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Maßnahmenpaket
Berliner Feuerwehr krempelt die Ärmel in der Pflege hoch

Die Berliner Feuerwehr muss immer häufiger zu Einsätzen im Pflegeheim ausrücken. Personalmangel oder schlechter Wissensstand bei Leiharbeitskräften gehören zu den Gründen. Um Abhilfe zu schaffen, hat die Feuerwehr nun ein Maßnahmenpaket verabschiedet. Die Reaktionen sind überraschend positiv.

Von Daniela Siebert | 18.02.2020
Sanitäter betreuen in einem Rettungswagen der Berliner Feuerwehr einen Patienten Rettungsdienst der Berliner Feuerwehr Medics Betreuen in a Ambulance the Berlin Fire brigade a Patients Rescue Service the Berlin Fire brigade
Immer mehr Einsätze: Die Berliner Feuerwehr ist überlastet ( imago images | Seeliger )
Bei der Berliner Feuerwehr hegt man eine schlimme Vermutung: Statt zu echten Notfällen rufe man sie oft als Lückenbüßer für sonstige Mängel und Mißstände. An die 16.000 Einsätze fährt sie im Jahr allein zu stationären Pflegeheimen:
"Das ist eine schwierige Einschätzung, wieviele wirklich unnötig sind, so ganz grobe erste Schätzungen sagen, dass wir vielleicht 20-30 Prozent der Einsätze in den stationären Pflegeeinrichtungen auch auf einem anderen Weg abarbeiten könnten. Wir haben manchmal auch den Eindruck, dass es an Strukturen fehlt, dass es vielleicht auch manchmal an Personal fehlt, die das richtig einschätzen kann, klassisches Beispiel ist der Sturz!" So bilanziert Stefan Poloczek, ärztlicher Leiter des Rettungsdienstes, die Situation.
Besonders oft sind Stürze von Patienten Anlass die 112 zu wählen, rund ein Fünftel der Einsätze in den Heimen lösen sie aus. Notfallsanitäter Eric Menzlow berichtet gegenüber dem rbb:
"Der Klassiker ist: Wir werden gerufen, weil der Patient aus dem Bett gefallen ist. Der Patient klagt über keine Beschwerden, er schafft es bloß selbst aus eigener Kraft nicht aufzustehen, weil das Pflegepersonal einfach zu wenig ist, manchmal ist nur eine junge Frau, die es einfach nicht schafft, einen älteren Menschen - vielleicht mit 100 Kilo - zurück ins Bett zu heben allein."
Als Gründe für die hohe Zahl von Einsätzen kommen sowohl Personalmangel vor Ort, als auch schlechter Wissenststand bei vielen Leiharbeitskräften in Frage. Mal werden beispielsweise Symptome falsch interpretiert, mal herrscht Angst vor Fehlentscheidungen.
Checklisten für Notrufe
Die Berliner Feuerwehr will diese hohe Zahl von Einsätzen in Pflegeheimen in Zukunft reduzieren und hat dafür selbst die Initiative ergriffen. Mit einem zweistufigen Maßnahmenpaket sollen die Zahlen sinken. Erste Stufe: das Gespräch mit den Heimen suchen. Stefan Poloczek sagt:
"Als allererstes und das ist mir wichtig: wollen wir auf die Pflegeheime zugehen und wollen sagen 'Schaut mal, so kann man es vielleicht besser machen, wir geben Checklisten an die Hand 'Wie macht man einen richtigen Notruf?' und was sind vielleicht auch Alternativen zur Notfallrettung?"
Bei Heimen, bei denen diese Maßnahmen bis hin zu individuellen Beratungen nichts bringen, will die Berliner Feuerwehr in Zukunft aber auch die zuständigen Kontrollinstanzen informieren – Heimaufsicht und MDK/"Medizinischer Dienst der Krankenversicherung".
"Die letzte Stufe wäre dann im Einzelfall auch Aufsichtsbehörden einzuschalten, wenn wir wirklich den Eindruck haben, da geht es um schwere Mängel. In diese Strukturen sind wir erstmal dabei Kontakt aufzunehmen, sowohl mit den staatlichen Stellen wie der Heimaufsicht aber auch mit dem MDK – mit den Krankenkassen – und dort versuchen die dementsprechenden Ansprechpartner und –partnerinnen zu finden. Dass wir am Ende dann, wenn wir wirklich sagen: wir kommen mit Aufklärung nicht weiter, wir kommen mit Gesprächen nicht weiter, dass es vielleicht auch einen Mechanismus mal geben könnte, in besonders extremen Situationen dann die dort direkt zu informieren."
Pflegemängel abstellen
Das könnte man als Schwäche des bestehenden Kontrollsystems auslegen. Beispielsweise wird kritisiert, dass der MDK nur einmal im Jahr vorangekündigt kontrolliert. Doch beim medizinischen Dienst der Krankenversicherung reagiert man auf den Vorstoss der Berliner Feuerwehr erstaunlich positiv. Pressesprecher Hendrik Haselmann:
"Pflegemängel, wenn man sie abstellen will, dann müssen sie offengelegt werden. Deswegen ist auch die Initiative der Berliner Feuerwehr natürlich positiv grundsätzlich erstmal zu sehen. Da wird der Finger in die Wunde gelegt. Im Detail bewerten inhaltlich können wir das natürlich nicht, das sind nicht unsere Zahlen. Es ist so, dass außer Frage steht, dass die Pflege besser werden muss."
Im Kontrast zum Medizischen Dienst der Krankenversicherung reagiert die amtliche Berliner Heimaufsicht zugeknöpft, wenn man sie nach den Plänen der Feuerwehr fragt. Sie prüfe mindestens einmal jährlich die Personalsituation in stationären Pflegeheimen teilt sie mit. Pro Schicht sei mindestens eine Fachkraft vorgeschrieben. Und weiter, Zitat:
"Der Personaleinsatz anhand dieser Vorgaben wird von der Heimaufsicht auch unangemeldet regelmäßig in Pflegeeinrichtungen überprüft. Verstöße werden hierbei in der Regel nicht festgestellt."
Zugeknöpfte Reaktion
Zu der Initiative der Feuerwehr kein Wort. Stefan Poloczek hat derweil schon viele positive Rückmeldungen bekommen, von Feuerwehrleuten, von Pflegekräften und von einzelnen Heimbetreibern.
Der Deutschlandfunk hat selbst verschiedene Berliner Pflegeheimbetreiber nach ihrer Meinung zu der Initiative der Feuerwehr gefragt. Ein christlicher und ein privater antworteten gar nicht. Der kommunale Betreiber Vivantes teilte uns mit, bei Stürzen würde nur dann der Rettungsdienst gerufen, wenn eine medizinische Versorgung notwendig sei, das sei etwa bei jedem achten Sturz der Fall.