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Mathe-Unterricht
Streit um Edelrechner

Nordrhein-Westfalen will grafikfähige Taschenrechner an Oberstufen verbindlich einführen. Nun streiten Lehrer und Eltern darüber, ob die Rechner den Mathe-Unterricht voranbringen - und in Zeiten von Smartphones und Tablets ihren Preis wert sind.

Von Peter Hild | 22.01.2014
    Im Matheunterricht von Thorsten Kacsich am Düsseldorfer Georg-Büchner-Gymnasium wird schon seit Jahren mit dem grafikfähigen Taschenrechner gearbeitet. Nach der Aufgabenstellung haben die angehenden Abiturienten seines Leistungskurses die Ergebnisse in kurzer Zeit auf dem Bildschirm. Dann wird die Lösung diskutiert. Heutzutage müssten die Schüler immer häufiger Textaufgaben lösen und die Ergebnisse in Alltagssituationen übertragen, sagt Kacsich: „Da ist natürlich so ein grafikfähiger Taschenrechner, der solche Aufgaben schnell zu einem Ergebnis führt, sehr sinnvoll. Ich kann mich jetzt viel mehr als früher auf die Interpretation der Lösung fokussieren, anstatt in der reinen mathematischen Kalkulation dieser Lösungen gefangen zu sein.“
    Doch wie Thorsten Kacsich sehen das längst nicht alle Lehrer. Kritiker halten den Taschenrechner für überholt, sie würden lieber modernere Geräte wie Smartphones oder Tablet-PCs nutzen, für die es auch schon entsprechende Programme gebe, sagt Berit Zalbertus von der Elternschaft Düsseldorfer Schulen: „Ich frag mich, warum sich nicht mal eine Expertenkommission aus Lehrern und Computerexperten zusammengesetzt hat, die an einem zukunftsorientierten Modell arbeiten, sprich der Einsatz von Tablet-Computern. Auch mit den Optionen zu schauen, wie kann man - das Argument für den grafikfähigen Taschenrechner ist ja, dass damit nicht gepfuscht werden kann – wie hab ich denn Möglichkeiten beim Einsatz von Tablets das Pfuschen zu verhindern.“
    Die fehlende Sicherheit bei moderneren, internetfähigen Geräten ist ein zentrales Argument für NRW-Schulministerin Sylvia Löhrmann. Die Taschenrechner seien zudem vorher erprobt worden, mit positivem Feedback der Schulen. Andere Bundesländer sind da schon weiter, in Niedersachsen, Sachsen und Baden-Württemberg wird das Modell bereits seit Jahren genutzt. Doch jetzt will Baden-Württemberg die grafikfähigen Taschenrechner in Abiturprüfungen ausgerechnet aus Sicherheitsgründen wieder abschaffen. Durch immer umfangreichere technische Möglichkeiten könne die Sicherheit nicht mehr gewährleistet werden, heißt es aus dem Kultusministerium in Stuttgart. Es müssten gleiche Bedingungen für alle Schüler herrschen. Diese Entscheidung bringt die Landesregierung in Nordrhein-Westfalen ins Grübeln. Die verpflichtende Einführung des Taschenrechners scheint deshalb noch nicht in Stein gemeißelt. Sylvia Löhrmann: „Der Erlass steht, er hat ja auch einen Vorlauf gehabt. Wir haben ja auch diese Entscheidung rückgekoppelt. Aber wenn sich neue Entwicklungen ergeben, dann werden wir die natürlich nochmal verantwortlich prüfen und werden dann aber auch darüber mit den Elternverbänden zum Beispiel sprechen.“
    Rechner sollen nicht unter Lehrmittelfreiheit
    Ein weiterer Kritikpunkt: Der hohe Anschaffungspreis. Ein grafikfähiger Taschenrechner kostet ab 60 Euro aufwärts. Vielen Eltern, vor allem denen mit geringem Einkommen, ist das zu teuer. Doch der Rechner soll in Nordrhein-Westfalen nicht unter die Lehrmittelfreiheit fallen. In Sachsen hatte ein Vater dagegen geklagt. Das Verwaltungsgericht Chemnitz gab ihm recht, Eltern bekommen dort nun die Kosten für den Rechner erstattet. Das NRW-Schulministerium verweist dagegen auf das Bildungs- und Teilhabepaket und regt Leihmodelle in den Schulen an. So wird es auch am Büchner-Gymnasium von Lehrer Thorsten Kacsich gemacht: „Wir müssen Rücksicht darauf nehmen, das ist klar. Wir haben auch eine soziale Verantwortung, alle Schüler brauchen diesen Taschenrechner. Aber mit diesem Schulpool an Taschenrechnern ist das meiner Meinung nach relativ gut geregelt.“
    In Baden-Württemberg sollen nun ab 2017 nur noch wissenschaftliche Taschenrechner im Abitur verwendet werden. Ob das grafikfähige Modell in Nordrhein-Westfalen trotzdem verbindlich eingeführt wird, ist noch nicht gewiss. Das NRW-Schulministerium will sich in den nächsten Wochen in Baden-Württemberg über die genauen Gründe für die Abschaffung informieren. Die Schüler von Thorsten Kacsich am Düsseldorfer Georg-Büchner-Gymnasium wissen jedenfalls den Wert des Taschenrechners zu schätzen: „Das lernt man eigentlich recht schnell. Ich finde es auch hilfreich, man kann dadurch besser nachvollziehen, wie der Graph aussieht, wo ungefähr die Hochpunkte liegen müssen. Und kann das dann noch mit dem Taschenrechner kontrollieren, ob man jetzt wirklich richtig gerechnet hat. Also ich finde, nach kurzer Einarbeitung kann man gut mit dem arbeiten. Wir lernen neben dem Taschenrechner natürlich auch, das Ganze per Hand auszurechnen. Es ist jetzt nicht so, dass wir nur den Taschenrechner benutzen. Es ist einfach nur eine Beihilfe.“