher wie immer. Und grotesk darf's auch gleich sein - wenn der ebenso rundliche wie ältliche Bankier und Baron von Nucingen in plötzlicher Liebe entflammt zur Kurtisane Esther. Oder zur Kammerzofe? Oder zur etwas älteren Tante und Beschützerin?
    Egal - später werden die drei Frauenrollen im Stück noch ein paar Mal hin und her getauscht. Der große kriminelle Strippenzieher im Hintergrund sowie eine weitere Vaterfigur aus Balzacs großem Sittenpanorama sind ohnehin alle beim früheren Kresnik-Tänzer Jean Chaize versammelt, unterscheidbar nur an der Sonnenbrille. Dass gegen Ende noch der junge Lucien auftaucht, der eigentlich die himmlische Esther liebt (und in den Tod treibt), fällt auch kaum weiter auf - erkennbar sind Geschichten bestenfalls als Motive, Zusammenhänge bleiben rar.
    Nichts zu verstehen, noch weniger zu begreifen
    Nur Nucingen, ausgenommen wie eine Weihnachtsgans, bleibt abendfüllend immer derselbe.
    Hendrik Arnst, ein Überlebender noch aus Frank Castorfs Anklamer DDR-Zeit und die Posaunen-Stimme im Volksbühnen-Ensemble, ist ein gewichtiger Kobold von großem Witz - und wichtigster Vorteil: Er ist zu verstehen. Das gilt für den Franzosen Chaize schon nur noch bedingt und für dessen Landsfrau Jeanne Balibar noch viel weniger, denn je fremder der Ton, desto weniger wird an der Volksbühne Sprache inszeniert. Der durchaus zum Geschwätzigen neigende Balzac-Text allerdings wehrt sich mit Macht gegen den immer gleichen, immer gleich hysterischen Exzess-Ton an diesem Hause - und prompt ist eigentlich nicht nur nichts zu verstehen, sondern noch weniger zu begreifen.
    Balzac erzählt dummerweise immer in Zusammenhängen, Wuttkes Ensemble im Grunde nie - ergeht sich dafür in der haus-typischen Video-Ästhetik: mit Kameramann und Galgenhalter vom Ton, zuzüglich des Live-Cutters in der Regie, der die Bilder auf drei Leinwände verteilt. Irgendwann wird das rotierende Studio hinter diesen Projektionsflächen weggeräumt und die fingierte Fassade eines Alt-Pariser Gaumont-Kino-Palastes rauscht aus dem Bühnenhimmel herab - jetzt darf's ein wenig pathetisch werden.
    Die schöne Esther stirbt und am Schluss geben sich alle das Gift-Fläschchen, weil sie (nachdem ja Wuttke am Morgen der Premiere ausstieg) ohne weitere Mitstreiter einfach nicht mehr weiter spielen können. "Mir ist auch gar nicht gut", stöhnt Baron Nucingen und rollt sich am Boden. Ist der Beifall eventuell deshalb so einhellig, weil dieses herrlich alberne General-Gesterbe am Schluss all dem szenischen Gewurschtel zuvor eine lange Nase dreht?
    Im Ernst: "Trompe l'amour", die Täuschung der Liebe, ist an diesem Abend vor allem eine Täuschung, eine Vor-Täuschung von Theater; zusammen gestoppelt, ohne Tempo, ohne Spannung, ohne irgendetwas, was mitreißen könnte - inszenatorisch von schmalem Talent und ohne jeden erkennbaren Stil. Es sei denn, die ewige Wiederholung des Immergleichen sei schon einer. Das aber reicht nicht; und auch das Ensemble vollbringt hier keine Wunder mehr. Mit oder ohne Weltstar Wuttke.