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Mathilde von Canossa
Vermittlerin zwischen weltlicher und geistlicher Macht

Wer den sprichwörtlichen Gang nach Canossa antritt, hat etwas abzubüßen und ist bereit, sich erniedrigen zu lassen. Dass die Initiatorin hinter dieser historischen Demutsgeste von Heinrich IV eine Frau war, wissen die wenigsten: Mathilde von Canossa. Sie führte eine glanzvolle und weithin gepriesene Regentschaft. Heute vor 900 Jahren starb Mathilde.

Von Maike Albath | 24.07.2015
    Ansicht des Grabmals der Mathilde von Canossa im Kloster und Museum San Benedetto in Polirone.
    Ansicht des Grabmals der Mathilde von Canossa im Kloster und Museum San Benedetto in Polirone. (picture-alliance/ dpa - Thomas Strünkelnberg)
    Als Mathilde von Canossa 1046 geboren wurde, beherrschte ihr Vater Bonifaz ein ausgedehntes Gebiet zu beiden Seiten des Apennins und war einer der mächtigsten Markgrafen auf der italienischen Halbinsel. Die Historikerin Elke Goez, Verfasserin einer Biografie über Mathilde, erklärt:
    "Wir dürfen davon ausgehen, dass Mathilde für ihre Zeit eine sehr gute Erziehung genossen hat, dass sie lesen konnte, wissen wir, sie konnte auch ein bisschen schreiben, wie gut, weiß ich nicht. Aber sie muss auch sehr sprachbegabt gewesen sein, denn ihr Biograf berichtet, sie hätte sich mit dem Kaiser ohne Dolmetscher unterhalten können, das heißt sie war des frühen Deutschen einigermaßen mächtig."
    Mathildes Kindheit war von dramatischen Wechselfällen gezeichnet: 1052 kam ihr Vater bei einem Attentat ums Leben, kurz danach starben ihre beiden älteren Geschwister, ihre Mutter fiel wegen ihrer zweiten Ehe in Ungnade und wurde mit Mathilde in Deutschland in Geiselhaft genommen. 1056 kam es zur Aussöhnung. Beatrix bereitete ihre Tochter gezielt auf die Regierungsaufgaben vor, musste sich aber rechtfertigen.
    Mathilde band politische und geistliche Machthaber in ihr Herrschaftsgefüge ein
    "Legitimiert, das ist insofern für die beiden Damen Beatrix und Mathilde ganz besonders schwierig, weil normalerweise Männer geherrscht haben. Sie haben aber in ihrem Titel das Gottesgnadentum, also "A deo gratia", einfach aufgenommen, "Mathilde von Gottes Gnaden, was auch immer sie ist". Und damit hat sie eine Legitimation, die man gar nicht anfechten kann, weil, eine Legitimation von Gottes Gnaden ist nicht anfechtbar."
    Um ihre Autorität zu festigen, reisten Mutter und Tochter regelmäßig in die Städte ihrer Besitztümer und sprachen öffentlich Recht. Später fertigte Mathilde eine Fülle von Urkunden an und band die politischen und die geistlichen Machthaber geschickt in ihr Herrschaftsgefüge ein. Meistens zu Pferde unterwegs, flößte sie rein äußerlich Respekt ein.
    "Sie war für ihre Zeit relativ groß, sie war 1,73 Meter ungefähr und hatte rötlich blonde Haare, die sie bis zu ihrem Tode sehr lang getragen hat. Sie muss schon eine sehr imposante Erscheinung gegeben haben."
    1071 wurde sie mit Gottfried dem Buckligen von Lothringen verheiratet, aber die Ehe passte ihr nicht.
    "Sie ist einfach abgehauen, man kann es nicht anders sagen, sie hat alles stehen und liegen lassen und ist dann zurückgekehrt zu ihrer Mutter, die von dieser Entscheidung ihrer Tochter gar nicht begeistert war. Denn diese Ehe war ja eine politische Ehe, sie sollte die Verbindung des italienischen Machtbereiches mit Lothringen stärken und das funktioniert ja nun nicht mehr."
    Nach dem Tod ihrer Mutter 1076 übernahm Mathilde allein die Herrschaft und hielt dem Papst die Treue. Ein Konflikt drohte Europa zu zerreißen: Der Investiturstreit. Die weltliche Macht rang mit der geistlichen Macht um die Amtseinsetzung von Bischöfen und Äbten. Über Heinrich IV wurde ein Kirchenbann verhängt, ein unvorstellbarer Schock für seine Untertanen.
    "Sie ist geradezu die ideale Vermittlerin. Sie ist verwandt mit Heinrich IV und sie war eine sehr gute, sehr enge Freundin Papst Gregor VII, das heißt, sie war eine Person, der beide Konfliktparteien vertraut haben. Das ist das eine. Zum anderen kontrollierte sie die wichtige Via Francigena, die vom Brenner nach Rom führte, und auf denen der Herrscher oder auch der Papst ziehen musste, wenn sie sich nach Süden oder nach Norden bewegen wollten. Das heißt sie konnte hier in ihrem Machtbereich den reisenden Antagonisten auch Schutz oder vielleicht auch nicht Schutz gewähren, sie hatte eine sehr machtvolle Position. Sodann ist sie die Burgherrin von Canossa, wo dann dieses ganz berühmte Zusammentreffen zwischen Gregor VII und Heinrich IV passierte, und man darf sicher sein, dass sie im Vorfeld die Verhandlungen geführt hat, wie Heinrich IV die Lösung vom Bann erreichen würde, also barfuß im Schnee in einem härenen, kratzigen Büßergewand stehend, und den Papst an drei Tagen hintereinander um Vergebung anflehend."
    Der Bann wurde zwar aufgehoben, aber der Streit flammte schon bald wieder auf. Mathilde stand dem Papst nun auch militärisch zur Seite. Ihr Hof war in ganz Europa berühmt – sie besaß eine umfangreiche Bibliothek, bot Schriftstellern und Gelehrten ein Auskommen, war äußerst wissbegierig und beschäftigte einen Vorleser. Am 24. Juli 1115 starb Mathilde in Bondeno di Roncore. Ihr Siegel zeigt sie als stolze Herrscherin mit offenen, langen Haaren.