Müller: Herr Winnacker, sind die bundeseigenen Forschungsinstitute, um die es ja bei der gestrigen Kritik des Wissenschaftsrates ging, tatsächlich von gestern?
Winnacker: Wahrscheinlich sind sie nicht alle von gestern, aber es ist einfach so, dass man sich als Forschungseinrichtung dem internationalen Wettbewerb stellen muss. Und offenbar ist es so, dass die bisher untersuchten Institutionen - das sind glaube ich zehn insgesamt - das in diesem Ausmaß offenbar nicht tun, dass sie sich vor allen Dingen mit sich selbst beschäftigen, dass sie sich auch nicht um den Nachwuchs kümmern. Alles das ist dort zu lesen. Ich denke man muss sich auch in vielen Fällen darüber Gedanken machen, ob denn überhaupt wissenschaftliche Forschung eine originäre Aufgabe des Bundes oder einer Regierung ist. Ich meine sie hat natürlich das gute Recht, bestimmte Forschungen vorzuhalten, im Gesundheitswesen zum Beispiel, aber dann auch die Pflicht, es gut zu machen, und dort ist offenbar einiges im Argen.
Müller: Haben Sie eine Erklärung dafür, warum diese bundeseigenen Institute denn so im eigenen Süppchen kochen?
Winnacker: Na ja, das ist wahrscheinlich ziemlich einfach. Sie sind eben nicht mit den Universitäten verknüpft. Das heißt sie haben keinen Nachwuchs. Sie werden intellektuell dann nicht gefordert. Sie kriegen Aufträge des Bundes, nicht von außen. Ich denke sie publizieren wenig. All das ist eher wesentlich für die Wissenschaft und wenn das nicht passiert, dann merkt man vielleicht auch gar nicht, dass man den Anschluss verloren hat.
Müller: Das heißt die Institute dort sind mehr Verwalter als Forscher?
Winnacker: Ja, so wird das jedenfalls in der Erklärung des Wissenschaftsrates gesagt. So erleben wir das auch, wenn wir es überhaupt erleben. Die sind ja sehr abgeschlossen. Die sind auch bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft nur selten Antragsteller. Da gibt es bestimmte Ausnahmen. Das darf man jetzt nicht auf alle pauschalisieren. Aber offensichtlich gibt es dort schon große Mängel.
Müller: Herr Winnacker, um das für den Hörer vielleicht noch mal etwas deutlicher zu machen, um welche Institute es sich dort handelt, also beispielsweise Bundesforschungsanstalten für Viruskrankheiten der Tiere, für Ernährung, für Landwirtschaft und für Züchtungsforschung an Kulturpflanzen. Eine für Sie vielleicht polemische Frage: Sind die wissenschaftlich relevant?
Winnacker: In der Wissenschaft sind die nicht bekannt und daher kaum relevant. Es gibt ein paar gute Leute hier und da, aber ich denke die sind irgendwie abgeschlossen und stellen sich nicht dem Wettbewerb, publizieren wenig und das darf eigentlich nicht sein. Das ist dann verschwendetes Forschungsgeld.
Müller: Wie kann man denn eine Leistungskontrolle dieser Institute auf den Weg bringen?
Winnacker: Na ja, alle anderen Institutionen, die nicht Ressortforschung sind, die ganzen Institute der Helmholz-Gemeinschaft, aber auch die Universitäten, Max-Planck-Gesellschaft, die werden ja alle ständig evaluiert. Die haben ständig Besuch von international besetzten Gruppen, die gucken, ob das auch bekannt ist, ob das gut ist, was sie machen. Diese Evaluationen spielen in der Wissenschaft schon immer eine große Rolle. Das findet offenbar hier nicht statt und dann kocht man auf Dauer sein eigenes Süppchen.
Müller: Sie sagen, Herr Winnacker, das findet offenbar nicht statt. Das heißt für Sie ist das im Grunde auch neu?
Winnacker: Für uns ist das nicht neu, aber wir sind an dieses Thema als Wissenschaftler nie richtig herangekommen. Wir haben uns jahrelang bemüht, gerade nach der Wende, wo auch alle die Institutionen im Osten evaluiert worden sind, an dieses Thema heranzukommen und den Bund - die Länder haben übrigens auch solche Ressortforschung - zu bitten, sich das doch einmal genau anzuschauen, was muss da eigentlich wirklich gemacht werden, was kann man nach außen übertragen. BSE-Tests zu entwickeln, dafür braucht man keine Bundesforschungsanstalt. Diese Dinge sind aber einfach nicht passiert. Das sind gewisse Pfründe, an die man nicht herankommt. Vielleicht gelingt es ja jetzt dem Wissenschaftsrat, dort etwas Bewegung in das Feld zu bringen.
Müller: Nennen Sie uns doch die Lobbyisten, die dort eine Reform bislang verhindert haben?
Winnacker: Die Lobbyisten sind wahrscheinlich die Einrichtungen selber und auch die Ministerien selber, die dort verhindern, dass von außen hineingeschaut wird, was da geforscht wird und was da gemacht wird.
Müller: Das heißt auch die rot/grüne Bundesregierung hat die Forschung bzw. hat dann die Reformer im Stich gelassen?
Winnacker: In diesem Felde der Ressortforschung sind sicher große Mängel, die nun hoffentlich bald beseitigt werden. Hoffentlich beginnt man, dort mal hineinzuschauen.
Müller: Ein Kritikpunkt, Herr Winnacker, war ja auch die Nachwuchsförderung. Das bezieht sich ja aus unserer Kenntnis nicht nur auf diese bundeseigenen Forschungsinstitute, über die wir geredet haben. Wie sieht diese Nachwuchsförderung denn generell im wissenschaftlichen Betrieb aus?
Winnacker: Na ja, die Nachwuchsförderung ist natürlich das wichtigste, was wir tun, denn der Nachwuchs ist der einzig sichere Wechsel auf die Zukunft, die wir haben. Das heißt um den müssen wir uns kümmern. Wir müssen uns um die Studenten und die Studierenden kümmern und dann auch später um die Doktoranten usw., die Transparenz der Berufungsverfahren. Ich glaube dieses ganze Thema ist nun durch die Diskussion um die Rahmenbedingungen in der Forschung endlich ans Tageslicht gebracht. Darüber bin ich sehr froh!
Müller: Wie soll das funktionieren in Zeiten der finanziellen Kürzungen?
Winnacker: Na ja, ich denke, dass Bund und Länder nun beim Schopfe gefasst werden müssen und dass die Festreden sich nun umsetzen müssen in Geld. Die Universitäten, die ja der erste Anlaufpunkt, die erste Anlaufstelle der jungen Leute sind, sind lange gewissermaßen die Verlierer der Nation gewesen. Die müssen jetzt wieder gestützt werden. Alles was dazu beiträgt ist gut und das kostet auch Geld, keine Frage!
Müller: Reden wir, Herr Winnacker, über eine zentrale Forderung des wissenschaftlichen Rates, nämlich eine Einrichtung der nationalen Akademie der Wissenschaften, vielleicht nach dem Beispiel des französischen Modells. Macht das Sinn?
Winnacker: Ich sehe das nicht so furchtbar zentral. Ich sehe das eher als einen Nebenkriegsschauplatz. Es gibt einige wenige Dinge, die eine solche nationale Akademie in der heutigen Zeit zu lösen hätte. Man braucht manchmal eine Gelehrtengesellschaft, um zum Beispiel in der Wechselwirkung mit den auswärtigen Akademien, der Royal Society in England, der französischen Akademie der Wissenschaften usw., Kontakte aufzunehmen, europäische Verknüpfungen zu schließen. Diese Art von internationalen Wechselwirkungen muss es geben. Das hat es bei uns lange nicht gegeben. Die Leopoldina, die Akademie der Naturforscher, hat ja eine große Rolle in der Wissenschaft der DDR gespielt, hat dort die Fahne der freien Wissenschaft hochgehalten. Die hat sich jetzt umstrukturiert. Auch in der Politikberatung sind einige Fragestellungen sicher vernünftig. Ich denke für diese wenigen Aufgaben könnte man die existierenden Akademien wieder in Gang bringen. Das geschieht auch. Das machen die zum Teil selbst. Was Neues würde ich da nicht gründen, was wirklich Neues.
Müller: Das heißt, wenn ich Sie richtig verstanden habe, eine nationale Akademie der Wissenschaften das wäre nicht mehr als eine Verbesserung des sagen wir akademischen Ambientes?
Winnacker: Ja. Ich denke mal da wird im Wissenschaftsgefüge nicht wirklich furchtbar viel erreicht. Es gibt ganz andere Mittel und Instrumente, wie sich die Wissenschaft heute in der Öffentlichkeit darstellt. Es gibt die großen Forschungsorganisationen, die versuchen, mit der Öffentlichkeit in Kontakt zu kommen. Ich denke mal das Akademiekonzept, das stammt ja aus dem 17. Jahrhundert, das muss man heute nicht neu gründen. Da kann man auf existierende Strukturen aufbauen und die spielen auch international eine Rolle. Das ist eine Sache, die die deutsche Wissenschaft nicht wesentlich weiterbringen wird. Das muss jetzt mal geregelt werden, aber dann ist es auch geregelt.
Müller: Das war Professor Ernst-Ludwig Winnacker, Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft. - Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören nach Bonn!