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Mathijs Deen: "Unter den Menschen"    
Bauerssohn sucht Frau

Wie skurril es werden kann, wenn ein einsamer Bauernsohn per Kontaktanzeige eine Frau findet, die mehr am Haus am Meer als an seiner Person interessiert ist, schildert der Niederländer Mathijs Deen in seinem Roman "Unter den Menschen". Doch anders als in so manchem TV-Format bleibt die große Liebe aus.

Von Birgit Koß | 14.03.2019
Buchcover: Mathijs Deen: „Unter den Menschen“
Zwei Menschen wohnen zusammen - aber kennen sich nicht. Kann das gut gehen? (Buchcover: Mare Verlag, Hintergrund: Gerda Bergs)
"Bauerssohn sucht Frau. Wohnt allein. 80 ha."
Wem steht da nicht sofort die fast gleichnamige Fernsehshow vor Augen? Ob es sich lohnt, einen Roman zu diesem Sujet zu lesen, beantwortet Mathijs Deen bereits auf der ersten Seite. Dem Autor gelingt es, in einer lakonischen Sprache mit kurzen Sätzen skurrile Bilder hervorzuzaubern. Unbedingt muss man mehr erfahren über die Einsamkeit des Bauernsohns an der niederländischen Küste.
Jan lebt nach dem Unfalltod seiner Eltern allein auf dem riesigen Bauernhof. Er züchtet Kartoffeln, so dass es im Winter fast nichts zu tun gibt. Da beschließt er, eine Kontaktanzeige aufzugeben. Er erhält vier Zuschriften und antwortet schließlich einer Frau Namens Wil. Die beiden verabreden sich. Doch als die potenziellen Partner aufeinandertreffen, lautet Wils drängendste Frage, ob Jan auch wirklich am Meer wohne. Schnell wird klar, dass dieser Aspekt für die junge Frau wichtiger ist als der Mann Jan. Die erste Begegnung verläuft dementsprechend holperig.
"‘Sieh mal, Jan‘, sagt Wil, ‚es ist wichtig, dass du weißt, was ich will.‘ Ihr Blick schweift kurz durchs Zimmer, sie holt tief Luft. ‚Ich habe bisher in der Liebe kein Glück gehabt. Ich bin oft enttäuscht worden. Ich will nicht, dass mir das noch einmal passiert. Verstehst du?‘ Jan versucht nicht, es zu verstehen. Die Bockigkeit hat seine anfängliche Verlegenheit vertrieben, und jetzt sitzt er sehr gerade auf dem Sofa, blickt ohne zu blinzeln die junge Frau an und fragt sich, ob er sie begehren könnte. Er sucht in ihrem Gesicht nach irgendetwas, das er streicheln, küssen oder zur Not wenigstens schlagen möchte. Doch Wil hat ein Gesicht wie ein Festungswall, mit straff aufgestecktem Haar, einen Mund voll unverständlicher Wörter, zusammengekniffenen Augen und einer scharfen, vorspringenden Nase. Jan schaut und denkt: Verflixt, wie sieht sie aus."
Erster Kontakt mit Hindernissen
Trotzdem geht Jan auf Wils Vorschlag ein, sich dreimal zu treffen. Schnell wird klar, dass Wil den Plan verfolgt, sich auf Dauer in Jans einsamem Reetdachhaus direkt hinterm Deich niederzulassen. Fast bekommt man Mitleid mit Jan, der den Hof seiner Eltern nur für den Besuch der Landwirtschaftsschule verlassen hat. Seine erste und einzige Freundin hatte die Mutter damals erfolgreich vertrieben. Doch im Laufe des Romans zeigt sich, dass auch Wils Zielstrebigkeit nur aufgesetzt ist. Sie versucht eine Rolle zu spielen, erlernt in einer Therapie, deren Ziel es war, immer selbstbestimmt zu handeln. Dabei weiß sie oft gar nicht genau, was sie wirklich will.
Mathijs Deen zeigt seine beiden Protagonisten in aller Ehrlichkeit mit ihren Abgründen und Verletzlichkeiten, ohne dabei je voyeuristisch zu werden - dafür manchmal mit einem Augenzwinkern. Eine weitere wichtige Komponente des Romans ist die Beschreibung der Landschaft. Diese unendliche Weite und Einsamkeit in dem neugewonnenen Land, dem Polder, direkt am Meer hinter dem Deich, in der sich die Menschen schon mal verlieren können, wenn sie nicht dort aufgewachsen sind.
Eier aus der Glasschüssel
So muss Jan zugeben, dass es den Frauen in seiner Familie, die alle von Außerhalb gekommen sind, im Dorf nicht gut ergangen ist. Nie sind sie von der ansässigen Bevölkerung wirklich akzeptiert worden. Trotzdem bittet er nach einiger Zeit die Städterin Wil zu bleiben. Jans eigene Position als Außenseiter, der abseits des Dorfes auf seinem großen Hof lebt und die Vorbehalte ihr gegenüber, bekommt Wil im einzigen Lebensmittelladen des Dorfes zu spüren.
"Wil möchte vier Eier aus der Glasschüssel auf der Theke. ‚Macht dann einen Gulden fünf‘, sagt die Händlerin. ‚Wie viel?‘, fragt Wil. ‚Einen Gulden und fünf Cent‘, antwortet die Händlerin mit Nachdruck. ‚Sie sind gestern teurer geworden, gestern.‘ ‚Dann hätte ich gerne drei‘, sagt Wil. Die Händlerin bleibt stehen, ohne sich zu rühren, die Arme weiterhin verschränkt.
‚Drei Eier‘, sagt sie. ‚Ja‘, bestätigt Wil. ‚Vier Eier für einen Gulden fünf, das sind, wenn ich richtig rechne, sechsundzwanzig und ein Viertel Cent pro Stück. Jetzt hätte ich gern drei Eier, für achtundsiebzig und drei Viertel Cent. Sagen Sie, wenn es nicht stimmt. Ich hoffe, Sie können auf einen Gulden herausgeben?‘ ‚Typisch‘, sagt die Händlerin nach kurzem Schweigen. ‚Warum, weiß ich nicht, aber bei den Leuten vom Hof da draußen ist immer alles seltsam. Die werden da alle verrückt, wissen Sie das eigentlich? Das hat Jan Ihnen wohl nicht erzählt. Bestimmt hat er davon nichts erzählt.‘
Sprachlosigkeit als Mittel zur Konfliktvermeidung?
Trotz aller Widrigkeiten bleiben Jan und Wil zunächst zusammen oder leben zumindest nebeneinander her, jeder mit seinen eigenen Träumen und Sehnsüchten. Der Versuch aufeinander zuzugehen, wird häufig durch Missverständnisse erschwert. Immer wieder werden die beiden von den Gespenstern ihrer Vergangenheit heimgesucht. Am besten verstehen sie sich, wenn sie schweigen. Doch kann das auf Dauer gut gehen?
Gegen Ende des Romans gelingt es dem Autor, einen großen Spannungsbogen aufzubauen. Die beiden Protagonisten und auch der Leser wissen, was passiert ist, aber die Sprachlosigkeit zwischen dem Paar beschwört die ganze Zeit über die Gefahr eines endgültigen Scheiterns herauf. Fast möchte man Jan und Wil zurufen, nun doch endlich etwas zu sagen. Mit unendlicher Langsamkeit dreht sich diese kleine Geschichte weiter, in der Unendlichkeit zwischen Himmel und Meer. Sie lässt einen tiefen Eindruck und einen Hoffnungsschimmer zurück.
Mathijs Deen: "Unter den Menschen", aus dem Niederländischen von Andreas Ecke, Mare Verlag, Hamburg, 189 Seiten, 20 Euro