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Massengrab in ehemaligem Waisenhaus
Umgang mit unerwünschten Kindern in Irland

Im streng katholischen Irland wurden Frauen, die vor der Heirat schwanger wurden, oft in Heimen der katholischen Kirche untergebracht. In einem solchen Heim in der Grafschaft Galway wurde jetzt der Fund von nahezu 800 Leichen von geborenen und ungeborenen Kindern bestätigt - in einer ungenutzten Sickergrube. Die unehelichen Kinder waren offenbar nicht wichtig genug, formell begraben zu werden.

Von Martin Alioth | 04.03.2017
    Eine handgeschriebene Notiz auf einem Massengrab bei einem Heim für ledige Mütter und ihre Kinder des katholischen Bon-Secours-Orden im westirischen Tuam.
    Eine handgeschriebene Notiz auf einem Massengrab bei einem Heim für ledige Mütter und ihre Kinder des katholischen Bon-Secours-Orden im westirischen Tuam. (dpa / picture alliance / Aidan Crawley)
    Zwischen 1925 und 1961 betrieben die Schwestern des katholischen Bon-Secours-Ordens im westirischen Tuam ein Heim für ledige Mütter und ihre Kinder. Die Lokalhistorikerin Catherine Corless hatte aufgrund von Totenscheinen, Akten und Gesprächen mit Zeitzeugen festgestellt, dass in diesem Zeitraum 796 Begräbnisse von Kindern innerhalb des Heims stattgefunden haben mussten. Die irische Ministerin für Kinder, die Parteilose Katherine Zappone, bestätigte das gestern.
    Die vor zwei Jahren eingesetzte Untersuchungskommission habe diesen Verdacht nun bestätigt und überdies die gefundenen Leichenteile in die Zeit datiert, als das Heim betrieben wurde. Die Leichen waren Embryos oder Babys bis zu drei Jahren. Wie die Historikerin Corless behauptet hatte, befand sich das Massengrab in einer seit den 1930er-Jahren nicht mehr benutzten Sickergrube und in einem anderen unteriridischen Schacht mit rund 20 Kammern.
    Blick auf das Heim für ledige Mütter und ihre Kinder des katholischen Bon-Secours-Orden im westirischen Tuam.
    Blick auf das Heim für ledige Mütter und ihre Kinder des katholischen Bon-Secours-Orden im westirischen Tuam. (dpa / picture alliance / Aidan Crawley)
    Corless freute sich für die Überlebenden und Angehörigen, die allzu lange auf diesen Tag gewartet hätten. Niemand habe bisher auf sie gehört. - P.J.Haverty ist einer davon: Geboren 1951, verbrachte er sechseinhalb Jahre im Heim. Seine Mutter musste das Heim nach einem Jahr verlassen. Die Frauen wurden vertrieben, weil die Schwestern keine emotionale Bindung zwischen Mutter und Kind wünschten.
    P.J. Haverty will jetzt eine Entschuldigung, sagte er dem irischen Fernsehen RTE. Seine Mutter sei von Kirche, Staat und Gesellschaft verraten worden. Sie habe keinen Fehler begangen.
    Systematische Einschüchterung einer Gesellschaft
    Die Iren erfahren seit rund zehn Jahren in beunruhigenden Einzelheiten, wie sich Kirche und Staat in den mittleren Jahrzehnten des letzten Jahrhunderts verschworen hatten, um jegliche Andersartigkeit auszugrenzen und zu quälen. Arbeitshäuser, Waisenhäuser, Behindertenheime, psychiatrische Anstalten: "er anders war, verschwand hinter Mauern. Die Kirche diktierte die Bedingungen dieses Komplotts, der Staat half willig bei der Durchführung, die eingeschüchterte Gesellschaft schwieg. Ein bestürzendes Detail enthüllt die Gesinnung der Ordensschwestern in Tuam, wie Catherine Corless erläutert:
    Sie erwartet, dass 796 Leichen gefunden werden. Zwei weitere wurden im offiziellen Friedhof von Tuam begraben, denn das waren Waisenkinder, nicht uneheliche Kinder. Die unehelichen Kinder waren offenbar nicht wichtig genug, formell begraben zu werden, sagt Corless, und so wurden sie in die alte Sickergrube geworfen.
    Ministerin Zappone versprach weitere Nachforschungen. Sie wolle einen einfühlsamen und respektvollen Umgang mit Irlands fehlendem Mitgefühl sicherstellen.