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Mary Gaitskill: „Schlechter Umgang"
Kriecherischer Abgrund

In den USA hat sie Kultstatus, die Kurzgeschichten-Sammlung „Bad Behavior“ von Mary Gaitskill. Es sind abgebrochene, verlorene, nicht selten selbstzerstörerische Frauen und Männer, die Gaitskill von Sex und Gewalt, von Dominanz und Unterwürfigkeit erzählen lässt.

Von Miriam Zeh |
Die Schriftstellerin Mary Gaitskill und ihr Roman "Bad Behavior. Schlechter Umgang"
Die Schriftstellerin Mary Gaitskill und ihr Roman "Bad Behavior. Schlechter Umgang" (Buchcover Aufbau Verlag / Autorenportrait (c) Sophie Bassouls Getty Images)
Auch hierzulande dürften ganze Heerscharen angehender Autorinnen Mary Gaitskill nacheifern. Nur einmal mit derselben Exaktheit und doch Nonchalance, mit derselben Wucht über Perversion und Begehren schreiben – davon träumen nicht nur Schreibschülerinnen in Berlin, Leipzig und Hildesheim. Gaitskills Geschichten über Ehen, Affären und Arbeitsverhältnisse, die durch sexuelles Verlangen irritiert, versüßt und zerstört werden, sind unübertroffen.
Mehr als 30 Jahre nach Erstveröffentlichung ihres bis heute alles überschattenden Erzähldebüts "Schlechter Umgang" haben die Short Storys nichts von ihrem erregend-grenzwertigen Reiz verloren. Ganz im Gegenteil. Beinahe dankbar verliert man sich in Gaitskills fiesen und durchtriebenen, in ihren schwachen und devoten Mädchen. Denn die Autorin präsentiert im New York der 1980er Jahre keine heroisch ‚starken Frauen‘, wie die Nachwehen der #metoo-Bewegung sie uns im Überfluss in die Kinderbücher und Gegenwartsromane geschwemmt haben. Gaitskill zeigt den kriecherischen Abgrund, die lustvolle Selbstzerstörung, die Faszination für chauvinistischen Schweine – alles allerdings: nie ungebrochen.
"Ihre Passivität war angenehm, ebenso ihr Schweigen und ihre Bereitschaft, sich ihm auszuliefern. Aber er spürte in ihr noch ein anderes Element, das er nicht zu definieren vermochte und das ihm missfiel."
Die Vergewaltigung des Mannes
In der Erzählung "Ein romantisches Wochenende" wollte Beth eigentlich ein ebensolches mit ihrer neuen Affäre verbringen. Doch der Ausflug wird zum Desaster. Beth erfährt nichts als Erniedrigung und Ignoranz von ihrem Partner, bis sie zurückschlägt. Von einer Sekunde zur anderen, von einer Zeile zur nächsten kann sich bei Mary Gaitskill alles ändern. Macht und Gewalt sind bei ihr nicht an Geschlechterrollen gebunden.
"Wieder flackerte in seinen schmalen Augen ein wilder Blick auf. ‚Frauen sollten den Mund halten.‘ Plötzlich wurde ihr bewusst, dass es vollkommen natürlich gewirkt hätte, wenn er sich auf sie stürzen und ihr ins Gesicht beißen würde. ‚Ich gebe dir recht‘, sagte sie scharf. ‚Man trifft nicht viele Männer, mit denen es sich lohnen würde, zu reden.‘"
Am Ende wird er sich von ihr vergewaltigt fühlen und beide finden gerade in ihrer sadistischen Feindseligkeit zueinander – ob damit glücklich oder wenigstens befriedigt? Das bleibt, wie so oft bei Gaitskill, dem Urteil der Leserin überlassen. Die Autorin bewertet nicht, was moralisch richtig oder falsch ist. Danach sortiert sich Lust schließlich auch nicht.
Zweifelsfrei strafbar
In der wohl berühmtesten, weil von Steven Shainberg verfilmten Erzählung "Sekretärin" beginnt ein narzisstischer Anwalt seine junge Mitarbeiterin Debby zu züchtigen. Über seinen Schreibtisch gebeugt, muss sie ihm ein fehlerhaft abgetipptes Dokument immer wieder vorlesen.
"Bei dem Wort ‚Bezugnahme‘ fing er an, mich auf den Hintern zu schlagen. Komisch war, dass es mich nicht einmal überraschte. Ich fuhr tatsächlich fort, den Brief zu lesen, obwohl ich von dem Inhalt kaum etwas begriff. Ich begann zu heulen, und unter meinen Tränen verschmierte die Tinte. Das Wort ‚Erniedrigung‘ kam mit solcher Macht ins Bewusstsein, dass ich alle anderen Wörter wirksam verdrängte."
Was der Anwalt hier begeht, ist zweifelsfrei strafbar, ein sexueller Übergriff, Machtmissbrauch – und doch weniger eindeutig als eine solche Verurteilung suggeriert. Denn die träumerische, etwas stumpfsinnige Debby ekelt sich bei der Erinnerung an diesen Vorfall, ist aber zugleich erregt von der Erniedrigung.
"Als ich an jenem Abend nach Hause kam, war alles wie immer. […] Mein Hinterteil war nicht einmal rot, als ich es im Badezimmerspiegel betrachtete. Aber als ich ins Bett ging und über die Sache nachdachte, stieg Erregung in mir auf. Ich war erregter als je zuvor in meinem Leben."
Keinerlei Staub angesetzt
Gern hätte man zur #metoo-Bewegung mehr von Mary Gaitskill gehört. Doch nur eine kurze Novelle veröffentlichte die mittlerweile 65-jährige Autorin vor einem knappen Jahr im New Yorker. "This is pleasure", zu Deutsch etwa: "Diese Lust" nimmt sich den jahrelang branchenweit geduldeten Machtmissbrauch eines exzentrischen US-amerikanischen Verlegers zum Thema. Nicht allerdings aus der Sicht seiner Opfer, sondern aus der Perspektive des Täters und einer langjährigen Freundin, Margot, die ihn trotz Übergriffen, die sie selbst erlebt hat, verteidigt.
Der Blumenbar Verlag verspricht, dass die Erzählung bald auf Deutsch vorliegen soll. Bis dahin sind immerhin Gaitskill bisher vergriffenen Kultstories endlich auch bei uns wieder erhältlich. Erstaunlicher Weise hat die ebenfalls über 30 Jahre alte Übersetzung von Nikolas Hansen keinerlei Staub angesetzt. Und so bleibt "Schlechter Umgang" eine fantastische Lektüre von so beiläufiger Kunstfertigkeit und brutaler Romantik, dass einem beim Lesen ein erotischer Gruselschauer nach dem anderen über den Rücken jagt.
Mary Gaitskill: "Bad behavior. Schlechter Umgang. Storys".
aus dem Amerikanischen von Nikolaus Hansen.
mit einem Nachwort von Kristen Roupenian.
Blumenbar Verlag, Berlin. 270 Seiten, 20 Euro.