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Massenware aus CO2

Chemiker tüfteln intensiver denn je daran, jenes Kohlendioxid nutzen zu können, das massenhaft von Kraftwerken und Autoverkehr in die Luft geblasen wird. Nun gelang es Forschern, dieses CO2 in eine Grundzutat der Chemie einzubauen.

Von Volker Mrasek | 04.11.2013
    "Also, ich gebe die zwei Substanzen zusammen. Und dann warten wir darauf, dass der Schaum entsteht. Es sieht so ein bisschen aus wie ein grüner Sirup jetzt. Ich misch’ nochmal gerade. So, jetzt läuft er fast über."

    Ein Labor an der RWTH Aachen. Die Chemielaborantin Alexandra Keldenich steht an einem Luftabzug und rührt im Becherglas. Aus dem Gefäß quillt ein Schaum in der Farbe von Pistazien-Eis. Sieht appetitlich aus, ist aber ungenießbar, wie der Chemiker Thomas Müller versichert:

    "Es ist ein Weichschaum, wie er in Matratzen eingesetzt wird. Das wird ‘ne grüne Matratze!"

    Das Material ist Polyurethan. Ein Kunststoff, von dem die chemische Industrie Abermillionen Tonnen herstellt. Doch dieser Weichschaum hier hat etwas Besonderes: In seine langen Molekülketten wurde Kohlendioxid eingebaut. Ja, richtig! Das berühmt-berüchtigte Treibhausgas, das unser Klima aufheizt.

    "Jetzt ...schon fertig, würde ich sagen. Ist er fertig? Ja."

    Chemiker trachten heute immer stärker danach, CO2 zu nutzen und bestimmte Grundstoffe daraus herzustellen. Walter Leitner, Professor für Technische und Petrolchemie an der Aachener Hochschule:

    "Diese Vision, CO2 als Kohlenstoffquelle zu nutzen, die gab es schon vor einigen Jahrzehnten. In den letzten Jahren ist über die Klimadiskussion da eine ganz neue Dynamik reingekommen."

    Die verstärkten Forschungsanstrengungen werfen jetzt erste Früchte ab. Der Chemiekonzern Bayer steht kurz davor, Weichschäume auf CO2-Basis zu vermarkten. BASF in Ludwigshafen produziert in einer Pilotanlage Ameisensäure, eine wichtige Grundchemikalie, mit größeren Anteilen des Treibhausgases.

    Der entscheidende Durchbruch dabei: Es konnten geeignete Katalysatoren für die chemischen Synthesen mit CO2 entwickelt werden.

    "Das Molekül ist äußerst reaktionsträge, sodass wir dort immer Katalysatoren brauchen, um die Reaktionen zu ermöglichen."

    "Wenn wir den CO2-Druck aufdrehen, dann macht man das CO2 hörbar!"

    Gemeinsam mit Bayer betreiben Walter Leitner und seine Kollegen an der RWTH Aachen ein Katalyse-Entwicklungszentrum. Und sie wollen noch mehr. Die Hochschulchemiker möchten Kohlendioxid nicht nur in Kunststoffen unterbringen. Sie wollen aus dem Treibhausgas auch die Grundbausteine von allen möglichen Industriechemikalien herstellen

    "Wie Legobausteine."

    Am Kohlenstoff-Gerüst von organischen Molekülen sitzen außen sogenannte funktionelle Gruppen. Das sind Anhängsel, die aus den verschiedensten Atomen bestehen. Auch hier berichtet Walter Leitner jetzt von ersten Forschungserfolgen.

    "Ein Kollege hier am Institut, Professor Jürgen Klankemeyer, hat ein Verfahren entwickelt, mit dem man CO2 nutzen kann, um an Aminen eine sogenannte Methylgruppe einzuführen. Solche Amine–Stickstoff-Verbindungen, die eine Methylgruppe enthalten, haben vielfältige Anwendungen als Agrochemikalien, als Pharmazeutika. Man findet das in vielen biologisch aktiven Substanzen. Und solche Gruppen jetzt aus CO2 und Wasserstoff aufzubauen, hat ein riesiges Potenzial in der Synthese-Chemie."

    Noch stellen die Aachener Chemiker die CO2-Amine lediglich in Labormengen her. Doch wenn das eines Tages auch im Industriemaßstab gelingen sollte, hätten Chemiker eine Art Baukasten mit Legosteinen aus Kohlendioxid zur Verfügung, die auf vielfältige Weise einsetzbar wären.

    Die stärkere stoffliche Nutzung des Treibhausgases wird zwar den Klimawandel nicht aufhalten. Aber sie könnte eine neue Rohstoff-Basis schaffen in Zeiten, in denen Erdöl allmählich knapper wird. Und darauf ist auch die chemische Industrie angewiesen.

    "Wir wollen also nicht alles CO2, das die Menschheit produziert, in chemische Produkte umwandeln. Das wäre utopisch. Aber umgekehrt ist CO2 eben deshalb auch ein attraktiver Rohstoff, weil schon geringe Mengen dieser Abfallströme ausreichen würden, um wertvolle Produkte in der Chemie zu erzeugen."

    "Das sieht gut aus! / Prozess läuft!"