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Massenüberwachung
Amnesty verklagt Großbritannien

Amnesty International und zehn weitere Menschenrechtsorganisationen verklagen Großbritannien wegen der Überwachung seiner Bürger vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Sie sehen in den durch Edward Snowden aufgedeckten Praktiken nicht nur einen Eingriff in die Privatsphäre der Bürger, sondern auch eine Beeinträchtigung ihrer Arbeit.

Von Jochen Spengler | 10.04.2015
    Hauptquartier des britischen Geheimdienstes GCHQ in Cheltenham
    Hauptquartier des britischen Geheimdienstes GCHQ: Der Dienst hatte nicht nur Geheimdienst-Informationen mit den USA ausgetauscht, sondern auch die Kommunikation der Briten umfangreich abgehört. (dpa / picture alliance / EPA FILE/MINISTRY OF DEFENCE)
    Die Klage gegen das Vereinigte Königreich wird von insgesamt zehn Menschenrechtsorganisationen eingereicht; dabei sind neben Amnesty International auch die US-amerikanische Bürgerrechtsunion, der Irische Rat für bürgerliche Freiheiten, Privacy International und die britische Vereinigung Liberty. Sie alle setzen auf den Menschenrechtsgerichtshof, so erläutert Nick William, Rechtsberater bei Amnesty in London:
    "Wir glauben, dass wir angesichts der Erfolgsbilanz der Richter in Straßburg zuversichtlich sein können, dass die britische Regierung zur Rechenschaft gezogen wird und am Ende einsehen muss, dass sie nicht über dem Gesetz steht und dass sie, wenn sie unsere Sicherheit schützen will, es unter Beachtung der fundamentalen Menschenrechte tun muss."
    Vertrauensvoller Austausch mit Opfern bedroht
    Die Klage basiert auf den Erkenntnissen und Dokumenten, die der im russischen Exil weilende Ex-CIA-Mitarbeiter Edward Snowden veröffentlicht hat. Er hat die massenhafte Überwachung von Kommunikationswegen durch britische und amerikanische Geheimdienste und Programme wie Tempora und Prism aufgedeckt. Diese Praktiken, so Amnesty, seien ein klarer Verstoß gegen das Recht auf Privatheit, Meinungsfreiheit und Nicht-Diskriminierung, die die Europäische Menschenrechtskonvention garantiere. Millionenfach E-Mails, SMS und Telefonverbindungsdaten zu speichern und auszuwerten, stehe in keinem angemessenen Verhältnis zum Ziel, die Bürger zu schützen.
    "We don't believe that it could ever be proportionate for the UK government to capture millions of text messages, e-mails in order to protect our citizens."
    Betroffen davon seien keineswegs nur Individuen, sondern insbesondere auch Bürgerrechtsorganisationen wie Amnesty, deren Arbeit durch die Überwachungspraktiken erheblich beeinträchtigt werde. Denn ein wesentlicher Teil ihrer Tätigkeit sei der vertrauensvolle Austausch mit Opfern von Menschenrechtsverletzungen.
    "Wenn wir nicht garantieren können, dass wir die Informationen und Informanten schützen können, werden die Betroffenen sich kaum noch an uns wenden. Man darf nicht vergessen: Sie riskieren dabei oft ihr Leben und deswegen müssen wir Ihnen die Garantie geben können, dass die vertraulichen Informationen, die wir von ihnen bekommen, sicher sind."
    Abhörpraktiken werden sich erstmal nicht ändern
    Die Organisationen wenden sich an Straßburg, weil der Rechtsweg in Großbritannien selbst ausgeschöpft ist. Ein Geheimdiensttribunal befasste sich in einem nichtöffentlichen Verfahren mit den Klagen der Menschenrechtsorganisationen, die nur eingeschränkten Zugang zum Beweismaterial erhielten.
    "Wir glauben, dass das britische Recht nicht nur in der Substanz, beim Schutz der Privatsphäre, grundlegende Lücken aufweist, sondern auch wie unsere Klage behandelt wurde vor dem Tribunal, war ein Bruch unserer Menschenrechte."
    Zwar urteilte das Tribunal in London vor zwei Monaten, dass der Austausch von Überwachungsdaten zwischen britischen und amerikanischen Geheimdiensten gegen die Menschenrechte verstößt, nicht jedoch die Überwachung selbst. Weswegen sich am Anzapfen des Kommunikationsverkehrs in Großbritannien erst einmal wenig ändern wird.